Da fährt man so sonnigen Gemüts mit der Straßenbahn, hat den Fahrgastbildschirm vor der Nase und liest eine der übliche LVZ-Meldungen, die hier ab und zu zu sehen sind und bei denen man sich fragt: Was denken sich eigentlich die Kollegen, wenn sie so eine Null-Nachricht verfassen wie „Sachsen war 2019 das sonnigste Bundesland“? Klar, gemeldet hatte das am 30. Dezember der Deutsche Wetterdienst (DWD). Sachsen kam unter anderem drin vor. Aber die Botschaft war eine völlig andere.
Die klang im Einleitungstext nämlich so: „Wie bereits die meisten der vorangegangenen Jahre, so verlief auch 2019 in Deutschland wieder zu trocken, mit mehr Sonnenschein als üblich und vor allem deutlich zu warm. Es war sogar das drittwärmste Jahr seit dem Beginn von regelmäßigen Messungen 1881.“
Erst vor diesem Hintergrund lässt sich einordnen, was der neue „Sonnenscheinrekord“ für Sachsen bedeutet.
Die Passage dazu lautete: „Sachsen: Sachsen meldete 10,4 °C (8,1 °C), knapp 595 l/m² (699 l/m²) und war mit über 1970 Stunden (1549 Stunden) das sonnigste Bundesland. In der ersten Januarhälfte stauten sich Niederschlagsgebiete immer wieder am Nordrand des Erzgebirges und führten dort zu riesigen Schneemassen. Deutschneudorf-Brüderwiese im Erzgebirge meldete am 21. Januar mit -18,6 °C die bundesweit tiefste Temperatur im Jahr 2019. Sachsen erreichte im Juni mit 336 Stunden einen neuen Sonnenscheinrekord.“
Für das gesamte Bundesgebiet mit seinen über 2.000 Messstationen lautet die Bilanz für 2019 so: „Der Temperaturdurchschnitt lag im Jahr 2019 mit 10,2 Grad Celsius (°C) um 2,0 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990. Gegenüber der Vergleichsperiode 1981 bis 2010 betrug die Abweichung nach oben 1,3 Grad. Damit gehört 2019 neben 2018 mit 10,5 °C und 2014 mit 10,3 °C zu den drei wärmsten Jahren seit dem Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen 1881. Großen Anteil daran hatten elf zu warme Monate, sowie die extreme Hitze Ende Juli, als die Temperatur an 23 Messstellen auf 40,0 °C oder darüber kletterte.“
Und dazu kam wie schon im Vorjahr: zu wenig Regen.
Und da sind wir mitten in Sachsen. Denn zum Niederschlag schrieb der DWD: „Mit rund 730 Litern pro Quadratmeter (l/m²) erreichte 2019 nur 93 Prozent des Solls von 789 l/m². Der wenigste Niederschlag fiel vom Thüringer Becken bis zur Leipziger Tieflandsbucht, wo lokal nur etwa 350 l/m² zustande kamen.“
Verbrannte Wiesen bis in den Herbst machten auch in der Stadt sichtbar, was das bedeutet.
Und die fehlenden Regenwolken bedingten dann natürlich jenen wolkenfreien Himmel, der den „Sonnenscheinrekord“ ermöglichte.
Und mit den hohen Durchschnittstemperaturen reihte sich auch 2019 ein in genau die Entwicklung, die seit dem Jahr 1990 in den sächsischen Temperaturmessungen unübersehbar ist: den Anstieg der gemessenen Durchschnittstemperaturen auf ein Niveau, wie es seit 1881 nicht gemessen wurde. Die Auswirkungen von über 100 Jahren industrieller Verfeuerung von fossilen Brennstoffen führen mit Verzögerung zu genau dem Temperaturanstieg, vor dem die Wissenschaftler seit 50 Jahren gewarnt haben.
Die dicke blaue Linie zeigt dabei den errechneten Mittelwert. Und auch bei den Dezembermesswerten ist der Temperaturanstieg seit 2000 deutlich und unübersehbar. Die endgültigen Daten für Dezember 2019 liegen noch nicht vor. Deswegen zeigt die Grafik nur Messwerte bis 2018.
In der Grafik aus dem Klimaatlas des DWD wird das sehr deutlich. Die Grafik enthält auch die Prognosen aus den vom DWD verwendeten Klimamodellen: Unterschiedliche Grundannahmen führen zu etwas unterschiedlichen Verlaufskurven. Aber da wir an den Ursachen der atmosphärischen Aufheizung bis heute nichts geändert haben, führen alle Rechenmodelle zu einem weiter ansteigenden Temperaturniveau. Was noch harmlos aussieht.
Aber das Jahr 2019 hat ja sehr deutlich gemacht, was daraus folgt: Die Wolkenbildung verändert sich, die über den Meeren angesammelten Wassermassen kommen immer öfter punktuell in gewaltigen Starkregen herunter, die ganze Landschaften unter Wasser setzen. Im letzten Jahr traf es besonders heftig Griechenland und Italien. Während Ostdeutschland das zweite Jahr mit zu wenig Regen, verdorrenden Feldern und – siehe Brandenburg – brennenden Wäldern erlebte.
Die deutsche Bilanz fasst der DWD so zusammen: „Doch folgte der wärmste und sonnigste Juni seit Messbeginn. Dies war der Auftakt eines weiteren erheblich zu trockenen und extrem heißen Sommers, der alle vorangegangenen noch an Hitze übertraf. Flüsse trockneten aus und auch die Wälder litten unter der großen Trockenheit. Im September begann eine Periode mit mehr Niederschlag, die mit kurzen Unterbrechungen bis Weihnachten anhielt und die Dürre allmählich beendete.“
Das Wort „Sonnenscheinrekord“ hätte ich in so einer Meldung nie verwendet. Es erzeugt die falschen Bilder und zeichnet eine Urlaubsidylle, wo es den damit Beschäftigten (Bauern, Feuerwehrleuten, Waldbesitzern, Wasserwerkern, Grünflächenämtern …) überhaupt nicht zum Lachen war. Und wenn der Temperaturanstieg weiter so verläuft, werden die Herausforderungen für ganz elementare Versorgungsstrukturen noch schwieriger.
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