Sachsens Ministerpräsident versucht derzeit auf Kosten von geflüchteten Menschen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Anders kann man seine Forderungen zu einer Grundgesetzesänderung nicht mehr verstehen, nach der die Leistungen für Flüchtlinge gekürzt und mehr Abschiebungen möglich sein sollen. Statt wirklich eine Strategie zu entwickeln, geflüchtete Menschen in Sachsen schneller und besser integrieren zu können, versucht er zu suggerieren, man könne mit härterem Vorgehen gegen geflüchtete Menschen aktuelle Probleme im Freistaat lösen. Von den Jusos und dem DSM bekommt er gleich kräftig Paroli.

Berichtet hatte in diesem Fall die Springer-Zeitung „Die Welt“, die auch noch den wildesten Vorschlägen des überforderten sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) nur zu gern Raum gibt.

FDP-Politiker: Vorschläge Kretschmers hätten keinen Effekt

Die „Zeit“ verwies in dem Zusammenhang auf einen Mann, den die „Welt“ ebenfalls zitiert und der einfach die Zahlen kennt und ausrechnet, was Kretschmers diffuse Vorschläge eigentlich bringen würden, wenn sie so umgesetzt werden würden.

„Der FDP-Politiker Stephan Thomae wies in der ‚Welt‘ darauf hin, dass von den etwa 228.000 Asylentscheidungen im Jahr 2022 nur in 0,8 Prozent der Fälle Asyl nach Artikel 16a Grundgesetz gewährt worden sei. Die weitaus meisten Anerkennungen erfolgten auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Das zeige, dass eine Grundgesetzänderung ‚praktisch keinen Effekt‘ hätte.“

Zuvor hatte Kretschmer dieselben Vorschläge auch schon im Münchner „Merkur“ in einem Interview geäußert: „Ich will das ganz unaufgeregt anpacken. Zum Beispiel mit einer Kommission zusammen mit Vertretern aus allen Bereichen. Kein politisches Kampffeld, sondern Experten, die in drei bis sechs Monaten bindende Vorschläge erarbeiten.“

Gleichzeitig verweigert seine Regierung den sächsischen Kommunen Unterstützung bei der Unterbringung der Geflüchteten.

Eingesparte Infrastruktur als Problem

Es ist ja nicht so, dass Sachsen das Geld nicht hätte, all die Probleme anzugehen, von denen Kretschmer behauptet, sie würden ausgerechnet durch die nach Sachsen geflüchteten Menschen verschärft – all die aktuellen Herausforderungen in Schulen, Kitas und auf dem Wohnungsmarkt. Probleme, hinter denen eine jahrelange sächsische Sparpolitik steht, die Kommunen an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht hat, während Sachsens Finanzminister inzwischen über 10 Milliarden Euro in einem Generationenfonds gebunkert hat.

Mit diesem sollen die künftigen Ruhestandsbezüge sächsischer Beamter finanziert werden. Geld, das bei Investitionen in Infrastrukturen überall fehlt.

Die beiden Vorsitzenden der Jusos, Max Stryczek aus Chemnitz und Mareike Engel aus Leipzig, weisen Kretschmers Vorwürfe an die geflüchteten Menschen zurück und fordern eine konstruktive Politik zur Lösung der Probleme.

„Die Zahl der Flüchtlinge ist nicht das Problem. Unsere Schulen und Kitas finden nicht mehr ausreichend Lehrer/-innen und Erzieher/-innen, weil die öffentliche Infrastruktur in den Gemeinden, Landkreisen und Städten kaputtgespart wurde“, sagt Max Stryczek. „In Leipzig und Dresden suchen Menschen bezahlbaren Wohnraum wie eine Nadel im Heuhaufen, weil die CDU es versäumt hat, angemessen auf den Wohnungsmangel zu reagieren.“

„Ein verfassungswidriger und menschenverachtender Vorschlag“

Und Mareike Engel kritisiert Kretschmers Vorschlag einer Kommission zur Grundgesetzänderung: „Es ist zutiefst besorgniserregend, dass der Ministerpräsident eine Änderung des Grundgesetzes in Betracht zieht, um das Existenzminimum für Geflüchtete zu kürzen. Das ist ein verfassungswidriger und menschenverachtender Vorschlag.“

Beide Juso-Vorsitzenden weisen darauf hin, dass Deutschland die Pflicht hat, Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Sie fordern Kretschmer auf, sich für eine stärkere Integration von Geflüchteten und eine gerechte Verteilung von Ressourcen einzusetzen, anstatt stärkere Instrumente zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber und Einwanderer zu fordern.

„Es ist höchste Zeit, das wahre Gesicht der CDU zu zeigen: Sparpolitik auf Kosten der Schwächsten, mangelnde Investitionen und gebrochene Versprechen“, erklären Stryczek und Engel. „Wir fordern eine Politik, die Verantwortung übernimmt und Lösungen schafft, statt unschuldige Sündenböcke zu suchen.“

Heftige Kritik vom DSM

Ausgerechnet am 30. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags in Solingen fordere Ministerpräsident Michael Kretschmer eine weitere Verschärfung des Grundrechts auf Asyl und damit eine Änderung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, kritisiert auch der Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen e.V. (DSM). Bereits in der Vorwoche hatte er eine Kürzung der Asylbewerberleistungen ins Spiel gebracht.

Mit Blick auf den ohnehin seit Monaten rauer und populistischer werdenden Diskurs über Geflüchtete, der sich auch in einem Anstieg der Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte widerspiegelt, zeigt sich der DSM fassungslos gegenüber derartige Forderungen durch den Sächsischen Ministerpräsidenten. Es erinnert an die Jahre Anfang der 1990er Jahre und an 2015/2016, als jeweils das Grundrecht auf Asyl weiter ausgehöhlt wurde, damit weniger Schutzsuchende nach Deutschland kommen.

Azim Semizoğlu, Co-Vorsitzender des DSM, hält dazu fest: „Der Ministerpräsident übersieht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Leistungen für Asylbewerber*innen nicht weiter eingedampft werden können, da die bisherigen schon jetzt ein Existenzminimum darstellen und geringere Leistungen menschenunwürdig wären. Statt den sächsischen Kommunen selbst zu helfen, schiebt Kretschmer die Verantwortung nach Berlin. Dabei ist seine Begründung für diese Forderungen vorgeschoben, denn die CDU regiert Sachsen seit der Wende und ist damit für den Mangel an Lehrkräften und Wohnraum, welcher gelingende Teilhabe von Geflüchteten erschwert, selbst verantwortlich. Wir fordern den Ministerpräsidenten auf, die Schutzsuchenden und Kommunen zu unterstützen statt rechten Narrativen mit leeren Versprechen Raum zu geben!“

Emiliano Chaimite, Geschäftsführer des DSM, ergänzt: „Wie wir heute sehen, stehen diese Forderungen nicht nur einem menschenwürdigen Umgang mit Schutzsuchenden entgegen, sie sind auch obsolet. Denn auch die Asylrechtsverschärfungen von 1993 und 2015/2016 haben nicht dazu geführt, dass weniger Schutzsuchende nach Deutschland und Sachsen kommen, im Gegenteil: die Schutzquote ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Forderungen dieser Tage reihen sich in eine Kette von weiteren Aussagen ein, die ein Bild von Sachsen zeichnen, das sich der Freistaat auch in Anbetracht der Notwendigkeit von Fachkräftezuwanderung und als internationaler Wissenschaftsstandort nicht leisten kann. Statt wie Kretschmer Abschottung zu proklamieren sollte Migration auch hier endlich als Chance begriffen werden: Die überalterte Gesellschaft in Sachsen braucht mehr den je diese Menschen, mit all ihren Geschichten und Talenten.“

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