Das war dann wohl der erhellendste Moment in der Wahlarena des MDR am Montag, 26. August, als Martin Dulig, SPD-Vorsitzender und noch Wirtschaftsminister Sachsens, beim Thema Kohleausstieg erklärte: „Wir tragen Verantwortung, es geht um Verlässlichkeit. Am Schluss geht's ja darum: Haben wir eine Mehrheit von CDU, Grünen und SPD oder wird das Land unregierbar?“
Und das fünf Tage vor der Wahl. In einem Moment, in dem Parteien normalerweise noch einmal alles tun, um sich zu profilieren und ihre Kernanliegen deutlich zu machen. Dabei war Dulig nicht einmal gefragt worden, welche Koalitionsabsichten die SPD hat. Was Moderatoren ja gerne fragen in so einer Situation, um die Kandidaten aus der Reserve zu locken. Denn gestalten kann am Ende nur, wer möglichst viele Wähler hinter sich vereinigen kann.
Aber dafür muss man kämpfen. Nichts ist so schädlich, wie den Wählern das Gefühl zu vermitteln, sie bekämen ja doch wieder die gewohnte Kost, wenn das Land eigentlich in Wechselstimmung ist. Und die SPD wäre durchaus eine Partei, die von der Wechselstimmung profitieren könnte, wenn sie tatsächlich den Mut hätte, sich von ihrer deprimierenden Rolle als ewiger Mehrheitsbeschaffer für die CDU zu verabschieden.
Den Ärger für die nicht abgesprochene Koalitionsaussage bekam Martin Dulig sofort.
Denn während der Minister sich selbst in Wahlkampfäußerungen gern als Vertreter der CDU/SPD-Regierung präsentiert, kämpfen gerade die jüngeren SPD-Mitglieder nun seit Monaten dafür, dass nicht nur die Regierung in Dresden wechselt, sondern auch die SPD endlich einen anderen Kurs fährt.
Am Dienstag, 27. August, sprach Dulig in Leipzig bei der Jubiläumsfeier zum 20. Geburtstag des Netzwerkes für Demokratie und Courage (NDC) und sagte dabei so staatsmännische Worte wie: „Es ist richtig, dass der Freistaat Sachsen diese Arbeit fördert und auf Augenhöhe zusammenarbeitet. Wir wollen diese Arbeit in den kommenden Jahren verstetigen. Die Vereine, Projekte und Initiativen brauchen Planungssicherheit und Kontinuität. Deshalb brauchen wir in Sachsen ein Demokratiefördergesetz, das die Arbeit der Zivilgesellschaft langfristig unterstützt. Sollte der Bund ein solches Gesetz nicht auf den Weg bringen oder sollte ein solches Gesetz keine ausreichende Wirkung in Sachsen erzielen, werden wir ein eigenes sächsisches Demokratiefördergesetz beschließen. Gleichzeitig werden wir die Mittel im Kampf gegen Rechts weiter erhöhen. Wir werden deshalb das Landesprogramm ,Weltoffenes Sachsen‘ finanziell noch besser ausstatten. Die Zunahme rechtsmotivierter und rechtsterroristischer Straftaten hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Wir wollen die Zivilgesellschaft so dabei unterstützen, menschenverachtende Einstellungen als Ursache rechter Gewalt kontinuierlich zurückzudrängen.“
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Da sprach das Regierungsmitglied Martin Dulig, das auch in fünf Jahren Regieren mit der CDU kaum einmal kritische Worte gegenüber dem Koalitionspartner fallen ließ, der bei mehreren SPD-Projekten immer wieder mauerte und seine Mehrheit ausspielte, um diese Projekte zu verhindern. Das ging von der Kommunalfinanzierung über die Bildung (Stichwort Gemeinschaftsschule) bis zum Nahverkehr. Irgendwann tut selbst das Zuschauen nur noch weh.
Die jüngeren SPD-Mitglieder, die freilich an der Basis darum kämpfen, dass die SPD wenigstens wieder 10 Prozent bekommt, empfanden Duligs Erklärung zu einer künftigen Zusammenarbeit mit CDU und Grünen in Sachsen als kalte Dusche. Denn dafür kämpfen sie eigentlich nicht.
Amrei Drechsler, Landtagskandidatin im Wahlkreis 37 (Meißen 1), erklärte am Dienstag: „Die Nachricht kam für uns ohne Vorwarnung. Eine Woche vor der Wahl geben wir aber nicht auf. Frischer Wind für Sachsen kann nur von links kommen, alles andere ist abgestanden.“
Und Irena Rudolph-Kokot, die in Leipzig einen engagierten Wahlkampf führt, ergänzt: „Wir sehen die sächsische CDU nicht als Teil der Lösung für eine progressive Entwicklung Sachsens, sondern als Teil des Problems im Bundesland. Sie regiert nun seit fast 30 Jahren ohne Pause. Es ist höchste Zeit für Veränderung – aber ohne Rückwärtsrolle.“
Dass nun ausgerechnet die rechtsnationale AfD vom Wechselwillen der Wähler profitiert, empfinden gerade die jungen SPD-Mitglieder, von denen viele im Bundestagswahlkamnpf von Martin Schulz in die SPD eingetreten sind, um die mutlosen SPD-Verbände wieder zum Kämpfen zu animieren, sowieso schon als frustrierend. Denn sozial ist an der AfD in Sachsen nichts.
Worauf Anfang des Monats schon Laura Stellbrink, Vorsitzende der sächsischen ASF, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, hinwies: „Wer AFD wählt, wählt die Gleichstellung von Mann und Frau ab. Es genügt ein Blick in das Wahlprogramm der Partei: Was dort als sogenannter ,ideologiegetriebener Wertewandel‘ verteufelt wird, heißt in der Konsequenz nichts anderes als ,Frauen zurück an den Herd‘. Familie ist dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Menschen sollen so leben und lieben können, wie sie das möchten.“
Und sie schüttelt nur den Kopf über diese Partei, die noch viel gestrigere Ansichten hat, als die eh schon sehr konservative CDU in Sachsen. Laura Stellbrink: „Gerade in den ostdeutschen Bundesländern sind Frauen seit Jahrzehnten selbstbewusst und stehen auf ihren eigenen Beinen. Eine Frau, die AfD wählt, schadet sich damit massiv selber.“
Da hätte wohl auch ein bisschen mehr Kampfeswille in der sächsischen SPD-Spitze geholfen, den Wählern ein anderes Politikangebot zu machen.
Sophie Koch, Jugendkandidatin der SPD und Jusos Sachsen zur Landtagswahl: „Wir brauchen eine starke SPD – in einem #R2G Sachsen. Was für Koalitionen möglich sind sehen wir am Sonntag. Nicht angstgetrieben vorher.“ Amrei Drechsler und Irena Rudolph-Kokot sind Mitglieder im Landesvorstand der SPD Sachsen. Und es sieht schon jetzt so aus, dass das Wahlergebnis der SPD am 1. September über die Zukunft von Martin Dulig entscheiden wird. Nicht nur darüber, ob er wieder ein Ministeramt bekleiden wird, sondern auch, ob er sich noch als Landesvorsitzender halten kann. Dabei war er selbst mal Juso-Vorsitzender in Sachsen. Aber gerade die Jusos hat er mit seiner Aussage zur Kenia-Koalition schon jetzt verärgert.
Im Juni übrigens hatten die Leipziger Jusos schon deutlich gemacht, dass sie die Kampagne „#umkrempeln“ unterstützen.
Dazu erklärte der Leipziger Juso-Vorsitzende Marco Rietzschel damals: „Es ist schon lange Beschlusslage der Jusos, dass wir uns für eine Rot-Rot-Grüne Mehrheit im Freistaat Sachsen einsetzen. Die sächsische CDU hat knapp 30 Jahre regiert und geht Probleme nicht an, obwohl diese an vielen Stellen sichtbar sind. Wir wollen deshalb klarmachen, dass es einen progressiven Politikwechsel nur mit R2G geben kann. Wer zukünftig in einem vielfältigen, solidarischen und klimagerechten Sachsen leben will, sollte die Kampagne daher unterstützen. Wir Jusos tun dies aus tiefer Überzeugung.“
Die Kampagne „#umkrempeln“ wurde unter anderem von der Juso-Landtagskandidatin Sophie Koch und weiteren Parteimitgliedern der SPD Sachsen, von Die Linke Sachsen und Bündnis 90/Die Grünen Sachsen initiiert, um für einen Regierungswechsel in Sachsen zu werben.
Und es gibt auch noch ein zweites Bündnis, das für eine Rot-Grün-Rote Regierungsmehrheit wirbt und von Amrei Drechsler, Irena Rudolph-Kokot und Sophie Koch unterstützt wird: „Damit Sachsen nicht kippt“.
Wie sehr auch die vielen Wahlumfragen die Wahl beeinflussen und wohl auch Dulig dazu gebracht haben, so derart ohne Anlass schon eine Koalitionsaussage zu treffen, ist just bei „Damit Sachsen nicht kippt“ schon nachzulesen: „Der Kampf gegen die AfD wird auf plumpe Weise instrumentalisiert zur Wahlwerbung für drei Parteien. Unter ihnen auch noch die CDU, der wir den Aufstieg der AfD in Sachsen doch wesentlich zu verdanken haben und die nun von uns dafür auch noch unsere Stimmen geschenkt bekommen soll. CDU wählen gegen rechts? Das ist die Antwort? Wie weit das postdemokratische Denken inzwischen sogar in die Hirne von engagierten, gutwilligen Leuten eingesickert ist, schon bei der jüngsten Generation – auch das zeigt die Initiative Zukunft Sachsen leider. In einem Bericht von Spiegel Online erfahren wir: ,Die sogenannte Kenia-Koalition habe rein mathematisch die beste Aussicht, gegen eine Mehrheit von CDU und AfD anzukommen, glauben die jungen Sachsen.‘ Es ist erstaunlich: Man kann Wahlergebnisse neuerdings schon vor der Wahl ausrechnen!“
Da ist Martin Dulig wohl auch ein klassisches Beispiel von Demotivation fünf Tage vor der Ziellinie.
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Keine Kommentare bisher
Wenigstens war er ehrlich und hat nochmal deutlich gesagt, was die SPD ist: Ein Satellit der CDU.
Solche Leute merken erst, das dieser Weg auch der Weg unter die 5%-Hürde ist, wenn sie da angekommen sind. Da kann man nur viel Glück auf dem Weg wünschen.
Ich frage mich nur, wieso die Jusos überhaupt Jusos werden wollten, das die SPD die falsche Partei für ihre Vorstellungen ist, konnte doch schon ewig jeder sehen.