Immer wenn ein Wahlsieg oder parlamentarischer Erfolg der AfD droht, ist von einem möglichen Dammbruch die Rede. Das Wort machte zuletzt auch in Sachsen wieder die Runde. Hier stehen am Sonntag, dem 12. Juni, knapp 200 Bürgermeister- und neun Landratswahlen an. Vor allem die Position der Landräte ist mächtig und bislang ausschließlich von CDU-Politikern besetzt. Doch das könnte sich nun zugunsten der AfD ändern. Die LZ informiert heute fortlaufend über die wichtigsten Entwicklungen.
Hier gehts zum 2. Liveticker ab 18 Uhr auf L-IZ.de
Bis 18 Uhr sind die Wahllokale in Sachsen geöffnet. Im Laufe des Abends werden schrittweise die Hochrechnungen und Ergebnisse aus den Gemeinden und Landkreisen eintreffen.
Gewählt wird unter anderem in den Landkreisen Leipzig, Nordsachsen und Mittelsachsen sowie in Gemeinden wie Dresden, Bautzen, Borna, Grimma und Eilenburg.
16 Uhr: Einige grundsätzliche Informationen
Zunächst sollte man wissen, dass heute bei den Landratswahlen vermutlich noch keine Entscheidungen fallen. Wer schon im ersten Wahlgang gewinnen möchte, müsste mehr als 50 Prozent der Stimmen holen. Das gilt in allen Landkreisen als unwahrscheinlich. Die Entscheidung bei den Landratswahlen fällt somit voraussichtlich erst im zweiten Wahlgang in drei Wochen, wenn die Person mit den meisten Stimmen gewinnt.
Etwas anders sieht es bei den Bürgermeisterwahlen aus, die in fast 200 Kommunen stattfinden. In Dutzenden Gemeinden tritt nur eine Person zur Wahl an – dass diese bereits im ersten Durchgang die absolute Mehrheit erhält, ist wahrscheinlich. Für fast alle anderen würde es dann ebenfalls in den zweiten Wahlgang am 3. Juli gehen. Dabei gibt es eine Ausnahme: In Dresden würde die zweite Runde erst am 10. Juli stattfinden.
Die letzte große Runde der Landratswahlen fand vor sieben Jahren statt. Dabei konnten sich überall CDU-Kandidaten durchsetzen. Heute wird in neun von zehn Landkreisen gewählt – Meißen war bereits vor zwei Jahren an der Reihe. Nur in drei dieser neun Landkreise treten die Amtsträger aus der CDU erneut an.
Die AfD steht in allen Landkreisen außer Nordsachsen zur Wahl. Im Landkreis Görlitz beispielsweise tritt der AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel an, der bereits 2019 für den Oberbürgermeisterposten in Görlitz kandidierte und dort im ersten Wahlgang die meisten Stimmen holte. Erst im zweiten Wahlgang konnte sich der CDU-Kandidat mit Unterstützung der anderen Parteien durchsetzen.
Dass ein Erfolg der AfD in einem oder mehreren Landkreisen für möglich gehalten wird, hat mehrere Gründe: starke Wahlergebnisse bei vergangenen Wahlen, massive Investitionen in den Wahlkampf mit Unterstützung von Parteiprominenz bei Wahlveranstaltungen und die Schwäche der CDU inklusive dem in vielen Wahlkreisen nun nicht mehr existierenden Amtsbonus der Kandidaten.
Die AfD ist übrigens nicht die einzige Partei aus dem rechtsradikalen Lager, die sich zur Wahl stellt. In drei Landkreisen stehen auch die „Freien Sachsen“ auf dem Stimmzettel. Zudem tritt im Landkreis Zwickau ein Kandidat der „Querdenken“-nahen Partei „Die Basis“ an.
Besonders dünn ist das Feld in den Landkreisen nahe Leipzig. In Nordsachsen, Mittelsachsen und im Landkreis Leipzig stehen jeweils nur drei Kandidat/-innen zur Wahl. Im Landkreis Leipzig beispielsweise will CDU-Amtsinhaber Henry Graichen gegen den AfD-Politiker Jörg Dornau bestehen. Dieser setzte im Wahlkampf wiederholt auf die Unterstützung von Björn Höcke.
Spannung versprechen aber auch die Bürgermeisterwahlen. Einen besonders aufmerksamen Blick werden wir nach Grimma richten, wo der Sozialarbeiter und bekennende Antifaschist Tobias Burdukat den langjährigen Amtsinhaber Matthias Berger herausfordert. Der dritte Kandidat ist der von den „Freien Sachsen“ unterstützte Gastronom Rainer Umlauft.
Aber auch die Situation in Dresden und anderen wichtigen Gemeinden behalten wir im Laufe des Abends im Blick.
16:30 Uhr: Eine kleine Vorabanalyse der spannenden Landkreise
Im 32. Jahr nach der Wiedervereinigung droht der CDU in Sachsen mit den mutmaßlich zwei Wahlterminen heute und am 3. Juli 2022 zu den Landratsämtern der kommenden sieben Jahre etwas, was wohl Kurt Biedenkopf Zeit seines Lebens für unmöglich gehalten haben dürfte: die Abgabe eines der neun Posten ausgerechnet an die AfD. Obwohl die blaue Partei bundesweit eher im Abschwung ist, findet sie noch immer in Sachsen den Nährboden für große Träume: das erste Landratsmandat in ihrer kurzen Geschichte und in Deutschland überhaupt.
Grüne ohne eigenen Wahlkampf
In fast allen Landkreisen gab in den letzten Wochen bereits die Kandidatenaufstellung im Hinblick auf die Breite der Angebote an die Wähler/-innen zu denken. SPD und Grüne übten sich offenbar mangels aussichtsreicher Kandidat/-innen in Zurückhaltung, wobei die SPD zumindest mit Simone Lang (Erzgebirgskreis), Thomas Fiedler (Vogtlandkreis) und Jens Juraschka drei Nominierungen hatte, sind die Grünen nirgends direkt angetreten. So spart man sicher teure Wahlkampfkosten, verliert aber auch Aufmerksamkeit.
Während es CDU und AfD (ohne Nordsachsen) mit Kandidaten in fast allen Kreisen, also in Bautzen / Budyšin, Erzgebirgskreis, Görlitz / Zhorjelc, Leipzig, Mittelsachsen, Nordsachsen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Vogtlandkreis und Zwickau versuchen werden, in den kommenden sieben Jahren den Vorsitz des Kreistages zu stellen, kommt nur die Linke noch auf acht (außer Görlitz).
Auch wenn es darüber hinaus noch gemeinsame Kandidaten der Linken, Grünen und SPD wie Alex Theile in Bautzen und Torsten Pötzsch in Nordsachsen gibt, wird für den heutigen ersten Wahlausgang tendenziell eher eine Kopf-an-Kopf-Situation zwischen CDU und AfD erwartet.
Obwohl eine Umfrage zu Landtagswahlen nicht wirklich die Landkreissituationen heute abbildet, ist die letzte bezogen auf eine Landtagswahl in Sachsen (in 2 Jahren) vom 17. Mai 2022 vom Institut Wahlkreisprognose doch recht eindeutig: die CDU liegt da bei 33 und die AfD bei 27 Prozent. Mit weniger als der Hälfte des Zuspruchs folgt die SPD mit 12 Prozent, der Rest der Parteien folgt dahinter.
Ein wenig Spannung bringen vielleicht ein Umstand und ein Wahlkreis doch mit sich. Der Umstand, dass jede Kandidat/-in auch zum zweiten Wahlgang am 3. Juli 2022 antreten kann, ganz gleich wie Runde 1 ausfällt und vor allem der Wahlkreis Mittelsachsen.
Mittelsachsen
Einerseits rechnet hier die AfD dank einer scheinbar schwachen Nominierung der CDU mit Döbelns Oberbürgermeister Sven Liebhauser besonders eifrig mit einem Erfolg ihres Rolf Weigand (MdL), der bereits bei der Landtagswahl 2019 eines von drei AfD-Direktmandaten holte.
Andererseits ist mit Dirk Neubauer ein parteiloser Kandidat mit Unterstützung des „linken Lagers“ im Rennen, dessen Pragmatismus unter anderem in der Flüchtlingskrise nicht nur den Augustusburgern gefiel. Als ihr Bürgermeister erlangte Neubauer deutschlandweite Bekanntheit durch seinen offenen und bürgernahen Umgang mit gesellschaftlichen Ausnahmesituationen.
Görlitz
Was hingegen bis heute medial etwas in den Hintergrund geriet: auch der Wahlkreis Görlitz ist durchaus immer in der Gefahr nach rechts zu kippen. Hier holte Tino Chrupalla für die AfD vor dem heutigen Ministerpräsidenten Sachsens Michael Kretschmer 2017 ein Direktmandat für den Bundestag. Nun wird sich der AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel versuchen, vor allem gegen Stephan Meyer (MdL, CDU) neben Kristin Schütz (FDP) und Sylvio Arndt (unabhängig) durchzusetzen.
Bereits bei der Görlitzer Bürgermeisterwahl 2019 unterlag Wippel nur knapp in der Stichwahl mit 44,8 Prozent gegenüber Oktavian Ursu mit 55,2 Prozent, nachdem Franziska Schubert (Grüne) trotz beachtlicher 27,9 Prozent in der ersten Wahlrunde zugunsten Ursus zurückgezogen hatte. In dieser war Ursu noch mit 30,3 Prozent rund 6 Punkte hinter Wippel (36,4) gelandet.
Nordsachsen
Um Leipzig herum scheint die Gefahr einer AfD-Übernahme des Amtes eher nicht gegeben. Hier sind mit Henry Graichen (Landkreis Leipzig) und Kai Emanuel (Nordsachsen) zwei durchaus gestandene Amtsinhaber der CDU im Rennen – in Nordsachsen fehlt die AfD als Gegner Emanuels sogar ganz.
Stattdessen tritt mit Uta Hesse eine Frau unter den Augen des beobachtenden Verfassungsschutzes für die rechtsextremen Freien Sachsen an, welche sich am 10. Mai 2022 mit Peter Schreiber (NPD) zum „Gipfeltreffen“ der neuen Rechtsfront traf. Der eigentliche Herausforderer dürfte hier also eher und ausnahmsweise mal ein Vertreter des Bündnisses Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, Torsten Pötzsch sein.
Landkreis Leipzig
Im Landkreis Leipzig hingegen wurde spätestens bei der AfD-Wahlkampfveranstaltung am 21. Mai 2022 in Grimma rings um den Rechtsextremen Björn Höcke (AfD) klar: der Landtagsabgeordnete und AfD-Kandidat Jörg Dornau gehört nicht nur zum Rechtsaußenlager seiner Partei. Er konnte auch nur knapp 200 Besucher mobilisieren.
Während sich also Rolf Weigand (AfD) im Wahlkampf um den Landkreis Mittelsachsen betont moderat gab, ist hier eher ein AfD-Hardliner am Werk, der auch mal selbst offensiv gegen Pressevertreter vorgeht. Der dritte in der Herrenrunde in Leipzig Land ist mit der Linken-Kandidat Denny Trölenberg.
Für heute wird kaum erwartet, dass sich ein/e Kandidat/-in im ersten Wahlgang durchsetzen wird. Dafür wären mehr als 50 Prozent der Stimmen nötig. Das ist seit der Spaltung des rechtskonservativen Lagers in Sachsenunion und AfD kaum noch möglich. (mf)
17:45 Uhr: Was vergessen! Landkreis Bautzen
Da hätten wir doch beinahe eine interessante Konstellation übersehen. Der Landkreis Bautzen machte in diesem Landratswahlkampf bereits früh von sich reden. Einmal, weil hier, wie in weiteren fünf Wahlkreisen, die CDU einen „Wachwechsel“ versuchen muss, da CDU-Amtsinhaber Michael Harig nicht mehr antritt. Den Leipziger/-innen ist Harig noch bekannt, da er einst gegen OB Burkhard Jung (SPD) kandidierte, als es darum ging, den Vorstandsposten beim Ostdeutschen Sparkassenverband zu ergattern.
Das Hornberger Schießen endete 2018 bekanntlich so: Dr. Michael Ermrich wurde neuer Vorstand, Harig blieb im Landkreis und OB Jung verteidigte 2020 denkbar knapp seine Oberbürgermeisterschaft – knapp wohl auch, weil er mit der neuen Position geliebäugelt hatte.
Der zweite Grund war ein frühzeitiger Wahlkampfauftakt von Harigs Nachfolger in der CDU, Udo Witschas. Im Januar 2022 machte er sich öffentlich gegen die Impfpflicht für Krankenhaus- und Pflegemitarbeiter stark und erntete im impfskeptischen Landkreis Bautzen damit Szenenapplaus vor allem aus Querdenkerkreisen bis in die „Freie Sachsen“-Szenerie hinein.
Logisch, dass es in dem Umfeld Frank Peschel von der AfD nicht leicht haben wird, dem CDU-Kandidaten noch eins auszuwischen. Ob der Plan aufgeht oder gar den rot-rot-grünen Kandidaten Alex Theile gestärkt hat, wird heute nach 18 Uhr klar werden.
Dabei werden die Ergebnisse eine Weile auf sich warten lassen. Im Unterschied zu Landtags- und Bundestagswahlen dauern die Auszählungen bei Landrats- vor allem aber bei Bürgermeisterwahlen für gewöhnlich etwas länger. Heute gilt jedoch: erst werden die Bürgermeister/-innen ermittelt, dann die Landrät/-innen. Beziehungsweise die Konstellationen für etwaige zweite Wahlgänge.
18 Uhr: Ein Blick nach Dresden
Bei den Bürgermeisterwahlen sticht heute natürlich jene in Dresden heraus. Dort ist Amtsinhaber Dirk Hilbert (FDP) noch einmal angetreten und darf sich dabei über die Unterstützung der CDU freuen, die keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt.
Rund um seine erneute Kandidatur gab es allerdings erhebliche Turbulenzen. An der Kandidatenwahl hatten sich zwei Personen beteiligt, die eigentlich gar nicht wahlberechtigt waren. Beschwerden gegen die Kandidatur Hilberts wurden jedoch von der Landesdirektion Sachsen zurückgewiesen: Die Formfehler hätten keinen Einfluss auf die Wahl des amtierenden Oberbürgermeisters zum Kandidaten der „Unabhängigen Bürger“ gehabt.
Die prominentesten Gegner/-innen von Hilbert sind Eva Jähnigen von den Grünen, Maximilian Krah von der AfD, André Schollbach von der Linkspartei und Albrecht Pallas von der SPD. Auch zwei Kandidaturen aus der „Querdenken“-Szene gibt es. Prominent ist vor allem Marcus Fuchs, der sich bereits im vergangenen Jahr in den Bundestag wählen lassen wollte.
2015 war Hilbert im ersten Wahlgang mit 32 Prozent lediglich auf dem zweiten Platz gelandet – hinter der damaligen Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange von der SPD, die 36 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Auf den weiteren Plätzen folgten der damalige CDU-Innenminister Markus Ulbig mit 15 Prozent und Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling mit knapp zehn Prozent.
Im zweiten Wahlgang traten Ulbig und Festerling nicht mehr an. Davon profitierte offenbar vor allem Hilbert, der nun 54 Prozent der Stimmen erhielt – zehn Prozentpunkte mehr als Stange.
Die Zwischenergebnisse & Ergebnisse aus Dresden
https://wahlen.dresden.de/2022/obw/index.html
Hier kann man die Ergebnisse zur Landratswahl auch selbst verfolgen
https://wahlen.sachsen.de/landratswahlen-2022-wahlergebnisse.php
Und hier die Ergebnisse zu den Bürgermeisterwahlen (Stadt eingeben)
https://wahlen.sachsen.de/buergermeisterwahl-wahlergebnisse-2022.php
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