Es ist etwas Seltsames eingezogen in die heutige politische Diskussion: Man diskutiert nicht mehr miteinander, sondern fรคllt mit Hรคme รผbereinander her und wirft der Opposition einfach vor zu lรผgen. Oder so, wie es die โFreie Presseโ in Chemnitz am 20. November formulierte: โGeneralsekretรคr Dierks wirft Gegnern โbewusste Falschdarstellungenโ vor.โ Alexander Dierks ist Generalsekretรคr der sรคchsischen CDU.
Und damit natรผrlich jener Partei, die vorrangig fรผr die geplante Verschรคrfung des sรคchsischen Polizeigesetzes verantwortlich ist. Via โFreie Presseโ kรผndigte er nun eine Kampagne fรผr das von CDU und SPD gemeinsam entworfene kรผnftige sรคchsische Polizeigesetz an und warf den Gegnern der Novelle โFalschbehauptungenโ vor.
Den Ton kennt man sonst eher von der AfD oder von Poltergeistern wie Donald Trump. Man setzt sich aufs hohe Ross, geht auf die Argumente der politischen Gegner gar nicht erst ein, sondern macht sie pauschal verรคchtlich mit der Behauptung: Ist doch eh alles falsch.
Wahrscheinlich nicht bedenkend, dass man damit auch die Wรคhler sehr verรคchtlich behandelt, die nicht alle so einfรคltig sind, wie es sich politische Macher gern vorstellen. Denn wenn Parteien in der Opposition sind, bedeutet das nicht zwingend, dass sie falsch ticken oder zu dumm sind, Regierungsvorlagen zu begreifen, sondern schlicht, dass sie die Dinge anders sehen und andere Lรถsungsansรคtze bevorzugen โ oft darin auch den besseren Weg sehen, Probleme zu lรถsen.
Nicht immer setzt sich eine vernรผnftigere Sicht auf Politik auch in Wahlergebnissen durch. Oft dominieren Emotionen. Wie leicht man mit Emotionen ein ganzes Land spalten kann, ist ja derzeit in Groรbritannien und den USA bestens zu beobachten. Der Ton ist rรผde geworden โ und fรผr eine sachliche Debatte geht der Boden immer mehr verloren.
Was dann โ leider โ vielen Regierenden oft das staatsmรคnnische Gefรผhl gibt, das Wahlergebnis wรผrde ein unwiderleglicher Wahrheitsbeweis fรผr ihre politischen Ansichten sein.
Genau diese รberheblichkeit lieร Dierks nun verlautbaren. Und Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sรคchsischen Landtag, nutzt die Gelegenheit, den Generalsekretรคr der kรถniglichen Staatspartei zum Streit einzuladen.
โIch lade Herrn Dierks hiermit ganz offiziell ein, mit mir gemeinsam in einem oder auch mehreren รถffentlichen Bรผrgerforen das beabsichtigte Polizeivollzugsdienstgesetz sowie das Polizeibehรถrdengesetz zu erlรคutern und zu diskutieren. Dabei wird sich unter Teilnahme von Bรผrgerinnen und Bรผrgern recht schnell herausstellen, wer welche Mythen รผber den Gesetzentwurf in Umlauf bringt und welche tatsรคchlichen Grundrechtseingriffe mit den im Gesetz verankerten Befugnissen verbunden sein werdenโ, sagt Stange.
Wohl wissend, dass er damit ein Novum fรผr Sachsen fordern wรผrde, wo sich die CDU ungern in echte Diskussionen mit Oppositionsparteien im Landtag einlรคsst. Selbst in den Landtagsdiskussionen geht man nicht auf die Argumente etwa der Linkspartei ein. Logisch, dass damit der echte politische Streit รผber Alternativen fehlt. Auch das ein Problem fรผr den Freistaat. Wo 28 Jahre so getan wird, als mรผsste man die demokratische Opposition nicht ernst nehmen, entsteht natรผrlich so eine Melange, wie sie das Klima im Land mittlerweile bestimmt.
Dass der Gesetzentwurf auch problematische Passagen enthรคlt, die direkt mit den Verfassungsrechten der Bรผrger kollidieren, wรผrde in so einem Streitgesprรคch auch zur Sprache kommen mรผssen.
โMit dem Gesetzentwurf haben CDU und SPD Instrumentarien der Strafverfolgung aus der Strafprozessordnung in das Gefahrenabwehrrecht รผbertragen und wollen unter dem Ansatz, Straftaten verhรผten zu wollen, polizeiliche Maรnahmen ermรถglichen, die tief in Grund- und Freiheitsrechte sowie in den Kernbereich privater Lebensfรผhrung von Bรผrgerinnen und Bรผrgern eingreifenโ, stellt Stange fest. โSo sollen aufgrund polizeilicher Prognosen unbescholtene Menschen mit Meldeauflagen, Aufenthaltsver- und -geboten sowie Kontaktverboten belegt werden kรถnnen.โ
Und er kann noch mehr Punkte benennen, bei denen eine ehrliche und offene Diskussion notwendig wรคre: โAuch das Zeugnisverweigerungsrecht von รrzten, Psychologen und Journalisten steht mit diesem Gesetz auf dem Spiel. Damit wรผrden die auf Vertrauen gebauten Beziehungen zwischen Patienten und ihren รrzten und Psychologen ebenso gefรคhrdet wie zwischen Informanten und Journalisten. Zudem dรผrfte dies offenbar auch ohne richterliche Entscheidung erfolgen, was im Strafverfahren nur mit richterlichem Beschluss mรถglich wรคre.โ
Das sind erhebliche Eingriffe in Verfassungsrechte. Und die Klagen vorm Verfassungsgericht sind jetzt schon abzusehen. So ein Gesetz kann man nicht mit der Pauschalaussage, die Opposition verbreite โFalschaussagenโ, abbรผgeln. Das ist โ nach einer schlechten Gesetzesvorlage โ auch noch schlechter politischer Stil.
โEine ehrliche Information รผber die Befugnis- und Aufgabenzuweisungen sowie die damit verbundenen Risiken fรผr unbescholtene Menschen ist dringend erforderlichโ, findet Stange, der von der angekรผndigten Aufklรคrungskampagne des CDU-Generalsekretรคrs nicht wirklich Aufklรคrung erwartet.
โAuch wenn Herr Dierks mein Angebot nicht annehmen sollte, werde ich diese wichtige Aufklรคrungsarbeit fortsetzen. Es geht um nicht weniger als die ungehinderte Ausรผbung der Grund- und Freiheitsrechte und den Fortbestand der Unschuldsvermutung gegenรผber den Bรผrgerinnen und Bรผrgern.โ
Dass Dierks freilich so forsch agiert, hat mit den immer stรคrkeren Protesten des Bรผndnisses โPolizeigesetz stoppen!โ zu tun.
In dieser Form darf das Polizeigesetz den Sรคchsischen Landtag nicht passieren
In dieser Form darf das Polizeigesetz den Sรคchsischen Landtag nicht passieren
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 3 Kommentare
Nun ja, wir werden es live erleben, ob die AfD stรคrkste Fraktion wird (nicht daร ich das gut finden wรผrde) und was die gebeutelte CDU dann tut, ob sie mit allen anderen gegen die AfD regieren wird? Ich habe so meine Zweifel, aber keine Angst.
Bleibt die Frage, was fรผr Sachsen besser und sicherer ist. Oder: Ob man aus der Angst- oder Mutperspektive heraus agiert. ๐
Ich denke ja, daร die CDU da auf dem falschen Dampfer ist. Bisher haben die Wรคhler immer das Original gewรคhlt, dann wirdโs fรผr die CDU eng zwischen AFD und vergilbten Grรผnen. Ich gรถnne ihnen ja die absehbare Klatsche, aber besser wirdโs fรผr Sachsen dadurch sicherer nicht.