LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 29Es gibt Tage, da schaut man in sein überquellendes E-Mail-Postfach und denkt: Da fehlt doch etwas. Und am Tag darauf ebenfalls. Bis einem einige – genauer: 16 – Tage später klar wird, dass da bestimmte Institutionen und Behörden offensichtlich nicht antworten wollen oder können. In diesem Fall das Sächsische Ministerium des Innern (SMI) zu einer parlamentarischen Auskunft des Innenministers in Sachsen. Dabei war die Bitte um Informationen eine einfache, und neben dem SMI eigentlich an die fünf sächsischen Polizeidirektionen in Leipzig, Chemnitz, Dresden, Görlitz und Zwickau gerichtet. Anfragen, die das SMI kurz nach dem 22. Februar 2016 einkassierte, um sie zentral zu beantworten.
Der Anlass waren diverse Probleme bei Legida- und Pegida-Demonstrationen in den vergangenen zwölf Monaten: Am 12. Februar 2016 erhielt Valentin Lippmann (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN) auf die parlamentarische Nachfrage, wie es eigentlich um die Weiterbildung sächsischer Einsatzbeamter in Sachen Presserecht bestellt sei, von Innenminister Markus Ulbig (CDU) die schriftliche Auskunft: „Es wird (…) darauf hingewiesen, dass die monatliche dezentrale Fortbildung der Einsatzeinheiten der Bereitschaftspolizei bedarfsorientiert unter Berücksichtigung des Fortbildungsstandes der Einheiten sowie der aktuellen Einsatzlage erfolgt und in der jüngsten Vergangenheit mehrere Fortbildungsveranstaltungen unter Einbeziehung von Pressevertretern durchgeführt wurden.“
Ministerauskünfte sind zu glauben
Beruhigend – würde da nicht angesichts der im Rahmen der christdemokratischen „Polizeireform 2020“ herbeigesparten Dauerüberlastung der rund 12.000 Polizeibeamten im Freistaat der Dauerzweifel nagen. Zwar dreht es sich dabei nur um einen Teil der Ausbildung, doch wäre es gut zu wissen, dass nach den massiven Attacken von Legida- und Pegida-Demonstranten – wie auch vonseiten einzelner Einsatzbeamter – Zeit und Mühe für die Pressefreiheit und deren Gewährleistung investiert wurden.
Vor allem, da sich seit Wochen eine öffentliche Debatte um die Frage dreht, wie sich Polizeibeamte in Sachsen gegenüber vermeintlich „linken“ Demonstranten und Journalisten bei Demonstrationen von Legida in Leipzig, Chemnitz und Dresden verhalten. Und natürlich darum, wie es um die Aus- und Weiterbildung eines klassischen Einsatzbeamten im Dienst bestellt ist. Ganz abgesehen von seiner politischen Neutralität während des Einsatzes.
Nicht unwichtig deshalb, weil die Menschen – ganz gleich, ob in angespannten Lagen bei Fußballspielen oder Demonstrationen – erwarten dürfen, dass der „Bürger in Uniform“ sich in verschiedenen Lagen auch individuell rechtskonform verhält und weiß, was er tut. Gern glaubt man an den guten Schutzmann, den Freund und Helfer, denn in Notsituationen ist er es, der die Staatsgewalt auf der Straße vertritt.
Oder man fragt nach
Zum Beispiel, wann und wo diese Schulungen in den vergangenen drei Monaten stattgefunden haben. Und welche Pressevertreter „in der jüngsten Vergangenheit“ bei mehreren Fortbildungsveranstaltungen einbezogen wurden. Fragen, die am 22. Februar 2016 gestellt wurden – und dann war Schweigen. Bis auf eine Ausnahme, welche wohl fast einen Ausrutscher im wohlgefälligen Mantra der gut aufgestellten sächsischen Polizei bei der Aufarbeitung der Nacht von Clausnitz darstellt.
Ein Polizeipräsident schaltet auf Attacke
Aus Dresden kam Post: persönlich vom Polizeipräsidenten der Landeshauptstadt, Dieter Kroll. Zwar keine Auflistung der Treffen mit Journalisten, dafür aber ein Einblick in das Denken eines hochrangigen Beamten kurz vor der Pensionierung.
Im Schreiben heißt es zur Kompetenz von Journalisten frei von der Leber weg: „Die aktuellen Konfliktfelder im Verhältnis Medien – Polizei sollten tatsächlich zeitnah gründlich ausgeleuchtet und ‚entmint‘ werden. Ich gehe davon aus, das ist auch Ihr Anliegen und darin stimmen wir durchaus überein. Zugleich erscheint es mir aber schwierig. Auch deshalb, weil auf Seiten der Medien zwar die fachliche Erwartungshaltung an das schwächste Glied in der (Polizei-)Kette – nämlich die Einsatzbeamten der Bereitschaftspolizeien aller an Einsätzen beteiligten Länder und des Bundes – hoch ist, Journalisten ihrerseits aber oft und auch aus Ihren (!) Fragenkatalog offensichtlich, über keinerlei valide Rechtskenntnisse oder Vorstellungen von der Organisation Polizei verfügen.“
Nachdem der fragende Journalist nun nach zehn Jahren Demonstrationsbegleitung schon mal keine Kenntnisse über den Rechtsrahmen von Polizeiarbeit hat, kann er selbstredend auch die Verhältnismäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme nicht einschätzen. Kroll weiter: „Von der Kompetenz, die Geeignetheit polizeilicher Einsatzmaßnahmen sowie deren Verhältnismäßigkeit oder die Erforderlichkeit von Personalstärken einschätzen zu können, will ich gar nicht sprechen. Aber man tut es.“
Wäre hier Schluss, könnte man beleidigt sein oder schmunzeln und eine weitere Nachfrage an den tönenden Polizeipräsidenten senden. Aber dazu ist man laut Kroll gar nicht legitimiert, denn „was, außer beispielsweise dem mit vielen Gadgets beworbenen käuflichen Erwerb eines Mitgliedsausweises vom ‚Deutschen Journalisten-Verband‘ (DJV), muss man als Befähigung nachweisen, den verantwortungsvollen und wichtigen Job eines Journalisten ausüben zu können? Das Bild eines ‚Bürgerjournalisten‘ kann mich nicht überzeugen“, schreibt der Bürger in Uniform an den Bürger mit der fehlenden Lizenz zur Nachfrage. Platz, Schmierfink, unwürdiger, geh zu Legida und höre, was das „Volk“ über dich denkt.
Weshalb man auch nicht erwarten könne, dass die Polizeidirektion den Fragespiegel dahingehend beantwortet, „dass ich die Aussagen des Innenministers dadurch öffentlich korrigiere oder relativiere, obgleich das für Ihre Verwertung wohl einen gewissen Unterhaltungswert hätte. Ihre Fragen sind zum Teil durch Herrn Staatsminister bereits beantwortet, zum anderen Teil ist eine Polizeidirektion der falsche Adressat“, so Kroll.
Es gab also keine Schulungen oder Arbeitstreffen mit Journalisten in Dresden. Da war man in Leipzig bereits im März 2015 weiter als in der Landeshauptstadt, aus der Kroll noch einen letzten, etwas versöhnlicheren Gruß sendet: „Aufarbeitung tut Not! Das sehe ich genauso. Aber dazu muss man sich auf beiden Seiten besser (oder überhaupt) gründlicher vorbereiten. Wenn Sie das wollen und das irgendwie anschieben könnten … die PD Dresden wäre dabei. Für Schnellschüsse steh ich nicht zur Verfügung. Sie bringen nichts vom Notwendigen.“
Weitere Schnellschüsse seitens der Polizei
Zumindest ist der Journalist mit seinem gekauften Presseausweis und der Inkompetenz nicht allein auf weiter Flur, wenn es Korpsgeist statt offenem Dialog aus Dresden und Umgebung hagelt. Auch in Kesselsdorf an der Dresdner Stadtgrenze war man dieser Tage auf 180. Nachdem Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sich erdreistet hatte, gegenüber der „Zeit“ zumindest mal die Vermutung zu äußern, dass es unter Polizeibeamten eine höhere Sympathie gegenüber Pegida geben könnte als in der sonstigen Bevölkerung, kochte auch die sächsische Polizeigewerkschaft mit Terpentin und servierte prompt.
Eher in Form einer Realsatire lief die sächsische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Cathleen Martin, ausgerechnet in der rechtskonservativen und Pegida-freundlichen Zeitschrift „Junge Freiheit“ heiß und forderte eine Entschuldigung vom Minister. Assistiert aus Sachsen, wo der sächsische Landesbezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Hagen Husgen, dem Problem wenigstens etwas näher kam. Denn zur ganzen Wahrheit gehöre, „dass in den letzten Jahren massiv bei der sächsischen Polizei gespart wurde. Wir können praktisch niemanden mehr zu einer Fortbildung schicken, und wir haben viel zu wenig Personal für die viel zu vielen Aufgaben. Das den Polizistinnen und Polizisten vorzuwerfen, ist eine Frechheit.“
Stimmt. Der Vorwurf geht dann wieder Richtung Innenministerium und den derzeit schweigsamen Minister Markus Ulbig. Also an den Kopf des Fisches. Bis sich dort etwas tut, kann man sich an die Initiative „Dresden Nazifrei“ wenden und durch Zeugenberichte einen geplanten Fernsehbeitrag zum Thema „Rechtsradikalität und Polizei/Justiz in Sachsen“ unterstützen. Wenn gewünscht, auch anonym. Betroffene können sich sachsenweit an kontakt@dresden-nazifrei.com wenden.
Mehr unter www.l-iz.de/tag/LegidaPegida
Dieser Artikel erschien am 11.03.16 in Ausgabe 29 der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier zum Nachlesen für die Mitglieder in unserem Leserclub.
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