Verbale Schelte für sein LVZ-Interview vom 24. Januar hat Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ja schon postwendend von der Linksfraktion bekommen. Auch zu seiner Position zur sächsischen Braunkohleverstromung in der Lausitz. Eigentlich müsste man das Interview technisch auseinandernehmen, denn es ist ein Glanzstück journalistischer Nasführung. Aber andererseits steht ein Ministerpräsident auch für seine Aussagen. Und ein "Weiter so" wird Kretschmer nicht wirklich gut tun. Auch nicht im Klimaschutz.
CDU und SPD haben am Freitag, 26. Januar, in Berlin ihre Koalitionsverhandlungen aufgenommen. Der Klimaschutz droht dabei völlig unter die Räder zu kommen, stellt Gerd Lippold, der klima- und energiepolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Sachsen fest. Selbst einmal gesetzte Ziele sollen auf einmal nicht mehr gelten. Dieses Handeln ist von der sächsischen CDU-SPD-Koalition bestens bekannt, findet er.
“Die Dreistigkeit, mit der die GroKo die Verbindlichkeit selbst gesetzter und vielfach bekräftigter Klimaschutzziele in die ferne Zukunft verschieben, ist unglaublich”, erklärt Gerd Lippold, “Das Ganze auch noch ‘Ehrlichmachen’ zu nennen, macht sprachlos. Allerdings vermisse ich bei dieser Ehrlichkeit von CDU und SPD, dass die Zielerreichung 2020 erst durch eigenes, bewusstes Nichthandeln so schwierig geworden ist.”
Und dann mahnt er etwas an, was die Bundesbürger seit Jahren nicht mehr erlebt haben: ein Ausloten der Politik, wie man vereinbarte Ziele auch erreichen kann. In Sachen Braunkohleausstieg wurde das Thema nicht nur ausgesessen, sondern regelrecht vom Tisch gefegt.
Machtfrage ging vor Lösung
“Obwohl die ehemalige und künftige Koalition wusste, dass die Instrumente der eigenen Politik ungeeignet sind, die gesetzten Ziele zu erreichen, hat sie nicht etwa die Politik geändert und die Instrumente geschärft. Lieber wartet sie bis zum letzten Moment, um die Ziele anzupassen. Nach dem gleichen Schema gehen die beiden Regierungsparteien hier in Sachsen vor”, kritisiert Lippold. “Dieses unentschuldbar verantwortungslose Vorgehen gegenüber kommenden Generationen und dem gesamten Ökosystem machen wir zum Thema unserer Aktuellen Debatte der Landtagssitzung am kommenden Mittwoch.”
Ganz ähnlich hatte am 24. Januar schon Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, die Äußerungen von Michael Kretschmer in der LVZ kritisiert.
“Wie lange geht es mit der Braunkohle weiter?”, hatte der LVZ-Interviewer gefragt.
Und Kretschmer hatte geantwortet: “Ich habe immer wieder betont: Wir werden die Braunkohle zur Stromgewinnung in Deutschland noch etwa 30 Jahre benötigen. Nur so können wir die Versorgungssicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung garantieren. Die erneuerbaren Energien können derzeit keine sichere Energieversorgung garantieren, weil sie entweder zu viel oder zu wenig Strom einspeisen. Um dieses Problem zu lösen, bräuchten wir in großem Umfang wirtschaftlich tragfähige Speicherlösungen, die derzeit aber nicht in Sicht sind. Von einem Aus für die Braunkohle kann also aktuell keine Rede sein.”
Aber wirklich in Aussicht gestellt hat ihm die LEAG, der Braunkohlekonzern in der Lausitz, 30 weitere Jahre mit Braunkohlestrom ganz und gar nicht.
“Ein Ausstieg aus der Kohle nach dem Abschied von der Atomkraft ist also noch nicht möglich?”, hatte der LVZ-Interviewer suggestiv nachgefragt. Und Kretschmer antwortete: “Wer behauptet, ein gleichzeitiger Ausstieg aus Kernenergie und Kohle sei ohne Abstriche an der Versorgungssicherheit möglich, handelt verantwortungslos. Die Leag hat für die Lausitz ein Revierkonzept vorgelegt, das bis in die 2040er-Jahre eine Stromversorgung aus Braunkohle weitgehend ohne neue Tagebauerschließung garantiert. Dies ist für uns der Orientierungspunkt.”
Da hatte ihn die LVZ also wieder in der argumentativen Falle: “gleichzeitiger Ausstieg aus Kernenergie und Kohle”. Man bedauert Kretschmer beinah, weil er sich mit so einer Antwort auf eine Quatschfrage der LVZ selbst die Freiheit zum Denken eigener Lösungen verbaut. Und dem Provinzblatt eben auch nicht anders antwortet.
Denn um das, was die LVZ fragt, geht es in Sachsen gar nicht. Es geht hier schon lange nur noch um die Frage: Wie lange können LEAG und Mibrag noch wirtschaftlich Strom erzeugen aus der Braunkohle? Wann müssen sie (aus simplen wirtschaftlichen Gründen) die ersten Meiler abschalten? Und was kann die sächsische Staatsrtegierung tun, um den zwangsläufigen Strukturwandel zu gestalten? Denn dieser Strukturwandel kommt, egal, wie grimmig in der Lausitz protestiert und demonstriert wird.
Und jedes bisschen Menschenverstand sagt: Je besser die Staastsregierung Bescheid weiß über die Wege so eines Umbaus und je besser sie selbst vorsorgt, umso besser gelingt den Betroffenen der Umstieg.
Aber Sachsen hat kein Modell für so einen Strukturwandel
Stanislaw Tillich hat sich regelrecht verweigert, darüber überhaupt nachzudenken. Und wenn Kretschmer über das, was ihm die LEAG mitgeteilt hat, wirklich nachgedacht hat, dann stecken da keine “30 Jahre” mehr drin – nur noch eine vage Aussicht “bis in die 2040er Jahre”. Das sind eher 20 bis 25 Jahre. Das ist deutlich weniger Zeit, um den Strukturwandel noch in eigener Regie zu gestalten.
Oder mit den Worten von Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der Linken im Landtag: “Seine strukturpolitische Orientierungslosigkeit offenbart Kretschmer unfreiwillig mit der Bemerkung, dass die Leag ihm einen ‘Orientierungspunkt’ gegeben habe. Die CDU Sachsen drückte eine Braunkohle-Abbauplanung bis 2067 (Nochten II) als angeblich zwingend notwendig durch, nun sagt ein Unternehmen, das sich von Vattenfall Milliarden geben ließ, um in der Lausitz einzusteigen: vielleicht bis 2035, 2040, und Herr Kretschmer ist orientiert. Wir aber vergessen nicht, dass Herr Kretschmer auf Biegen und Brechen für Nochten II war und noch für den Braunkohle-Abbau Bestandsgarantie bis 2050 forderte, als Vattenfall schon im Abgang war. Eine Strukturpolitik, mit der die CDU/SPD-Staatsregierung insbesondere den in der Braunkohle Beschäftigten selbst Orientierung geben könnte, ist immer noch nicht zu erkennen.”
Das heißt: Die sächsische Regierungsspitze flüstert sich immer noch ins Taschentuch, statt jetzt ehrlich über einen gestalteten Strukturwandel nachzudenken. Was natürlich auch den bislang unehrlichen Umgang mit den eigenen Klimazielen einschließt.
Denn Gerd Lippold hatte den sächsischen “Umweltminister” Thomas Schmidt (CDU) ja extra gefragt und im Mai 2017 auch Antwort bekommen: Bei der Erreichung der sächsischen Klimaschutzziele tut sich nichts. Gar nichts.
“Derzeit liegen selbst die unambitionierten sächsischen Klimaschutzziele der schwarz-gelben Vorgängerregierung, aus denen die Braunkohle noch komplett ausgeklammert ist, außer Reichweite. Die Staatsregierung verweigert jede Stellungnahme dazu, ob und wie sie diese eigenen Ziele zu erreichen gedenkt”, kommentiert Gerd Lippold diese Art von Politik-Verweigerung. “Noch bizarrer ist das Verhalten von Ministerpräsident Michael Kretschmer. Er besteht öffentlich auf der Notwendigkeit, noch 30 Jahre Braunkohle zu verstromen, obwohl er selbst im Bundestag mitbeschlossen hat, das Pariser Klimaschutzabkommen für Deutschland völkerrechtlich verbindlich zu machen. Dessen Ziele jedoch, in nationale Verpflichtungen übersetzt, schließen solche Gedanken kategorisch aus.”
Das Drama ausbaden müssen am Ende die Bewohner der vom Strukturwandel betroffenen Regionen.
“Angesichts der Größe der Aufgabe und der Konsequenzen eines möglichen Scheiterns erwarte ich endlich eine ernsthafte Debatte der politisch Verantwortlichen im Freistaat”, sagt der Grünen-Abgeordnete. “Neben konstruktiven Vorschlägen, wie ein sozial verträglicher, schrittweiser Kohleausstieg im Einklang mit verbindlichen Klimaschutzvorgaben in Sachsen gestaltet werden kann, fordere ich die Staatsregierung auf, ihre Blockade gegen saubere Energie aus Wind und Sonne zu beenden.”
Die aktuelle Debatte der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag zum Thema “Morgen, morgen nur nicht heute sagen alle GroKo-Leute – Nichtstun beim Klimaschutz bestraft unsere Kinder und Enkel” findet am Mittwoch, 31.Januar, statt, Tagesordnungspunkt Nr. 6.
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