Für FreikäuferAm Donnerstagabend, 21. September, debattierte der Sächsische Landtag über einen Antrag der Grünen: Sachsen müsse unbedingt im nationalen Klimaschutz aktiv werden. Denn wie kein anderes Bundesland sitzt Sachsen das Thema aus, hat keinen Plan, wie es mal ein klimafreundliches Land werden will oder gar schaffen will, die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen. Mit Kohle und Diesel wird das nicht klappen.
Erst in der vergangenen Woche, am 14. September, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer TV-Debatte das Versprechen abgegeben, man werde Wege finden, um das nationale 40-Prozent-Klimaschutzziel bis zum Jahr 2020 einzuhalten.
Für die 40-Prozent-Reduktion müssen die jährlichen Emissionen bis dahin auf 750 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent gesenkt werden. Schon der Prognosebericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2017 berechnete mit 816 Millionen Tonnen im Jahr 2020 eine Lücke von 66 Millionen Tonnen zu diesem Ziel. Das Berliner Beratungsbüro Agora Energiewende prognostizierte Anfang September aber, dass auf dem heutigen Pfad 2020 noch immer 866 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent ausgestoßen werden. Die Klimaschutzlücke beträgt somit noch einmal 50 Millionen Tonnen mehr, also insgesamt 116 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.
Neue Maßnahmen zur Erreichung des nationalen Klimaschutzzieles bedeuteten − auf die Bundesländer heruntergebrochen − für den Freistaat, bis zum Jahr 2020 zusätzliche rund 5,6 bis 6,4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr einzusparen, abhängig davon, ob die Zahl nach dem Anteil an den Emissionen oder der Bevölkerung berechnet wird. Bei einer Angleichung der jährlichen pro-Kopf-Emissionen an den bundesdeutschen Durchschnitt müsste Sachsen seine Emissionen sogar um das Dreifache senken (um 17,2 Millionen Tonnen pro Jahr).
Der Grund dafür ist simpel: Der nach wie vor dominierende Anteil von Braunkohle an der sächsischen Energiegewinnung.
Aber auch Deutschland ist von der Erfüllung der beschlossenen Klimaschutzziele weit entfernt. Das hat die Bundesregierung bereits in ihrem jüngsten Projektionsbericht eingestanden. Das Berliner Beratungsbüro Agora Energiewende hat Anfang September eine Analyse vorgelegt, wonach das Ziel, die CO2-Emissionen Deutschlands bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, sogar krachend verfehlt zu werden droht. Wird der heutige CO2-Minderungspfad fortgesetzt, erreichen wir lediglich eine Senkung um 30,5 Prozent.
Nach der Bundestagswahl müsse daher eine Schärfung des nationalen Aktionsprogramms Klimaschutz 2020 auf der politischen Agenda stehen, die sich umgehend auch in einem sächsischen Energie- und Klimaprogramm widerspiegeln muss, fordern deshalb die Grünen. Das alte Programm des Freistaates von 2012 wurde durch die Staatsregierung bislang nicht aktualisiert, obwohl es im Koalitionsvertrag von 2014 vereinbart worden war.
„Der beste Zeitpunkt zum Einstieg in eine gezielte Klimaschutzstrategie in Sachsen wäre vor 20 Jahren gewesen. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt. Mit unserem Antrag fordern wir die Staatsregierung dazu auf“, erklärt Dr. Gerd Lippold, klimapolitischer Sprecher der Fraktion. „Noch in diesem Jahr muss der zuständige Minister Martin Dulig wenigstens die Eckpunkte des überarbeiteten Energie- und Klimaprogramms vorstellen. Sonst befindet sich Sachsen klimapolitisch im Blindflug, was die Ziele in den Sektoren wie Energiewirtschaft, Verkehr, Industrie, Wohnungswirtschaft und Landwirtschaft angeht. Mit neuen Maßnahmen im Bund kommen aber auf jedes Bundesland Herausforderungen zu. Diese müssen auch für Sachsen klar definiert und untersetzt werden.“
Zumindest am Donnerstag hoffte er noch, die Staatsregierung hat nach drei Jahren emsigen Regierens endlich auch den versprochenen Plan in der Schublade liegen.
„Sollte die Staatsregierung Pläne haben, wie die Einsparziele zu erreichen sind, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, diese aus der Schublade zu holen und im Landtag zu diskutieren. Nur wenn Sachsen mit eigenen Vorschlägen in die bundesweite Diskussion über neue Klimaschutzmaßnahmen gehen kann, wird der Freistaat ein Wörtchen mitreden können. Sonst darf die Staatsregierung vom Katzentisch aus zusehen, wie der längst überfällige Fahrplan für den Kohleausstieg festgelegt wird“, erläutert der Grünen-Abgeordnete. „Die bisherige klimapolitische Totalverweigerung der schwarz-roten Koalition in Sachsen ist verantwortungslos – gegenüber kommenden Generationen, aber auch gegenüber der Wirtschaft, den Kommunen und den Planungsverbänden. Sie alle brauchen langfristige Planungssicherheit!“
Aber damit tut sich Sachsens Regierung schwer. Sie versucht – ganz ähnlich wie Angela Merkel im Bund – den Spagat: Nur ja nichts ändern und trotzdem irgendwie auf wundersame Weise die Ziele erreichen. Aber ohne Plan klappt das nicht.
Das eigene, noch immer gültige Energie- und Klimaprogramm des Freistaates aus dem Jahr 2012 sieht zwischen den Jahren 2009 und 2020 3,8 Millionen Tonnen Emissionsminderung in Bereichen außerhalb des Emissionshandels vor und klammert die gesamte Braunkohlewirtschaft völlig aus, obwohl diese allein für zwei Drittel der sächsischen Emissionen verantwortlich ist. Logisch, dass eine Minderung des CO2-Ausstoßes nicht mal greifbar wird.
Die Staatsregierung hat laut Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Lippold vom Ende Mai 2017 keine Idee, wie sie wenigstens dieses selbst gesetzte Minimalziel bis 2020 noch erreichen kann.
„Es gibt nur einen Bereich, in dem innerhalb von drei Jahren bis 2020 große Einsparungen möglich sind. Es ist die Kohleverstromung“, so Lippold. „Allein die Stilllegung der zwei ältesten, fast 40 Jahre alten Blöcke P und N im Kraftwerk Boxberg mit zusammen etwa einem Gigawatt Leistung würde die sächsische Klimabilanz um über 4 Millionen Tonnen pro Jahr verbessern, ohne den Standort selbst zu gefährden. Die Reduzierung der Jahresauslastung der übrigen sächsischen Braunkohlenblöcke wäre der einzig gangbare Weg, um in dem kurzen Zeitraum zwischen 2018 und 2020 weitere ein bis zwei Millionen Tonnen CO2 einzusparen.“
Aber das würde einen Plan voraussetzen, wann Sachsen in welcher Weise die alte Energieerzeugung ersetzen will. Den Plan aber gibt es nicht. Nicht mal als Skizze.
Es werden am Ende wieder die Kommunen sein, die den Wandel gestalten. Auch ohne Landesregierung.
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