Eigentlich leben wir in Zeiten, in denen alles gemessen werden kann, alle Daten gesammelt, gespeichert und ausgewertet werden können. Und eigentlich auch alle Systeme anhand dieser Daten optimiert werden könnten. Aber das nutzt nicht viel, wenn das Interesse gering ist, zum Beispiel den sächsischen Rettungsdienst zu optimieren. Aussitzen scheint auch hier angesagt, kritisiert Valentin Lippmann.
Er hat es hier wieder mit dem sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu tun, der nicht nur für Polizei und Wohnungsbau zuständig ist, sondern auch für die Kontrolle des Rettungswesens in Sachsen. Organisieren müssen das zwar die Kommunen, aber die Aufsichtspflicht bleibt beim Land. Deswegen war der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag, Volkmar Zschocke, im Januar schon einmal richtig sauer, weil sich der Innenminister bei seinen Anfragen zur Notfallversorgung in Sachsen immer wieder wegduckte und für zwei Berichtsjahre nicht mal Zahlen vorlegen konnte.
„Dieser rechtswidrige Zustand bei der Erhebung der gesetzlichen Hilfsfristen in Notfällen muss unverzüglich beendet werden. Innenminister Markus Ulbig (CDU) verletzt hier weiterhin klar seine Pflicht als oberste Aufsichtsbehörde für den Rettungsdienst in Sachsen. Das Nichterfassen oder das Nichtauswerten der gesetzlich verpflichtend einzuhaltenden Hilfsfristen ist nicht nur rechtswidrig, sondern auch im höchsten Maße gefährlich. Immerhin entscheidet die Hilfsfrist im Ernstfall über Leben und Tod“, so Zschocke im Januar.
Folge war dann ein Antrag der Grünen-Fraktion „Notfallrettung in 12 Minuten? – Rechtswidrigen Zustand bei der Erhebung der gesetzlichen Hilfsfristen in Notfällen unverzüglich beenden“, auf den der Innenminister eine durchaus durchwachsene Stellungnahme abgab.
Und eine neue Anfrage von Valentin Lippmann zu den Einsatzzeiten, die ab 2014 ja nun wieder vorliegen müssen. Das tun sie auch. Und sie bestätigen den Grünen-Abngeordneten in der Vermutung, dass noch immer viel zu viele Rettungseinsätze zu spät am Einsatzort sind.
Allein im ersten Halbjahr 2015 war der Rettungsdienst in den Direktionsbezirken Chemnitz und Leipzig in über 16.000 von insgesamt 111.158 Einsätzen − also in knapp 15 Prozent aller Einsätze − nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehen Zeit von 12 Minuten vor Ort.
„Nachdem Innenminister Ulbig mehrfach versucht hat, sich durch die Nichtbeantwortung von Anfragen zur Einhaltung der Hilfsfristen um das Problem herumzumogeln, liegt es nun zumindest für etwa zwei Drittel Sachsens schwarz auf weiß auf dem Tisch. Im Freistaat sind in 15 Prozent aller Fälle die Rettungsdienste nicht innerhalb der gesetzlichen Hilfsfrist vor Ort“, kritisiert Valentin Lippmann als innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. „Dabei muss nach der Landesrettungsdienstplanverordnung in 95 Prozent aller Einsätze der Rettungsdienst innerhalb von 12 Minuten vor Ort sein.“
In die Nähe dieses Wertes kommt nur der Rettungszweckverband der Versorgungsbereiche Landkreis Leipzig und Region Döbeln mit 92,64 bis 94,99 Prozent.
Schon in der Stadt Leipzig kommen nur rund 87 Prozent aller Rettungseinsätze innerhalb der gesetzlichen Zeitfrist an – trotz Blaulicht und Sirene.
„Dass dieser nicht hinnehmbare Zustand seit Jahren anhält, ist auch ein Versagen des Innenministers. Weder sein zuständiges Innenministerium noch die Landesdirektion haben bisher Maßnahmen der Rechtsaufsicht getroffen und versuchen offensichtlich, das Problem in unverantwortlicher Art und Weise auszusitzen“, kritisiert Lippmann. Und fordert: „Diese unhaltbaren Zustände müssen endlich ein Ende haben. – Wenn der Rettungsdienst in 15 Prozent der Einsätze nicht rechtzeitig vor Ort ist, geht dies auf Kosten der Gesundheit von Menschen. Davor kann der Innenminister als Chef der Aufsichtsbehörde für den Rettungsdienst nicht länger die Augen verschließen. Er muss schleunigst geeignete Maßnahmen treffen, um diesen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.“
Aus der Ostecke Sachsens gibt es nicht einmal Zahlen. Dort scheint noch immer der Ausbau des Systems der „Integrierten Regionalleitstellen“ dafür zu sorgen, dass die Datenerfassung einfach ausfällt, so wie es in den anderen Rettungsbezirken auch zwei Jahre lang der Fall gewesen ist.
„Verschärft wird die Situation des sächsischen Rettungsdienstes noch dadurch, dass für den Direktionsbezirk Dresden seit 2013 weiterhin keine aussagekräftigen Zahlen vorliegen“, so Lippmann. „Nach Inbetriebnahme der ‚Integrierten Regionalleitstellen‘ können wegen Schwierigkeiten mit der Software aktuell und wahrscheinlich noch bis Ende des Jahres keine Statistiken mehr über die Rettungsdiensteinsätze geführt werden. Ob der Rettungsdienst in Dresden oder in Sachsens Osten rechtzeitig vor Ort ist, weiß derzeit offenbar kein Mensch.“
Die Grüne-Fraktion hat zwar einen Antrag in den Sächsischen Landtag eingebracht, in dem der Innenminister aufgefordert wird, geeignete Maßnahmen zu treffen, um den Notstand bei den Rettungsdiensten zu beseitigen. Das Innenministerium ist als oberste Brandschutz-, Rettungsdienst- und Katastrophenschutzbehörde für die Kontrolle der Hilfsfristen zuständig und muss im Rahmen der Aufsicht tätig werden. Aber so sah das Markus Ulbig in seiner Stellungnahme vom Februar überhaupt nicht. Für die Rettungseinsätze und die Einhaltung der Fristen seien allein die Kommunen zuständig. Und von einem halbjährlichen Bericht an den Landtag, ob die Missstände abgestellt sind, hielt er auch nichts: „Ein halbjährlicher Bericht an den Landtag zum Umfang der Einhaltung der Hilfsfristen ist aus Sicht des Sächsischen Staatsministeriums des Innern nicht geboten. Die Berichtspflicht der kommunalen Aufgabenträger besteht gegenüber der oberen Brandschutz-, Rettungsdienst- und Katastrophenschutzbehörde, diese nimmt ihre Kontrollfunktion wahr und wird ggf. rechtsaufsichtlich tätig werden.“
Diese oberste Behörde ist aber das Innenministerium. Und wie er hier selber anmerkt, muss der Innenminister „ggf. rechtsaufsichtlich tätig werden“. Der Fall scheint gegeben. Eigentlich müsste er handeln.
Stellungnahme der Staatsregierung zum Antrag der Fraktion Grüne.
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