So ein bisschen hat Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, wohl verkannt, was da am Samstag, 14. Oktober, passiert ist, als die neun sächsischen Landräte der CDU in die Staatskanzlei von Ministerpräsident Stanislaw Tillich spaziert sind. Er hielt das wieder für eine der üblichen CDU-Partys, zu denen andere nicht eingeladen werden. War es auch in gewisser Weise. Aber ein bisschen anders als vermutet.
„Die CDU Sachsen erleidet eine Wahlniederlage, und dann treffen sich der CDU-Landesvorsitzende und sein Generalsekretär mit neun CDU-Landräten im Sitz des Ministerpräsidenten der Staatskanzlei, um über Veränderungen zu reden, die sich auf die Menschen in Sachsen auswirken sollen“, hatte Gebhardt kritisiert, als er von dem Treffen in der Staatskanzlei erfuhr. „Was ist eigentlich mit den drei Großstädten? Offenkundig wurde hier die Staatskanzlei einmal mehr für eine CDU-parteipolitische Nummer zweckentfremdet, denn wenn Herr Tillich hätte als Ministerpräsident über die Probleme Sachsens mit den kommunalen Spitzen sprechen wollen, hätten die drei Kreisfreien Städte mit an den Tisch gehört, die allerdings nicht von CDU-Vertretern repräsentiert werden.“
Das wäre zwar mal eine vernünftige Versammlung, wenn Landkreise und Kreisfreie Städte mit dem Ministerpräsidenten Tacheles über die Landespolitik reden könnten. Aber das wusste der Ministerpräsident immer schon zu verhindern.
Deswegen marschierten am Samstag, 14. Oktober, neun CDU-Landräte bei Tillich ein. Denn während Tillich und seine Freunde das Bundestagswahlergebnis vom 24. September schon wieder im alten Schema deuteten, waren die Landräte sich sehr wohl bewusst, dass sächsische CDU-Politik ein gerüttelt Maß Anteil an den Erfolgen der AfD in Sachsen hat. Und dass sie in den Landkreisen sehr direkt ausbaden, was die Landesregierung vergeigt hat.
Deswegen standen an diesem Samstag auch konkrete Personen zur Diskussion.
Was Gebhardt dann so für sich interpretierte: „Sachsens Finanzminister Unland dankte in seiner Rede zum aktuellen Doppelhaushalt 2017/2018 auch den Repräsentanten der Landkreise für die erzielte Einigung auf eine ‚ausgewogene und faire Lösung‘. Tatsächlich hatte man sich doch wohl ohne Einbeziehung des Landtages vor der Beratung des Doppelhaushaltes im Landtag geeinigt – nun beklagen sich die CDU-Landräte über zu wenig Geld. Wo war denn ihr großer Protest gegen die Kürzungspolitik des Finanzministers, wo ihr Aufbegehren gegen die Schulschließungen in ihren Landkreisen? Auch als an vielen Orten Polizeireviere dichtgemacht wurden, gingen sie nicht auf die Barrikaden. Sie haben es stillschweigend hingenommen und haben sich somit zu immer willigen Erfüllungsgehilfen der Landesregierung gemacht.
All dies belegt: Beim Treffen ging es wohl vorrangig um den Machterhalt für die dauerregierende CDU, und nicht um die Lösung der vielen von der CDU verursachten Probleme in Sachsen. Die CDU-Landräte mit ihrem Obrigkeitsdenken sind Teil des sächsischen Problems. Mit Staatspartei-Attitüde lässt sich die Krise nicht bewältigen. Ein neuer Aufbruch für ein anderes Sachsen ist nur möglich, wenn das Diktat des CDU-Parteibuchs in Sachsen baldigst beendet wird.“
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Aber ganz so war es nicht. Auch wenn vorerst – wie die „Sächsische Zeitung“ vermeldete – Tillich selbst als Ministerpräsident noch nicht zur Disposition stand. Kurz zuvor hatte ihn Alt-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf über ein Zeitungsinterview in der „Zeit“ geradezu für unfähig für das Amt bezeichnet und Thomas de Maizière als eigentlichen MP-Kandidaten ins Gespräch gebracht.
Was bei Sachsens CDU-Landräten überhaupt nicht gut ankam. Es sagt zwar keiner: Aber die Zeit der Bevormundung aus dem Westen der Republik ist eigentlich vorbei. Sachsens CDU steht tatsächlich vor der Aufgabe, sich von ihren Biedenkopf-Anfängen zu emanzipieren und endlich eigene Linien zu entwickeln. Die hat Tillich nämlich noch nicht. Deswegen schwankt er ja so, wie ihm mehrere Medien dieser Tage vorwerfen.
Deswegen haben die CDU-Landräte auch nicht nur um weitere finanzielle Unterstützung gebeten und ein regelrechtes Reformpaket verlangt, sie haben vom schwankenden Stanislaw auch Köpfe gefordert. Denn dass einige Ressorts in Tillichs Regierung viel zu schwach besetzt sind, wurde mit dem Rücktritt von Kultusministerin Brunhild Kurth unübersehbar.
Genau die drei Ministerposten, die schon bei der Kabinettsbildung 2014 zur Sprache kamen, sind jetzt reif für eine Neubesetzung. Es muss nicht nur ein neuer Bildungsminister/eine neue Bildungsministerin gefunden werden. Was die Landräte forderten, ist eine prinzipielle Kabinettsumbildung. Und als erste Kandidaten, die ihren Posten räumen sollen, wurden augenscheinlich Finanzminister Georg Unland und Innenminister Markus Ulbig genannt.
Die Parteifreunde Tillichs haben etwas bewirkt, was dem Landtag bei aller kompetenten Kritik nicht gelungen ist. Aber man darf auch nicht vergessen: Hinter ihnen stehen auch die stärkeren CDU-Ortsverbände. Wenn Tillich den Rückhalt in den CDU-Ortstverbänden verliert, war es das für ihn.
Gegenüber der „Sächsischen Zeitung“ versuchte er die Wirkung des Treffens dann wieder kleinzureden mit dem Satz: „Wir werden dort etwas ändern, wo die Säge geklemmt hat.“
Dabei ist er längst der Getriebene. Und dass er seine wichtigsten Stützen im Kabinett opfern muss, macht eigentlich deutlich, wie sehr er mit seiner Knauserpolitik auch die CDU-Ortsverbände verärgert hat.
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„Sachsens Ministerpräsident leidet weiter an Wahrnehmungsstörungen: Es geht nicht darum, dass irgendwo mal die Säge geklemmt hat, wie er sagt. Sondern Stanislaw Tillich selbst hat erst 2009 den drastischen Personalabbau bei Landesbediensteten (Zielzahl: 70.000) vorgegeben und dann in den Folgejahren nicht die Kraft zu rechtzeitigen Korrekturen gehabt. Richtungweisende Weichenstellungen im positiven Sinne gibt es von ihm gleich gar nicht“, kommentiert Rico Gebhardt das Treffen jetzt im Nachhinein, da klar ist, dass bei Tillich die neun mächtigsten CDU-Fürsten tatsächlich „Tacheles geredet“ haben. Freundlich, wie man hört. Aber wohl deutlich genug.
Was Gebhardt nun dazu bewegt, den angeschlagenen Ministerpräsidenten auch im Landtag zur Rede zu stellen. Denn das Problem, das jetzt den CDU-Landräten zu schaffen macht, ist das Problem aller Sachsen. In keinem anderen Bundesland ist die Stimmung – trotz wirtschaftlicher Erfolge – derart im Keller.
„Wir fordern Ministerpräsident Tillich auf, in der nächsten Landtagssitzung am 15. November eine Regierungserklärung zur Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in ganz Sachsen abzugeben. Dabei erwarten wir auch das längst überfällige Bekenntnis des mittlerweile dienstältesten Ministerpräsidenten in Deutschland zu seinen eigenen Fehlern. Die Menschen in Sachsen fühlen sich vielerorts vergessen, sehen ihre Sorgen um öffentliche Infrastruktur und Sicherheit vernachlässigt – für all dies trägt Herr Tillich mit der Richtlinienkompetenz des Regierungschefs seit neun Jahren die Verantwortung“, sagt Gebhardt.
„Erst wenn Tillich klar gesagt hat, was bisher warum falsch gelaufen ist und wie er umzusteuern gedenkt, könnte eine personelle Neuausrichtung im Kabinett etwas bringen. Natürlich halten wir den Finanzminister und den Innenminister für mental im Amt überfordert. Herr Unland hat Schulwesen und Polizei kaputtgespart, wo intelligente Bewirtschaftung von Haushaltsressourcen gefragt war. Herr Ulbig hat die Polizei auf der Straße verschwinden lassen und mehr Sicherheit durch fragwürdige Eingriffe in Grundrechte vorgetäuscht. Sie sollten aber erst dann ausgetauscht werden, wenn Tillich selbst einen Plan hat, an dem dann die Neuen mitwirken können.“
Was kompliziert wird: Wie zäumt man das Pferd jetzt auf? Denn eigentlich drängen die im ganzen Staatsapparat aufgehäuften Probleme nach schneller Lösung.
Die Frage ist vielleicht: Findet Tillich überhaupt die kompetenten Leute, die den Schutthaufen aufräumen können?
Denn der Fall Brunhild Kurth trat ja ein, weil sie überhaupt keine Kompetenzen bekam, das sächsische Schulwesen zu modernisieren. Der stockkonservative Flügel der sächsischen CDU verhinderte es.
Was Gebhardt zu der Aussage bringt: „Das Gleiche gilt Übrigens für die Bildungspolitik. Wenn Tillich nicht die Blockaden löst, längeres gemeinsames Lernen ermöglicht und den Lehrerberuf in Sachsen attraktiver macht, hat der Rücktritt von Frau Kurth als Kultusministerin nichts gebracht. So wenig wie der Wechsel von Roland Wöller zu Brunhild Kurth. Herr Tillich sieht sein Amt darin, anderen beim Verwalten zuzuschauen. Sein Job ist aber, selbst zu regieren – das muss er jetzt dringend tun.“
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