Schwer tun sich die Leipziger Stadtverwaltung und die sächsische Landesregierung, die zunehmende Wohnraumknappheit in Leipzig überhaupt wahrzunehmen. Obwohl man weiß, mit welcher Rasanz die Bevölkerung wächst und wie schwer überhaupt noch freie Wohnungen für Flüchtlinge gefunden werden. Doch Sachsen verweigert als eines der letzten vier Bundesländer die Einführung einer Mietpreisbremse.
Ein Unding, findet Wolfram Günther, baupolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag. Er hat dazu eine Kleine Anfrage an die Staatsregierung gestellt. Auf die Antworten von Innenminister Markus Ulbig (CDU) reagiert er mit völligem Unverständnis.
Die sächsische Staatsregierung sieht keine Notwendigkeit, in Dresden oder Leipzig die Mietpreisbremse einzusetzen. Dabei können nach dem Gesetz der Bundesregierung zur Mietpreisbremse auf überhitzten Wohnungsmärkten Mieterhöhungen bei Weitervermietung begrenzt werden. Sie dürfen dann nur zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Ein aktuelles vom Innenministerium beauftragtes Gutachten der empirica AG Berlin hat nun ergeben, dass angeblich in keiner sächsischen Gemeinde die Situation des Wohnungsmarktes angespannt sei.
„Das Gutachten ist das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Wer behauptet, es gäbe in Dresden und in Teilen von Leipzig keinen angespannten Wohnungsmarkt, der hält seine Augen ganz fest verschlossen“, kritisiert der Abgeordnete. Das Gutachten arbeitet mit Daten aus den Jahren 2011 bis 2014, wird aber gerade da besonders dünn, wo es um die Mietbelastung der Haushalte geht. Erst recht, weil nicht nach Einkommensgruppen differenziert wird, sondern die Durchschnittseinkommen als Maßstab genommen werden.
Wie immer, könnte man meinen. Denn genau diese Blindheit fürs Detail verstellt den Blick darauf, dass vor allem niedrige Einkommensgruppen von einer Entwicklung am Wohnungsmarkt betroffen sind, bei der zwar mehr gebaut wird als in den Vorjahren, aber am Ende zu Mietpreisen, die man sich mit den niedrigen Durchschnittsverdiensten in Leipzig (oder auch Dresden) nicht mehr leisten kann. Entsprechend hoch sind die Belastungen des Haushaltsbudgets. Tatsächlich ist der Wohnungsmarkt gerade bei bezahlbaren Mieten in beiden Großstädten drastisch geschrumpft.
So eine gewisse Ahnung muss auch Innenminister Ulbig haben, den Günther quasi als Gegenzeugen für dessen eigenes Gutachten zitiert: „Am 31.07.2015 trat in Sachsen ein anderes wohnungspolitisches Instrument − die Kappungsgrenzen-Verordnung − in Kraft. Damit dürfen in Dresden die Bestandsmieten innerhalb von drei Jahren nur noch um max. 15 Prozent erhöht werden. Begründet wurde diese Entscheidung genau mit dem angespannten Wohnungsmarkt, den Minister Ulbig heute verleugnet.“
Aber gerade die SPD hat mehrfach kritisiert, dass Sachsen im Wohnungsmarkt nicht ansatzweise gegensteuert, um gerade in den Großstädten bezahlbaren Wohnraum zu erhalten.
Mit dem am 1. Juni 2015 in Kraft getretenen Mietrechtsnovellierungsgesetz (MietNovG) besteht für die Bundesländer die Möglichkeit, in besonders festzulegenden Gebieten, in welchen die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum kritisch ist, die Mieterhöhung bei der Neuvermietung von Bestandswohnungen auf maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu begrenzen. Neubauwohnungen, die nach dem 1. Oktober 2014 erstmals vermietet werden, fallen nicht unter die Beschränkung. Gleiches gilt für die erste Vermietung einer Wohnung nach umfassender Modernisierung.
Bisher haben Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen Gebiete bestimmt, in denen die Mietpreisbremse gilt. Auch die Landesregierung Niedersachsen hat sich für die Einführung der Mietpreisbremse im Jahr 2016 entschieden. Keine Initiativen zur Einführung der Mietpreisbremse in ausgewählten Städten gibt es aktuell im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt.
Zumindest in der Sächsischen Kappungsgrenzen-Verordnung heißt es nun: „Die Kreisfreie Stadt Dresden ist eine Gemeinde im Sinne des Paragraf 558 Absatz 3 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in der die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist.“
„Meiner Ansicht nach entspricht der Dresdner Wohnungsmarkt in Gänze und der Leipziger Wohnungsmarkt in Teilbereichen den vom Bund geforderten Kriterien als ‚Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt‘. Der von empirica konstatierte Mietanstieg bei Neuvertragsmieten in Dresden (6,9 Prozent) und in Leipzig (7,6 Prozent) zwischen 2012/13 und 2014/15 liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt (5,4 Prozent)“, schätzt der Grünen-Abgeordnete Günther ein. „Wer diese Mietentwicklung tatsächlich dämpfen will, muss alle Möglichkeiten ausschöpfen. Dazu gehört die Deckelung der Mieten bei Neuvermietung von Wohnungen auf höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete.“
Aber selbst bei der Feststellung des Wohnungsleerstands tut sich das empirica-Gutachten schwer. Denn es nimmt zwar die Schätzung der Leipziger Statistiker von 6 Prozent für das Jahr 2014 als Basis und merkt lediglich an, dass das ja wohl deutlich über der bundesweit definierten Schmerzgrenze von 4 Prozent liege. Dass die Schätzungen aber auf den Zensus 2011 zurückgehen, der auch sämtlichen nicht im vermietbarem Zustand befindlichen Leerstand erfasste, wird schlicht ignoriert. Ein Drittel bis die Hälfte der leerstehenden Wohnungen gilt als nicht vermietbar, müsste erst einmal saniert werden und würde dann wohl zum deutlich erhöhten Neuvermietungspreis auf den Markt kommen.
Und ganz ähnlich ist es auch in Dresden, wo zwar die offiziellen Zahlen noch 4 Prozent Leerstand sehen, der Mieterverein Dresden aber gerade mal noch die Hälfte.
Und dazu kommt: Eigentlich müssten längst die neuen Wohnungen gebaut werden, die in nächster Zeit dringend gebraucht werden. Denn nur Ignoranten riskieren es, mit dem Wachstum der Wohnbevölkerung in Städten wie Dresden und Leipzig hineinzulaufen, ohne auch nur ansatzweise für den Tag vorzusorgen, an dem der Wohnungsmarkt leergefegt ist.
Nach Angaben des Amtes für Statistik und Wahlen Leipzig hat sich der Leerstand dort zwischen dem Jahr 2011 und Ende 2014 halbiert. Ende 2014 gab es nur noch einen Leerstand von vermietbaren Wohnungen von sechs Prozent. Die durchschnittlichen Preise der Kaltmieten bei Neuvermietungen in Dresden betrugen laut empirica in Dresden 2014/15 6,78 Euro je Quadratmeter und in Leipzig durchschnittlich 5,49 Euro je Quadratmeter (Euro/m²).
„Die letzte Datengrundlage, mit der empirica gearbeitet hat, ist nunmehr ein Jahr alt. Die Situation hat sich inzwischen noch verschärft. Laut den aktuellen Zahlen des großen Immobilienportals Immo-Welt liegt die durchschnittliche Kaltmiete bei Neuvermietungen in Dresden bei 7,96 Euro/m² und in Leipzig bei durchschnittlich 6,59 Euro/m²“, kommentiert Wolfram Günther die politische Ignoranz in Sachsen. „In Leipzig will Sachsens CDU/SPD-Koalition weder die Mietpreisbremse noch die Kappungsgrenzen-Verordnung einführen – das ist ein Trauerspiel.“
Und den sozialen Wohnungsbau hat die Staatsregierung ebenfalls noch nicht auf die Reihe bekommen, obwohl auch die Marktakteure in Leipzig händeringend darauf warten. Denn die Neumieten in der Stadt sind ja auch so hoch, weil sich mit dem Berg von Bauvorschriften der jüngsten Zeit nicht mehr so preiswert bauen lässt, dass sich Mieten um die 5 Euro je Quadratmeter überhaupt noch refinanzieren.
„Was sagt eigentlich die SPD zu dieser Realitätsverweigerung des sächsischen Innenministers? Noch im März 2015 hatte der Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas für die SPD-Fraktion die mögliche Einführung der Mietpreisbremse für Sachsen begrüßt und das Innenministerium zur Einführung der nötigen Rechtsverordnung aufgefordert. Auch auf der Webseite des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Dirk Panther, kann ich nachlesen, dass wir in Sachsen eine Mietpreisbremse brauchen, um den ungezügelten Anstieg der Mieten endlich begrenzen zu können“, mahnt Günther den kleinen Partner in der Regierung, der zumindest weiß, wo das Land Probleme hat.
Aber auch der Antrag der Grünen-Fraktion zur Einführung einer Mietpreisbremse in Sachsen wurde von CDU- und SPD-Fraktion Mitte Juni 2015 mit dem Hinweis abgelehnt, erst in Ruhe den Bedarf ermitteln zu wollen.
Aber bis auf die lächerliche empirica-Studie, die mit geschätzten Zahlen aus dem Jahr 2014 arbeitet, gibt es keine belastbare Bedarfsermittlung. Wer aber keine belastbaren Zahlen erhebt, kann sich immer wieder damit herausreden, dass ja eigentlich kein Bedarf bestünde.
„Seitdem hat sich der Wohnungsmarkt in den sächsischen Ballungsräumen noch verschärft“, merkt Günther an. Allein in Leipzig stieg die Einwohnerzahl um über 16.000. Darunter viele Asylsuchende, die aber nicht in eigene Wohnungen vermittelt werden können, weil es an solchen fehlt. „Ich erwarte von den Abgeordneten Pallas, Panther und den anderen Abgeordneten der Regierungskoalition, dass sie ihren Worten jetzt auch Taten folgen lassen um die Mietpreisbremse in Sachsen tatsächlich auf den Weg zu bringen“, fordert der Abgeordnete. „Mittlerweile haben 12 Bundesländer die Mietpreisbremse eingeführt. Sachsen hinkt den Realitäten – wie leider oft – meilenweit hinterher.“
Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfram Günther (Grüne): ‚Ausweitung der Kappungsgrenzen-Verordnung (Bestandsmieten dürfen innerhalb von drei Jahren nur um max.15 Prozent erhöht werden) in Sachsen über das Gebiet von Dresden hinaus‘ (Drs 6/4259)
Plenarprotokoll zur Einbringung des Grünen-Antrages vom 11.6.2015 (ab Seite 81).
Es gibt 2 Kommentare
Ich war gerade auf Wohnungssuche, vom JC verordnet. Bin fündig geworden, aber nur über Umwege und mit bissel Fürsprache. Wenn man wegen gesundheitlicher Handicaps nicht ins Dachgeschoss ohne Aufzug ziehen kann wirds wirklich verdammt eng auf dem leipziger Wohnungsmarkt
So verlogen kann die Wahrheit sein.