Hat Sachsen eigentlich eine nachhaltige Finanzpolitik? Das erfährt der Leser des Ersten sächsischen Nachhaltigkeitsberichtes nicht – obwohl sich ein ganzes Kapitel der „Nachhaltigen Finanzpolitik“ widmet. Und verglichen mit den Schuldenbergen anderer Länder sieht Sachsens Bilanz scheinbar ganz ordentlich aus. Nachhaltig, nennt das auch gern der Finanzminister. Aber das ist es nicht mal ansatzweise.
Auch wenn ausführliche Passagen wieder von dem seit 2014 in der Verfassung verankerten Neuverschuldungsverbot schwärmen oder einem Vorsorgeprinzip, mit dem Sachsen schon einmal die „impliziten Schulden“ der Zukunft vorwegnimmt und gigantische Rücklagen anspart. Jedes Jahr fließen allein eine halbe Milliarde Euro in den „Generationenfonds“, mit dem die Pensionszahlungen für Sachsens Beamte abgedeckt werden sollen. 5 Milliarden Euro sind dort mittlerweile angelegt – vor allem in Anleihen anderer Staaten und Bundesländer, was zumindest zu denken gibt: Was passiert beim nächsten Finanzcrash mit diesem Geld, das längst bei den ganz normalen Personalausgaben fehlt? Denn da hat Sachsen ja auf Teufel komm raus gespart und riskiert, dass im Bildungssystem, bei Polizei, an Gerichten und in Justizvollzugsanstalten die Arbeit nicht mehr ordentlich getan werden kann.
Was längst schon den sozialen Frieden im Land gefährdet. Was nutzt da eine völlig sinnfreie Schuldenbremse, wenn das Land mit den verfügbaren Geldern nicht jetzt arbeitet und vor allem Vorsorge trifft für eine absehbar ungemütliche Zukunft?
Das Selbstlob im Bericht ist nicht nachvollziehbar. Denn tatsächlich kommt selbst dieses Kapitel, das nicht mal ansatzweise über nachhaltige Finanzierungsstrategien für das Land nachdenkt, zu dem Fazit, dass all diese schönen Beispiele staatlicher Finanzkunst kein einziges der anstehenden Probleme lösen: „Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Freistaat Sachsen hinsichtlich der finanzpolitischen Nachhaltigkeitsziele sehr gut aufgestellt ist. Die grundgesetzliche Schuldenbremse wurde landesgesetzlich verankert. Für die künftige Entwicklung müssen aber Lösungen gefunden werden, wie mit den finanziellen Auswirkungen des demografischen Wandels, der Entwicklung der Flüchtlingssituation, den auslaufenden Solidarpaktmitteln und der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (insbesondere dem Länderfinanzausgleich) umgegangen wird. Nachhaltige Finanzpolitik erfordert einen stetigen Anpassungsprozess in Hinblick auf fiskalische Herausforderungen und sich ändernde Rahmenbedingungen.“
Aber dieser „stetige Anpassungsprozess“ sieht eher wie ein Festhalten am einmal gefundenen Konstrukt aus. Wenn mehr Geld vom Bund kommt, wird beim Finanzausgleich ein bisschen mehr verteilt. Und trotzdem haben immer mehr Kommunen in Sachsen Probleme, überhaupt noch genehmigungsfähige Haushalte aufzustellen, wie Nachfragen des linken Landtagsabgeordneten André Schollbach ergaben.
Was ja schon in diesem Fall heißt: Sachsens Finanzpolitik ist nicht ansatzweise nachhaltig.
Was auch mit der rigiden Sparpolitik zu tun hat: Das Geld steht für die ökonomische Entwicklung des Landes einfach nicht zur Verfügung, nicht für die Problemlösung bei den „Auswirkungen des demografischen Wandels“ (für die es nicht mal Lösungsansätze gibt) noch für die Sicherung zukunftsfähiger Infrastrukturen.
Wahnsinnig stolz ist Sachsen auf seine enorme Investitionsquote von 18 Prozent. Ohne dass auch nur eine einzige Untersuchung vorliegt, wie nachhaltig das Geld eigentlich investiert ist. In wichtigen Bereichen wie dem Schulneubau, dem ÖPNV, dem sozialen Wohnungsbau oder dem Radwegeausbau fehlt es unübersehbar. Was ist also nachhaltig an den sächsischen Investitionen?
Oder werden dabei nicht wieder nur alle anderen Nachhaltigkeitsziele des Landes unterlaufen? Böden zerstört, Ackerflächen bebaut, Flüsse kanalisiert und dauerhaft von ihren Auen abgeschnitten? – Der Finanzminister wird das nicht auseinanderdröseln, wenn ihm niemand sagt, wonach er wichten muss.
Auf die „Kommunale Selbstverwaltung – Finanzpolitik der Gemeinden“ kommt der Nachhaltigkeitsbericht zwar extra zu sprechen, nimmt aber die Finanzierungsprobleme der Kommunen, die meist unter dem ganzen Bündel von Investitionsstau, demografischem Wandel und steigenden Soziallasten leiden, nicht wirklich ernst. Im Bericht heißt es fast flapsig: „Mit der Einführung der Doppik hat sich, auch wenn noch keine umfassenden Statistiken vorliegen, gezeigt, dass zahlreiche Kommunen nicht in der Lage sind, die Ergebnishaushalte auszugleichen. Wesentliche Ursache hierfür sind die hohen Investitionen, insbesondere in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die zu entsprechenden Abschreibungsbeträgen führen. Allerdings handelt es sich hierbei um einen temporären Sondereffekt.“
Mit einer wirklichen Analyse, ob die Gemeindefinanzierung in Sachsen nachhaltig ist, hat das nichts zu tun.
Versteckt ist diese Aussage in dem Kapitel „Nachhaltige Entwicklung und Zukunftsgestaltung selbst in die Hand nehmen – Kommunale Selbstverantwortung und Bürgerengagement“, wo man nun eigentlich ein paar Worte zu einer wirklich nachhaltigen Bürgerbeteiligung erwartet. Aber über eine bloße Aufzählung von Initiativen und Netzwerken, die sich in Sachsen ehrenamtlich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen, kommt das Ganze nicht hinaus. Schon das Bildungskapitel war eine Enttäuschung, denn darin rühmt sich die Regierung, das Thema Globale Nachhaltigkeit endlich auch mal in den Schulbüchern zu verankern. Gar als erstes deutsches Bundesland.
Was so gründlich an den Herausforderungen der Gegenwart vorbeigeht, dass man nur staunt. Denn damit wird es wieder nur zum Feigenblatt, nicht zum Generalthema aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen, die in der Schule vermittelt werden.
Wenn wir unsere gesamte Zukunft nicht nachhaltig denken, haben wir keine.
Irgendwie ist diese Botschaft in der sächsischen Regierung noch nicht angekommen.
Und auch das „bürgerschaftliche Engagement“ ist nur ein Feigenblatt, hat weder Relevanz noch Wirkung in einem Politikumfeld, in dem nachhaltiges Denken einfach keinen Platz hat.
Der sächsische Nachhaltigkeitsbericht erzählt tatsächlich von einem Politikverständnis, dem jeder Sinn für nachhaltiges Wirtschaften völlig abgeht. Der letzte Satz im Fazit sagt eigentlich alles, nachdem man wieder lauter Anstrengungen versprochen hat, „für aktuelle und künftige Herausforderungen (…) nach langfristigen und tragbaren Lösungen zu suchen.“ Was ja schon das Eingeständnis ist, dass man noch nicht einmal weiß, was man eigentlich sucht. Und wahrscheinlich auch noch nicht mal gesucht hat.
„Das Erreichen der globalen Ziele der 2030-Agenda wird nur in einem übergreifenden und breit angelegten Prozess möglich sein“, behauptet man im Fazit. „Und es wird der Beitrag von Akteuren aller Ebenen, d. h. des Bundes, der Länder, der Kommunen, aber auch des Einzelnen in seinem persönlichen Umfeld erforderlich sein.“
Spätestens da dürfte sich der gewöhnliche Sachse an den Kopf fassen: Was will diese Regierung eigentlich? Warum sollen sich jetzt wieder erst mal die Anderen bemühen? Wissen diese ganzen hoch bezahlten Minister und Amtsträger wirklich nicht, wie man ein Land nachhaltig umbaut? Und der Bericht zeigt ja, dass sie es nicht wissen. Dass ihnen anderes wichtiger ist. So wie im letzten Satz: „Die Sächsische Staatsregierung ist gewillt, einen eigenen Beitrag in diesem Prozess zu leisten. Sie wird auf Grundlage einer soliden und generationengerechten Finanzpolitik auch weiterhin anspruchs- und verantwortungsvolle Ziele verfolgen, damit das Leben im Freistaat Sachsen auch für künftige Generationen attraktiv bleibt.“
Was diese Regierung unter solider Finanzpolitik versteht, haben wir angesprochen. Mit nachhaltig hat das nichts zu tun. Und wie die „verantwortungsvollen Ziele“ aussehen, ist nirgendwo im Bericht zu lesen. Nur lauter Baustellen sind drin, die zeigen, dass man nachhaltige Politik eigentlich scheut wie der Teufel das Weihwasser. Und gerade die Abschnitte zur Finanzpolitik machen deutlich, dass man gerade in Sachsen Austeritätspolitik mit Nachhaltigkeit verwechselt. Deswegen gibt es auch keine ausfinanzierbaren Umbaukonzepte, um das Land nachhaltiger zu machen.
Oder um den viel malträtierten Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz noch mal aus der Versenkung zu ziehen: Den Wald, den die Kinder und Enkel einmal nutzen können, den müssen wir heute pflanzen. Da nutzt es nichts, das Geld dafür in Anleihen anzulegen in der vagen Hoffnung, es könnte in 50 Jahren zum Waldpflanzen ausreichen. Und das trifft eben nicht nur auf den Wald zu, sondern auf alle unsere Lebensgrundlagen. Bis hin zur Bildung. Denn die Krux am nachhaltigen Denken ist: Es setzt die Fähigkeit voraus, die ganze komplexe Zukunft jetzt vorauszudenken. Möglichst mit allen Folgen.
Wenn wir so weitermachen wie bisher, zehren wir die Zukunft unserer Enkel auf. Und es ist geradezu peinlich, das dann auch noch nachhaltig zu nennen.
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In gewisser Weise kann man froh sein, daß die Kommunen nicht genügend finanzielle Mittel haben.
Daß Kindergärten und Schulen in Leipzig so “hängen” hat ja nur teilweise etwas mit fehlenden finanziellen Mitteln zu. Zum Teil sind die Problem eben hausgemacht.
Und wenn das Geld da wäre, dann wäre es in genau solche Projekte, wie den unsäglichen und verlogenen Gewässerverbund geflossen. Weil die Kommunen das so wollen.