Seit die Kinder bei „Fridays for Future“ deutlich machen, dass die Klimapolitik in Deutschland bislang ihren Namen nicht verdient, sind auch andere Bevölkerungsgruppen mutiger geworden, ihre Kritik an einer falschen Politik öffentlich zu machen. Und das betrifft auch die sächsische Energiepolitik, die seit zehn Jahren vor allem Kohlepolitik war. Das nehmen jetzt die „Scientists for Future“ aus Dresden auf und stellen ihre Forderungen an die neue Staatsregierung.

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrem Green Deal eine deutliche Verschärfung der EU-Klimaziele und massive Investitionen in klimafreundliche Technologien angekündigt. Die Vorschläge der Konservativen von der Leyen werden von manchen als immer noch nicht ausreichend, von manchen als „historisch“ bezeichnet, stellen sie fest.

„Wie dem auch sei, dagegen bleibt Sachsen sogar hinter der unter Experten unstrittig ungenügenden Klimapolitik der Bundesregierung zurück“, sagt Michael Höfler, Pressesprecher der Scientists for Future Regionalgruppe Dresden.

„Energie- und Industriewandel könnten schon sehr weit gediehen, zehntausende zeitgemäße Arbeitsplätze geschaffen worden sein. Stattdessen wird die Folge vorgestriger Klimapolitik, gefährdete Arbeitsplätze in der fossilen Industrie, nun als Argument missbraucht, um das Unumkehrbare weiter auszubremsen. Noch könnte Sachsen eine Vorreiterrolle spielen, aber auch der neue Koalitionsvertrag ist sehr nebulös und enthält wenig Konkretes.“

Tatsächlich merkt man dem Koalitionsvertrag an, dass er einerseits die konservativen Kräfte in der CDU beruhigen möchte, andererseits aber vorsichtig darauf drängt, die Weichen jetzt wirklich umzustellen.

Zur Beruhigung der konservativen Kräfte, die mit dem Abschied von der Kohle auch immer gleich massive Arbeitsplatzverluste in strukturschwachen Regionen verbinden, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und SPD zum Beispiel: „Sachsen soll Energieland bleiben. Wir leisten unseren Beitrag zur Umsetzung der Klimaziele. Der Umbau des Energiesystems soll auf Basis marktwirtschaftlicher Steuerung erfolgen, die Versorgungssicherheit muss erhalten bleiben und er muss sozial verträglich sein. Wir sorgen dafür, dass die Energieversorgung in Sachsen auch in Zukunft für Verbraucherinnen und Verbraucher, Industrie, Gewerbe sowie für unser Handwerk sicher und bezahlbar bleibt. Wir setzen uns für zielgenaue Entlastungen, insbesondere von energieintensiven Betrieben, ein, um Verzerrungen gegenüber internationalen Wettbewerbern auszugleichen.“

Würde man das Wort „marktwirtschaftlich“ ernst nehmen, wären auch die sächsischen Kohlekraftwerke nicht mehr am Markt. Sie profitieren auch von sächsischer Subvention – unter anderem einem massiven Erlass bei eigentlich fälligen Kosten für Bergbau und Wasserentnahme.

Die nächsten Zeilen im Koalitionsvertrag kündigen freilich auch an, dass Sachsen bei der alten Politik aus schwarz-gelben Tagen nicht bleiben kann.

„Den Umstieg auf die erneuerbaren Energien wollen wir technologieoffen und verantwortungsvoll gestalten, gerade mit Blick auf den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Wir stehen zu den Pariser Klimazielen, dem EU-Ziel einer Treibhausgasneutralität bis 2050 sowie zur vollständigen Umsetzung der Empfehlungen der Kommission ,Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung‘ mit dem darin festgelegten für uns herausfordernden Plan für eine schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung bis spätestens 2038.“

Und das „schrittweise“ ist ernst gemeint. Das belegt nicht nur der Wechsel des Energieressorts aus dem Wirtschaftsministerium in das neu geschaffene Staatsministerium für Energie, Klima, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL), das künftig von Wolfram Günther (Grüne) geleitet wird. Das belegt auch eine wichtige Personalie, denn der bisherige energiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Dr. Gerd Lippold, wird Staatssekretär. Er war bislang einer der profundesten Kritiker der sächsischen Kohlepolitik.

Er ist also eigentlich der neue Adressat der Wortmeldung der Scientists for Future, wenn sie formulieren: „Dass Sachsen gegenüber den meisten anderen Bundesländern bei der Klimapolitik weit zurückfällt, zeigt unter anderem auch die kürzlich veröffentlichte Vergleichsstudie zum Einsatz und Förderung von Erneuerbaren Energien in Deutschland. Um Sachsen fit für die Zukunft zu machen, wäre unter anderem eine Solarpflicht für Neubauten, wie sie aktuell in Baden-Württemberg von der dortigen CDU befürwortet wird, sehr hilfreich.

Weiterhin müsse der Kohleausstieg deutlich schneller und ambitionierter vonstatten gehen und die dortigen Tagebauflächen in Solar- und Windparks umgewandelt werden, will man die Energiewende effektiv mitgestalten und nicht nur zuschauen. Die Beteiligung in Bürgerparks fördert dabei die Akzeptanz und Mitgestaltung durch die Bürger vor Ort.“

Und anders als die CDU, die in einem Wechsel der Energiebasis bislang immer nur Gefährdungen für Arbeitsplätze, Regionen und Unternehmen sah, sehen die Scientists für Future hier echte Chancen: „Für Industrieunternehmen bedeutet der Übergang in die klimaneutrale Produktion nicht nur eine Belastung, sondern vor allem eine Chance.“

„Firmen, die dies rechtzeitig begreifen, werden im Wortsinne sehr profitieren“, sagt Michael Höfler. „Die Rahmenbedingungen sind nun jedenfalls deutlich. Sich weiterhin einseitig über die Belastungen zu beklagen und bei der Politik um eine Verwässerung der Klimaziele zu bitten, ist bestenfalls eine Strategie zum langsameren Sterben. Der Wandel wird sowieso kommen; wer jetzt nicht auf den Zug aufspringt, der wird später nicht mehr abgeholt.“

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