Manchmal hat man das Gefühl, manche Leute lernen es einfach nicht. Erst prescht die AfD vor und verwahrt sich in empörtem Ton gegen das „Sachsen-Bashing“, das man seit den Vorfällen um den mutmaßlichen Terroristen Al-Bakr ausgemacht zu haben glaubt. Dann stimmt die CDU in die Empörung ein. Sogar der ehemalige sächsische Innenminister Thomas de Maizière singt das Lied von unbescholtenen Sachsen. Und dann macht auch noch die „Sächsische Zeitung“ einen Artikel draus.

Was schon verblüfft, weil die sächsischen Regionalzeitungen bislang nicht wirklich besonders eifrig waren, das sächsische Staatsversagen aufzuarbeiten. Den SZ-Artikel gab es so auch erst, nachdem Martin Dulig, Vorsitzender der sächsischen SPD, Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister in Sachsen, im „Stern“ ein geharnischtes Interview gegeben hat.

Er sprach von einem qualitativen Problem der Führungsebenen, von Justizversagen und von einer Schönrederei, die selbst noch die schlimmsten Vorfälle zu vertuschen sucht. So wütend hat man den eher zurückhaltenden SPD-Mann lange nicht erlebt.

Aber als Mitglied der Kabinettsrunde weiß er natürlich, gegen welche Mauern der kleine Koalitionspartner anrennt. Denn was im Fall Al-Bakr öffentlich wurde, erzählt ja von einem tiefsitzenden Verschleiß des sächsischen Staates. Darunter leiden natürlich alle Institutionen. Doch die Verantwortlichen in den Führungspositionen ducken sich weg, weil sie wissen, dass sie nur aus Goodwill ihrer Vorgesetzten dort sitzen. Ein kleiner Widerspruch reicht, und sie sind abgesetzt und in den Innendienst versetzt. Kritik wird im obrigkeitlichen Sachsen bestraft – mal mit Geldentzug, mal mit Liebesentzug, meist mit Entzug von Verantwortung. Und am Ende sitzen in den entscheidenden Positionen Leute, die lieber gar nichts tun, als die Königspolitik in Dresden auch nur vorsichtig zu kritisieren.

Nur so nebenbei: Diesen duckmäuserischen Staatsapparat hat Dulig ja wohl in den letzten zwei Jahren kennengelernt. Wenn man auf nichts mehr ein ehrliches „Ja, das machen wir“ bekommt, dann wird selbst ein Ministerjob zur Frustration.

Auch wenn die „Sächsische Zeitung“ nun so tut, als läge die Kommunikationsmalaise auf beiden Seiten. Von „Paartherapie“ schreibt die SZ, als hätte sie nicht beobachten können, wie betoniert die aufs Sparen und Horten versessene CDU in der Regierung auch noch den kleinsten SPD-Versuch abblockt, die Staatsfinanzierung wieder den Möglichkeiten und Notwendigkeiten anzupassen. Im Gegenteil: Ob Schule, Polizei, Justiz – es wird weiter geflickt, gebremst, gemauschelt. Und alle Probleme, die daraus entstehen, werden beschönigt, weggelächelt oder weggeschwiegen. Das ist das, was Stanislaw Tillich, der amtierende Ministerpräsident die ganze Zeit tut.

Dirk Panter, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, brachte es am 19. Oktober auf den Punkt, wie die genervte SPD das Mauern und Schönklagen mittlerweile sieht: „Die Handlungsfähigkeit des Staates ist an vielen Stellen in Gefahr. Sachsen ist zu lange auf Verschleiß gefahren. Es macht die Menschen unzufrieden, wenn das Land jedes Jahr Überschüsse erzielt, gleichzeitig aber staatliche Leistungen nicht erfüllt werden: wenn nicht mehr vor jeder Klasse ein Lehrer steht, wenn die Polizei mangels Personal lange braucht, wenn das Bildungssystem Verlierer schafft oder die Verwaltung sich oft nicht kümmert und ermöglicht, sondern eher verhindert. Die Wurzeln der Verunsicherung liegen auch hier. Wir wollen uns auf unserem Parteitag klar positionieren: für einen starken Staat, der seine Aufgaben erfüllen kann und für die Menschen da ist – besonders für diejenigen, die weniger Chancen haben. Dies wollen wir nicht gegen, sondern mit einer starken Bürgergesellschaft erreichen.“

Duligs Interview war also kein Alleingang.

Die Frage ist natürlich: Was passiert eigentlich in den ganzen Kabinettssitzungen?

Die Frage stellte sich am Donnerstag, Rico Gebhardt, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag: „Was machen die Regierungsmitglieder von CDU und SPD eigentlich bei Kabinettssitzungen? Ich frage mich, ob die Herren Tillich und Dulig überhaupt noch miteinander sprechen. Wenn nun CDU-Generalsekretär und SPD-Vizeministerpräsident gleichsam im politischen Duell über die grundsätzliche Ausrichtung sächsischer Regierungspolitik stehen, wirft dies ein schlechtes Licht auf den Ministerpräsidenten, der offenbar über keinerlei Steuerungskompetenz, geschweige denn Amtsautorität verfügt.“

Genau das wird wohl zutreffen. So weit voneinander entfernt sind Linke und SPD in ihrer Einschätzung der Lage gar nicht.

„Es geht hier nicht um einen Sandkasten-Streit ‚Wer hat das schöne Sachsen beschmutzt?‘. Es geht um ein bereits seit Jahren komplett versagendes Krisenmanagement. Und es geht vor allem um die Frage, wie das chronische Staatsversagen in Sachsen überwunden werden kann. Tillich hat mit wirklichkeitsfremden Personalzahl-Vorgaben (‚70.000‘, so im Jahr 2009) Polizei und Justiz ebenso der personellen Auszehrung preisgegeben wie die Lehrerschaft. Hinzu kommt erschütternde Kraftlosigkeit gegenüber den Angriffen von Rassisten und Rechtsextremisten auf die Grundfesten zivilisierten Zusammenlebens“, zählt Gebhardt auf. Den Vorschlag der SZ für eine „Paartherapie“ findet er eher daneben. „Ob die Herren Tillich und Dulig eine politische ‚Paartherapie‘ benötigen, müssen sie selbst entscheiden. Ich empfehle der CDU/SPD-Koalition eine grundsätzliche Aussprache. Anschließend sollte dann der Ministerpräsident dem Landtag gegenüber eine Regierungserklärung abgeben und klarmachen, wie er das Heft des Handels wieder in die Hand zu bekommen beabsichtigt.“

Wenn Tillich sich das traut. Wir bezweifeln es.

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