Was man nicht wissen will, wird einfach nicht erfasst. So ungefähr kann man auch die jüngste Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf eine Anfrage von Enrico Stange zusammenfassen. Das ist der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion. Wobei das mit dem Erfassen so auch nicht stimmt: Erfasst werden Angriffe auch gegen Ausländer und Asylsuchende sehr wohl. Nur eine ordentliche Statistik gibt es dazu in Sachsen nicht.
Und die Statistik, die es gibt, wurde auch erst 2014 mit einigem Zögern eingeführt, weil die sächsischen Rechtsradikalen sehr systematisch begonnen hatten, geplante oder schon existierende Asylbewerberunterkünfte anzugreifen und möglichst zu zerstören. Dass die Sache System hat, haben noch nicht einmal die entscheidenden Regierungsinstanzen begriffen, sonst hätten sie nicht monatelang von „besorgten Bürgern“ geredet.
Mittlerweile beherrschen Sachsens Rechtsradikale die Kunst, sich hinter bürgerlichen Mäntelchen und fiktiven Bürgerinitiativen zu verstecken, perfekt. Doch nicht perfekt genug, dass ihnen emsige Journalisten dabei nicht auf die Spur kommen. Aber diverse Landtagsanfragen haben ja mittlerweile gezeigt, dass das noch lange nicht heißt, dass auch Polizei und Verfassungsschutz auf diesem Stand sind.
Bei der Polizei ist es natürlich auch ein Problem der fehlenden Spezialkräfte fürs Internet, wobei die gesuchten IT-Spezialisten eigentlich noch viel mehr können müssen, als nur die Schleimspur verkleideter Rechtsradikaler in sozialen Netzwerken zu verfolgen.
Aber nach all dem hat Enrico Stange gar nicht gefragt. Er wollte nur die Zahlen haben für die registrierten Angriffe gegen Ausländer und Asylsuchende in Sachsen, die die Polizei ja haben muss. Immerhin ist dieser Fakt oft genug Teil der Einordnung einer Straftat als rechtsextrem motiviert. Das passiert zwar noch viel zu selten, aber es wird bei der Aufnahme eines Tathergangs in der Regel erfasst.
Aber Sachsens Innenministerium hat bis heute kein Verfahren entwickelt, das diese Straftaten auch statistisch auslesbar macht.
Entsprechend hilflos klingt es, wenn Markus Ulbig – in einem ganzen Wust von Erklärungen – auf gleich vier von Stanges Fragen antwortet: „Die sächsische Polizei führt keine Statistiken im Sinne der Fragestellungen. Angaben zum Aufenthaltsstatus der Opfer von Straftaten werden in den polizeilichen Datensystemen statistisch auswertbar nicht erfasst. Insofern liegen keine Angaben dazu vor, wie viele Asylbewerber sowie Nichtdeutsche ohne den Aufenthaltsgrund Asylbewerber Opfer einer Straftat geworden sind. – Zur vollständigen Beantwortung der Fragen müssten insofern alle infrage kommenden Ermittlungsverfahren händisch ausgewertet werden. Dies wären allein für das Jahr 2014 über 300. 000 Straftaten.“
Da gibt es eigentlich nur einen Kommentar: Schreibt Sachsens Polizei tatsächlich noch mit Federkiel?
Extra gezählt werden tatsächlich nur die Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte. Die haben ja nun genug Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt. Aber obwohl die Aufmerksamkeit hoch ist, konnten die meisten Täter nicht ermittelt werden. Was dann Enrico Stange, den innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, doch gewaltig ernüchtert.
„Das OAZ macht sicherlich gute Arbeit, daran sollte kein Zweifel gelassen werden. Allerdings stellt sich die Erfolgsstatistik der Aufklärung von politisch motivierter Kriminalität (PMK) u. a. am Beispiel der Angriffe auf Asylunterkünfte etwas anders dar. Die Fallstricke der Statistik liegen wie immer im Detail“, stellt er nun nach Ulbigs Antwort fest. „Wie aus der gerade erst zugegangenen Antwort der Staatsregierung auf meine Kleine Anfrage dazu (Landtags-Drucksache 6/4350) hervorgeht, wurden 2014 insgesamt 31 politisch motivierte Angriffe auf Asylunterkünfte gezählt. Davon mussten 27 Fälle der PMK rechts zugeordnet werden, bei vier Fällen erfolgte keine Zuordnung. Von diesen 31 Fällen konnten nur vier aufgeklärt werden.“
Das OAZ ist das Operative Abwehrzentrums (OAZ), das alle Fälle zugewiesen bekommt, hinter denen ein extremistischer Hintergrund vermutet werden muss. Und PMK ist Polizeisprachgebrauch für Politisch motivierte Kriminalität. Den Begriff Extremismus gibt es in der Polizeiarbeit aus gutem Grund nicht. Denn wenn politische Beweggründe dazu führen, dass Menschen Straftaten begehen, dann hat das mit irgendeiner Art Extremismus nichts zu tun, sondern ist ganz schlicht: kriminell.
2015 ging ja bekanntlich die Zahl der Anschläge drastisch nach oben – auch weil die Täter glauben konnten, ihre Taten würden von Teilen der Bevölkerung sogar toleriert: Es wurden insgesamt 118 politisch motivierte Straftaten gegen Asylunterkünfte gezählt, davon 106 PMK rechts, 1 PMK links, 11 PMK nicht zugeordnet. Darunter finden sich schwere Straftaten gegen Leib und Leben – zwei Tötungsdelikte, neun Körperverletzungen, 18 Brandstiftungen, vier Sprengstoffexplosionen. Von diesen 118 Fällen konnten aber auch nur 26 aufgeklärt werden, was einer Aufklärungsquote von 22 Prozent entspricht.
„Es gibt also keinerlei Grund zum Jubel über eine hohe Aufklärungsquote im Allgemeinen, es stellt sich die Frage, welche Fälle mit einer hohen Aufklärungsquote zu Buche schlagen. Angriffe auf Asylunterkünfte und gegen Leib und Leben der Geflüchteten sind es bedauerlicherweise nicht“, sagt Stange.
Die Statistik, die Ulbig liefert, macht freilich auch deutlich, wo sich die Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte besonders ballen, und das ist eindeutig Pegida-Land: Ostsachsen. Von den 118 gezählten Anschlägen wurden allein 26 im Landkreis Sächsische Schweiz / Osterzgebirge registriert, 17 in Dresden, 6 im Landkreis Meißen und 8 im Landkreis Bautzen. Mit den 2 im Landkreis Görlitz sind es 59 – die Hälfte aller Anschläge wurde also allein im Direktionsbezirk Dresden gezählt. 36 gab es im Regierungsbezirk Chemnitz und 23 im Regierungsbezirk Leipzig. Und zumindest bei den Anschlägen, die aufgeklärt werden konnten, konnte in der Regel auch die Verbindung ins rechtsradikale Milieu nachgewiesen werden.
Und dasselbe Bild würde sich auch ergeben, wenn die registrierten Straftaten gegen Ausländer und Asylsuchende einfach systematisch erfasst werden würden. Etwas, was man eigentlich in Zeiten, in denen die radikalisierte Rechte immer öfter gewalttätig wird und auch bei leichtgläubigen Bürgern Zustimmung findet, erwarten dürfte als Selbstverständlichkeit. Aber irgendwie gilt immer noch der alte Glaube: Was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß.
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