Der Fall Al-Bakr hat im vergangenen Jahr gleich mehrfach ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, wohin die letzten Jahre gnadenlosen Sparens den Freistaat und seine Behörden gebracht haben. Dass auch im Justizvollzugsdienst hunderte Mitarbeiter fehlen, ist nicht neu. Nur konnte die Staatsregierung bis zum Herbst so tun, dass das kein Problem sei. Seitdem ploppen die Skandalgeschichten in den Medien auf.
Denn schon vor dem vermeidbaren Selbstmord Al-Bakrs kam es immer wieder zu schwerwiegenden Vorfällen in den Haftanstalten. Nur: Die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts, weil alles hübsch intern geklärt wurde. Ein offizielles Berichtssystem über die Zustände in den Haftanstalten gibt es nicht.
Am Mittwoch, 1. Februar, wurde auch über den neuen Justizhaushalt debattiert. Diesmal nicht unterm Spardiktat, mit dem die Vorgängerregierung das Thema behandelt hatte. Dazu ist mittlerweile zu viel passiert. Auch zu viel in die Öffentlichkeit gedrungen.
Die Grünenfraktion hatte extra einen Antrag gestellt, das Justizpersonal deutlich kräftiger aufzustocken als von der Regierung geplant.
In ihrer Rede zu diesem Antrag zählte die Landtagsabgeordnete Katja Meier auf, was in den letzten Monaten allein in den Medien publik wurde und was das über den überall herrschenden Personalmangel in den JVAs erzählt:
- Juli 2016, JVA Torgau: Ein Gefangener versetzte einem anderen während des Aufschlusses derart wuchtige Schläge auf den Kopf, dass dieser wenige Tage später stirbt. Die notwendige Beaufsichtigung des Opfers im Krankenhaus durch Bedienstete der JVA führte dazu, dass 2 Stationen unter Verschluss bleiben mussten, weil nicht mehr genügend Bedienstete im Hafthaus anwesend waren.
- Oktober 2016, JVA Zwickau: Drei U-Häftlinge schmieden einen verheerenden Fluchtplan. Nachdem sie eine Kostklappe und ein Tischbein manipuliert hatten, lockten sie in der Nacht den einzigen Vollzugsbeamten auf der Station an und attackierten ihn aus dem Hinterhalt. Es ist pures Glück, dass Bedienstete auf anderen Stationen Geräusche gehört und zur Hilfe geeilt sind. Während der Aufschlusszeit war die JVA unterbesetzt, so stand nur ein Beamter für zwei Stationen zur Verfügung, abwechselnd war daher je eine Station trotz Aufschluss unbeaufsichtigt. Dies machte die Manipulationen erst möglich. In der Nacht waren planmäßig ohnehin nur 4 Beamte für die ganze JVA zugegen.
- Oktober 2016, JVA Bautzen: Ein Beamter wird von einem Gefangenen mit der Faust ins Gesicht geschlagen, darin verborgen eine Rasierklinge. Die Wunde des Beamten musste mit 18 Stichen genäht werden. An diesem Tag fehlten in der Frühschicht der JVA Bautzen krankheitsbedingt vier Beamte. Dass sich auf der Station, auf der der Angriff stattfand, überhaupt ein Beamter befand, lag daran, dass andere Stationen, nämlich die für besonders motivierte Gefangene, laut interner Dienstanweisung unbesetzt bleiben dürfen.
Ebenfalls der 12. Oktober 2016, JVA Leipzig: Den Fall Al-Bakr haben wir heute schon ausführlich besprochen. Die Expertenkommission kommt zu dem Ergebnis, dass seit der Ankunft des mutmaßlichen Terroristen vielfältige Fehler passiert sind und gegen gesetzliche Vorgaben, allgemeine Richtlinien und Weisungen verstoßen wurde. Keine Eingangsuntersuchung beim Anstaltsarzt und keine Sitzwache. Ursache dafür war auch die dünne Personaldecke.
- Januar 2017, JVA Leipzig: Ein 28-jähriger Häftling erhängt sich in seiner Zelle. Das Standard-Aufnahmeverfahren in der JVA durchläuft er wenige Stunden zuvor nur sporadisch – wohl aus Personalnot. Obwohl der Gefangene angab, aktuell unter Drogeneinfluss zu stehen, wurde er weder sofort dem Anstaltsarzt noch dem Sozialdienst vorgestellt. Die JVA Leipzig war zu diesem Zeitpunkt schon seit Tagen deutlich überbelegt. Die Personaldecke war – wie es mittlerweile Dauerzustand ist – extrem dünn.
- Januar 2017, wieder die JVA Leipzig: Die JVA ist nach wie vor extrem überbelegt. In einer mit vier Häftlingen belegten Gemeinschaftszelle versuchen zwei einen dritten zu erhängen, der vierte stellt sich schlafend.
Katja Meier zum Ergebnis der politisch gewollten Sparaktionen: „Der jahrelange Personalabbau vor allem im AVD führt die einzelnen Beamten in einen Teufelskreis aus Überlastung und Krankheit. Ist die Beamtin bzw. der Beamte gesund und einsatzfähig, sind Überstunden die Regel, da der urlaubs- oder krankheitsbedingte Ausfall anderer KollegInnen ausgeglichen werden muss. Überstunden auf Dauer führen zur Überlastung, die in Krankheit mündet. Ist man wieder gesund, geht der Kreislauf von vorn los: Überstunden, Überlastung, ungesunde Arbeitsbedingungen. Mich persönlich wundert es überhaupt nicht, dass die Beamten des AVDs im Durchschnitt 35 Tage pro Jahr krankgeschrieben sind.“
Im vergangenen Jahr hatten die Grünen extra eine Fachkommission beantragt, um herauszufinden, wie viel Personal im Justizvollzugsdienst eigentlich gebraucht würde.
Katja Meier war sichtlich pikiert, als sie sagte: „In der Stellungnahme zu unserem Antrag führte der Minister noch aus, dass ‚die Einrichtung einer Fachkommission (…) derzeit als nicht zielführend erachtet wird.‘ Heute, fünf Monate nach der Stellungnahme und nach dem Bericht der Expertenkommission zum Fall Al-Bakr haben Sie einen 4-köpfigen Sonderstab eingerichtet, der u.a. eine fundierte Erhebung zum Personalbedarf durchführen und konzeptionieren soll.“
Logische Frage an die Regierung: „Wieso muss eigentlich immer erst was passieren, bevor Sie zur Einsicht kommen?“
Mehr Personal wird es nun geben, das wurde mit dem Doppelhaushalt 2017/2018 beschlossen. Aber nicht so viel, wie es zum Beispiel Grüne und Linke erwartet hatten.
Dazu Harald Baumann-Hasske, Sprecher für Justizpolitik der SPD-Fraktion, aus seiner Rede zur Vorlage des Justizhaushaltes im Dezember: „Im Strafvollzug kommen wir nach der Beratung im Landtag jetzt auf 90 Vollzugsbeamte und 15 Stellen als Vollzeitäquivalente für Therapie und Sozialarbeit zusätzlich. Damit gehen wir die Überforderung des Personals im Vollzug an und haben eine Größenordnung gewählt, von der wir erwarten können, dass wir die Stellen in den nächsten zwei Jahren auch mit ausgebildetem Personal werden besetzen können.“
Denn was man in zehn Jahren eifrig weggespart hat, das lässt sich auch im Justizdienst nicht von heute auf morgen wieder ersetzen. Man braucht qualifiziertes Personal und muss es auch ausbilden. Und man steht jetzt auch endgültig im heftigen Wettbewerb mit der Wirtschaft um jeden ausbildbaren Kandidaten. Es wird auch im Justizvollzugsdienst fünf bis sechs Jahre dauern, bis sich die Situation endlich entspannt.
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