Vom 19. bis zum 21. August befragte Infratest Dimap für die ARD die Sachsen nicht nur dazu, wem sie bei der Landtagswahl ihre Stimme geben würden, sondern auch danach, wie sie die Interessen der Menschen in Stadt und Land in der Landespolitik berücksichtigt sehen. Aus Sicht der Linkspartei ist es ein Ergebnis von Marktversagen, wenn 71 Prozent der Sächsinnen und Sachsen die Interessen der Menschen auf dem Land zu wenig berücksichtigt sehen.
Was übrigens nicht nur die Bewohner der ländlichen Regionen so sehen, von denen sogar 76 Prozent sagen, die Interessen der ländlichen Regionen würden zu wenig berücksichtigt. Denn auch die Bewohner der Großstädte (über 100.000 Einwohner) sagen das zu 67 Prozent.
Für die Linkspartei ist das ein deutlicher Ausdruck rein marktgetriebener Politik.
„Im Kapitalismus reproduziert sich Reichtum und Wohlstand dort, wo er bereits ist. Gesellschaftliche Brüche werden verstärkt. Ob Arm und Reich oder Stadt und Land, die Unterschiede nehmen zu. Wenn wir die Entwicklung weiter allein dem Markt und Profitinteressen überlassen, wird sich das auch genau so fortsetzen“, kommentiert Rico Gebhardt, Spitzenkandidat der sächsischen Linken zur Landtagswahl, die Befragungsergebnisse.
Und er legt ein wichtiges Ergebnis aus dem „Sachsen-Monitor 2018“ daneben: 94 Prozent der in Sachsen lebenden Menschen finden laut Sachsen Monitor von 2018 den Abbau sozialer Ungleichheit wichtig oder eher wichtig für die Demokratie – aber nur 21 Prozent meinen, dass dies durch die Regierungen auch wirklich passiert. 52 Prozent stimmen ferner der Aussage, sie als Ostdeutsche seien Bürger zweiter Klasse, eher oder voll zu.
„Die Menschen haben ein feines Gespür für Ungerechtigkeiten und treffen sowohl bei sozialer Ungleichheit als auch bei der Berücksichtigung der Interessen der Menschen kleinerer Gemeinden den Nagel auf den Kopf. Diese wahrgenommenen Ungleichheiten entsprechen der Wirklichkeit und haben wesentlich mit dem Rückzug des Staates und des Gemeinwesens zu tun. Wegschauen, Verkaufen, dem Markt überlassen. So lautet seit Jahrzehnten das politische Credo der Rechten und Neoliberalen“, sagt Rico Gebhardt.
Die Linke würde daher umsteuern und das Gemeinwesen stärken. Dazu gehöre ein besserer öffentlicher Personennahverkehr mit erhöhten Taktzeiten, einheitlichen Qualitätsstandards und einem einheitlichen Tarifverbund. Auch die Nahversorgung müsste aus Sicht der Linken sichergestellt werden. Dazu setzt sie unter anderem auf die öffentliche Förderung von genossenschaftlichen Dorfläden.
„Wichtig ist dabei, dass nicht irgendwo am grünen Tisch beschlossen wird, hier und dort setzen wir jetzt irgendetwas hin. Die Expertinnen und Experten sind die Menschen vor Ort, die wissen, wo etwas fehlt. Deshalb ist unser Ansatz die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit Neues entstehen und Vorhandenes erhalten werden kann“, sagt Rico Gebhardt.
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Kurz Luft holen. Denn Fakt ist auch, dass im Grunde erst die vergangenen fünf Jahre überhaupt erst ein paar Ideen erbracht haben, was man konkret tun müsste, um ländliche Regionen zu stabilisieren. Dass das Thema funktionierender ÖPNV ganz zentral ist, ist ja mittlerweile zumindest auch im SPD-geführten Verkehrsministerium akzeptiert worden. Was Gebhardt ganz vergessen hat: Auch die Ermöglichung von Gemeinschaftsschulen ist elementar zum Erhalt von Schulstandorten im ländlichen Bereich. Dazu kommt das Thema Landarztpraxen, das sogar die CDU als Handlungsfeld begreift.
Aber das reicht natürlich nicht, um die jungen Leute auf dem Dorf zu halten. Denn das, was Gebhardt kritisiert, wirkt ja weiter. Die neuen Arbeitsplätze entstehen in den Großstädten. Die Zentralisierung geht weiter. Man kann die Dörfer mit Geld überschütten – aber das schafft keine neuen stabilen Arbeitsstrukturen. Und man darf nicht vergessen: Der Kapitalismus wohnt nicht nur in den großen Städten. Er hat auch die sächsische Landwirtschaft im Griff, wo riesige Industriebetriebe mit immer weniger Personal riesige Ackerflächen bewirtschaften und Tiere in riesigen Stallanlagen halten.
Es ist genau dieses Immermehr und Immerbilliger, das auch die ländlichen Räume entleert hat und Arbeitsplätze gerade in der Landwirtschaft vernichtet hat (und aktuell dem Umbau zu einer ökologischen Landwirtschaft blockiert). Das aber auch die Innenstädte der Kleinstädte entleert hat, weil kleine Händler gegen die immer riesigeren Supermärkte am Stadtrand nicht mehr konkurrenzfähig sind.
Man muss also deutlich intensiver über Wirtschaftsstrukturen nachdenken. Und über Steuern. Denn dass riesige Konzerne bestimmen, wo sich überhaupt noch Strukturen wie Supermärkte rechnen, hat auch mit einem Steuersystem zu tun, das große Unternehmen bevorteilt. Und zwar nicht nur im Weltvergleich, wie Oxfam jetzt zum G7-Gipfel in Biarritz betonte. Gerade Handwerker und andere kleine Gewerbetreibende können ein Lied singen über das deutsche Steuersystem.
Gleichzeitig werden sie seit Jahren von riesigen Logistik-Konzernen niederkonkurriert, weil es für viele Menschen „billiger“ ist, sich alles per Päckchen nach Hause liefern zu lassen, als den Weg zum nächsten Laden auf sich zu nehmen. Ein umweltzerstörerisches System. Und ein System, das gerade kleine Gewerbetreibende regelrecht vom Markt fegt. Auch im scheinbar so wohlhabenden Norden.
„Die Bundesregierung spricht sich für Steuertransparenz aus, blockiert aber in Europa nach Kräften eine Regelung, die Konzerne verpflichten würde, öffentlich zu berichten, in welchen Ländern sie wie viel verdienen und welche Steuern sie darauf zahlen“, kritisiert Jörn Kalinski, Leiter Politik und Kampagnen bei Oxfam Deutschland.
Zwar setze sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich international für Mindeststeuersätze ein, tue aber wenig dafür, dass deutsche Unternehmen in Entwicklungsländern tatsächlich höhere Steuern zahlen. Oder auch angemessene Steuern in Deutschland. Da geht es um mehr als die 10 Milliarden Euro, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hofft, mit einer Vermögenssteuer einnehmen zu können.
In der Konzentration von Wirtschaft und Arbeitsplätzen in den Großstädten spiegelt sich auch die deutsche Steuerpolitik, die Kleingewerbetreibende höher belastet als international agierende Großkonzerne. Auch das Geld fließt permanent ab aus den ländlichen Regionen, statt dort in den Wirtschaftskreisläufen zu verbleiben.
Nur so als Erweiterung des Gedankens. In Wirklichkeit hat noch keine Partei wirklich ernsthaft begonnen, über die Probleme der ländlichen Räume nachzudenken.
Unsere Dörfer müssen sich neu erfinden – aber wie könnte das aussehen?
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Eine Frage an den Autor:
> sich alles per Päckchen nach Hause liefern zu lassen, als den Weg zum nächsten Laden auf sich zu nehmen. Ein umweltzerstörerisches System.
Inwiefern ist das umweltzerstörend? Ist es nicht ökologischer, wenn ein Transporter (=DHL) 50 Pakete von Großstadt L in Kleinstadt G fährt und dort lokal verteilt, als wenn 50 Autos von G nach L fahren um je 1 Paket zu holen?