Wir können uns jetzt ja alle noch einmal doof stellen. Vielleicht hilft es ja, die sächsischen Probleme zu lösen. Probleme, die der stellvertretende Ministerpräsident Sachsens, SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig, in einem Interview mit der „Zeit“ am Donnerstag, 3. März, erstmals deutlich - zumindest was die Regierung betrifft - benannte. Und er sprach nicht nur über die Polizei, auch wenn genau das jetzt einen verbalen Aufschrei auslöste.

Im Interview hatte er nicht nur eine mögliche „Pegida-Nähe“ sächsischer Polizisten angesprochen, auch wenn das dann in der „Spiegel“-Meldung, die sich auf das “Zeit”-Interview bezog, so formuliert wurde: „Rassismus in Sachsen: Minister wirft eigener Polizei Nähe zu Pegida vor“. Er hatte sich auch mit der sächsischen Sparpolitik beschäftigt, die erst dazu geführt hat, dass die Polizei regelrecht personell kaputtgespart wurde. Und er hatte besonders deutlich seine Kritik an der Polizeiführung geäußert, ganz explizit am für Clausnitz verantwortlichen Polizeipräsidenten Reissmann.

Dass einige der bei PEGIDA & Co. eingesetzten Polizisten sogar ihre deutliche Sympathie für die marschierenden Rassisten deutlich gemacht hatten, war in verschiedenen Medienbeiträgen deutlich geworden. Und dass das Weggucken der eingesetzten Polizisten gegenüber verbalen und tätlichen Angriffen aus den Kundgebungen von LEGIDA heraus seit über einem Jahr System hat, konnten L-IZ-Leser mit jeder Demo live mitverfolgen.

Umso krasser wirkt der fast gemeinsame Aufschrei der politischen Konkurrenz, als hätte Dulig mit seiner Arbeitskritik jetzt schon wieder das schöne sächsische Nest beschmutzt. Und gerade zwei Tage nach der von Linken und Grünen beantragten Sondersitzung zu den fremdenfeindlichen Vorfällen in Sachsen verfallen die üblichen Alles-ist-schön-Maler wieder in den alten Jargon.

Da sah auf einmal der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Christian Hartmann, die sächsischen Polizisten ebenso unter „Generalverdacht“ wie der FDP-Vorsitzende, just die beiden Parteien, die den drastischen Personalabbau mit der „Polizeireform 2020“ hauptsächlich zu verantworten haben.

Dass vorher sogar schon zu viel gekürzt wurde und das auch auf die Kappe der SPD mitging, hatte Dulig im Interview übrigens genauso angesprochen wie das Thema, auf das die verkürzte „PEGIDA-Nähe“ zurückgeht: “Aber manchmal habe ich den Eindruck: Es gibt in der Polizei großen Nachholbedarf bei der interkulturellen Kompetenz – und bei der Führungskultur. Wenn von Bühnen herab Volksverhetzendes gerufen wird, warum stellt die Polizei dort nicht Personalien fest? Ich frage mich außerdem, ob die Sympathien für Pegida und die AfD innerhalb der sächsischen Polizei größer sind als im Bevölkerungsdurchschnitt. Unsere Polizisten sind die Vertreter unseres Staates. Als Dienstherr dürfen wir erwarten, dass sie die Grundelemente politischer Bildung verinnerlicht haben.“

Die Frage nach dem fehlenden Eingreifen der Polizei bei den volksverhetzenden Reden auf PEGIDA- und LEGIDA-Bühnen hat die L-IZ oft genug gestellt. Und nicht nur die L-IZ. Und über ein Jahr traf sie damit auf ignorantes Schweigen.

Dulig hat nichts ausgesprochen, was nicht der Realität entspricht.

So sieht es auch Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion: „Wir unterstützen Duligs Aussage zum ‚großen Nachholbedarf bei der interkulturellen Kompetenz‘. Das ist aber kein spezifisches Polizei-Problem, sondern eine Herausforderung für alle öffentlichen Institutionen in Sachsen. Ich verwahre mich auch dagegen, dies den einzelnen Polizeibeamten zum Vorwurf zu machen, denn sie können aufgrund der Arbeitsbelastung und von massenhaften Überstunden weder ausreichend Schießtrainings absolvieren noch andere Weiterbildungen wahrnehmen, geschweige denn den regulären Jahresurlaub nehmen. Auch die SPD trägt als Koalitionspartner Mitverantwortung dafür, dass zurzeit kaum Zeitreserven für solch notwendige Fortbildungen vorhanden sind.“

Ein Grund für das Nicht-Agieren der Polizei an entscheidenden Stellen ist die permanente Unterbesetzung und die Überlast an Aufgaben. Auch das hatte Dulig angesprochen: „Wir haben nicht nur ein quantitatives Problem bei der Polizei, sondern auch ein qualitatives. Natürlich: Unsere Polizisten kommen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, sie arbeiten viel, wir müssen ihnen den Respekt entgegenbringen, den sie verdienen – etwa durch die auch vom Verfassungsgericht geforderte Wiedereinführung der von CDU und FDP gestrichenen Jahresprämie.“

Die eigentliche Respektlosigkeit ist nicht das, was Dulig jetzt geäußert hat, sondern ist der jahrelange Umgang der Staatsregierung mit den eigenen Bediensteten.

Dass der zuständige Innenminister mit seinem Besuch bei PEGIDA die Fremdenfeinde in Sachsen auch noch hoffähig gemacht hat, hat die Sache erst recht befeuert.

„Es ist gut, dass mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten ein Regierungsmitglied öffentlich ausspricht, dass es Probleme in der Polizei gibt. Die Erkenntnis, dass es in der sächsischen Polizei Vorfälle gegeben hat, die belegen, dass auch Polizisten Kontakte in die rechte Szene pflegen, ist jedoch weder neu noch überraschend“, sagt deshalb Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Und dass einige Polizeibeamte sehr wohl ihre Kompetenzen überschreiten, ist auch nicht neu. Deswegen kämpfen ja gerade die Grünen seit Jahren um eine Kennzeichnungspflicht, damit eben nicht alle Polizisten unter Generalverdacht gestellt werden, sondern die schwarzen Schafe direkt sanktioniert werden. Bislang können sie sich in der anonymen Zahl der uniformierten Kollegen verstecken.

„Ich erwarte von der SPD, dass sie sich nach diesen deutlichen Worten des stellvertretenden Ministerpräsidenten nicht mehr gegen notwendige Instrumente für die Aufarbeitung von Fehlern in der Polizei sperrt“, sagt Lippmann. „Dazu gehört für uns sowohl die Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete als auch die Etablierung einer unabhängigen Beschwerdestelle, die Ermittlungsbefugnisse erhält, um Fehler aufzuklären und auch die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Die Anfang des Jahres eingerichtete Beschwerdestelle beim Innenministerium ist nicht mehr als ein Feigenblatt. Die SPD darf in der Koalition nicht nur ankündigen, sie muss auch handeln.“

Er kritisiert Dulig aus seiner Position ebenfalls hart.

Aber das ist nun wieder ein Ur-Problem des linken Lagers in Sachsen: Statt an dem Punkt, an dem man sich endlich mal einig ist, an einem Strang zu ziehen, fällt man – wie die Hardliner von CDU und FDP – wieder über den erstmals mutigen Spitzenmann der SPD her und versucht, Punkte bei der Wählerschaft zu sammeln.

Und dann wundern sich die Spatzen auch noch darüber, dass in Sachsen die Hardliner regieren und die Rechtsblinker so tun, als sei das ganz normal.

Die ganzen Wortmeldungen zum Interview zum Nachlesen:

Die Wortmeldung aus der CDU-Fraktion

Hartmann: „Die Polizei hat unseren Respekt verdient!“

Zum Interview des Sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) in der Wochenzeitung „Die Zeit“ über die Situation der Polizei im Freistaat erklärt der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Christian Hartmann: „Die pauschale Verurteilung unserer sächsischen Polizei durch ein Mitglied des Kabinetts ist unangemessen und macht mich betroffen! Sachsens Wirtschaftsminister hat in seinem eigenen Ressort eigentlich genug zu tun und scheint vergessen zu haben, dass die Zuständigkeit für die Polizei bei unserem Innenminister Markus Ulbig liegt.“

Die Beamten handeln grundsätzlich auf Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung und geltenden gesetzlichen Vorschriften. „Polizisten sind im Dienst zu politischer Neutralität verpflichtet. Aus meiner Sicht werden diese Grundsätze beachtet. Den Beamten indirekt eine Nähe zu Pegida und AfD zu unterstellen, ist nicht nur unfair sondern auch falsch“, so Hartmann. Woher der Wirtschaftsminister seine Erkenntnis habe, bleibt offen. „Der Polizei ein qualitatives Problem nachzusagen offenbart mangelnden Respekt gegenüber den Beamten, die tagtäglich für unsere Sicherheit ihren Kopf hinhalten. Da stellt sich schon die Frage, wo dies hinführen soll“, so Hartmann.

Der innenpolitische Sprecher betont: „Unsere Polizei leistet im Freistaat eine gute Arbeit. Sie hat sich unsere Wertschätzung und Unterstützung verdient. Die pauschale Kritik an der Polizei und ihrer Führung ist unsachlich, schadet unserem Land und wird dem täglichen Engagement der Beamten nicht gerecht.“

Die Meldung aus der Linksfraktion

Stange zu Dulig-Kritik an Polizei Sachsen: Nicht den Beamten politisches Führungsversagen in die Schuhe schieben

Zum Vorwurf der Pegida-Nähe gegen die sächsische Polizei durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) im „Zeit“-Interview erklärt Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag:

Der Fisch stinkt vom Kopf her – dass sich der oberste Polizei-Dienstherr, Innenminister Markus Ulbig (CDU), vor über einem Jahr mit der Pegida-Spitze getroffen hat, hat Pegida in seiner Aufbau-Phase hoffähig gemacht. Der drastische Personalabbau – von der ersten CDU/SPD-Koalition 2004 bis 2009 begonnen und vom Finanzminister bis zur Stunde trotz gegenläufiger Ankündigungen von Ministerpräsident und Innenminister fortgesetzt – hat zudem die Polizei flächendeckend geschwächt. Das macht sich auch beim Kampf gegen rechte Gewalt negativ bemerkbar.

Wir lehnen es allerdings ab, sächsische Polizistinnen und Polizisten unter Generalverdacht zu stellen. Natürlich ist die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft, das gilt auch für politische Einstellungen. Führungsversagen etwa bei der Einsatzplanung darf aber nicht den einzelnen Polizistinnen und Polizisten in die Schuhe geschoben werden, die im Regelfall gesetzestreu und gewissenhaft Kopf und Kragen für unsere Sicherheit riskieren.

Wir unterstützen Duligs Aussage zum „großen Nachholbedarf bei der interkulturellen Kompetenz“. Das ist aber kein spezifisches Polizei-Problem, sondern eine Herausforderung für alle öffentlichen Institutionen in Sachsen. Ich verwahre mich auch dagegen, dies den einzelnen Polizeibeamten zum Vorwurf zu machen, denn sie können aufgrund der Arbeitsbelastung und von massenhaften Überstunden weder ausreichend Schießtrainings absolvieren noch andere Weiterbildungen wahrnehmen geschweige denn den regulären Jahresurlaub nehmen. Auch die SPD trägt als Koalitionspartner Mitverantwortung dafür, dass  zurzeit kaum Zeitreserven für solch notwendige Fortbildungen vorhanden sind.

Die Wortmeldung aus der Grünen-Fraktion

Nach Dulig-Äußerungen – Grüne: Was hat die SPD bisher für die Verbesserung der Führungs- und Fehlerkultur in der Polizei getan?

Lippmann: Ich erwarte, dass sich SPD nicht mehr gegen notwendige Instrumente für Aufarbeitung von Fehlern in der Polizei sperrt – Kennzeichnungspflicht und unabhängige Beschwerdestelle zwingend.

Zu den Vermutungen des stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig, SPD, Sachsens Polizei weise ein große Nähe zu PEGIDA und AfD auf und habe großen Nachholbedarf sowohl bei interkultureller Kompetenz als auch bei der Führungskultur, erklärt Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag:

„Es ist gut, dass mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten ein Regierungsmitglied öffentlich ausspricht, dass es Probleme in der Polizei gibt. Die Erkenntnis, dass es in der sächsischen Polizei Vorfälle gegeben hat, die belegen, dass auch Polizisten Kontakte in die rechte Szene pflegen, ist jedoch weder neu noch überraschend.“

„Seit anderthalb Jahren ist die SPD Teil der Staatsregierung. Nach seinen Äußerungen muss sich Martin Dulig fragen lassen, was die SPD bisher in der Staatsregierung für die Verbesserung der Führungs- und Fehlerkultur in der Polizei getan hat. Allein mit dem Finger auf den Innenminister und die CDU zu zeigen, ist zu einfach. Auch die SPD hat sich bisher verweigert, die von Martin Dulig geforderten Konsequenzen zu ziehen.“

„Ich erwarte von der SPD, dass sie sich nach diesen deutlichen Worten des stellvertretenden Ministerpräsidenten nicht mehr gegen notwendige Instrumente für die Aufarbeitung von Fehlern in der Polizei sperrt. Dazu gehört für uns sowohl die Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete als auch die Etablierung einer unabhängigen Beschwerdestelle, die Ermittlungsbefugnisse erhält, um Fehler aufzuklären und auch die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Die Anfang des Jahres eingerichtete Beschwerdestelle beim Innenministerium ist nicht mehr als ein Feigenblatt. Die SPD darf in der Koalition nicht nur ankündigen, sie muss auch handeln.“

Die Wortmeldung der FDP

Zastrow: Duligs Polizeischelte ist schäbig und respektlos – Tillich soll sich zu Äußerungen erklären

Der stellvertretende sächsische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) hat in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ der sächsischen Polizei besondere Sympathien für Pegida und die AfD vorgeworfen. Dazu erklärt Holger Zastrow, Landesvorsitzender der sächsischen FDP und Präsidiumsmitglied der Bundespartei:

„Der pauschale Vorwurf, dass die sächsische Polizei besondere Sympathien für Pegida und die AfD hegt, ist schäbig, respektlos und eines stellvertretenden Ministerpräsidenten unwürdig. Die Pauschalverurteilung ohne einen konkreten Beweis ist ein Schlag ins Gesicht aller Polizisten, die seit Monaten ihren Kopf für den Freistaat hinhalten, um in einem besonders aufgeheizten öffentlichen Klima für Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Ich fordere den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich auf, öffentlich zu erklären, ob diese Polizeischelte Meinung der gesamten Staatsregierung oder des SPD-Landesvorsitzenden ist.

Es ist zudem ungeheuerlich, dass der Wirtschaftsminister und SPD-Landesvorsitzende Martin Dulig die Schuld für rechtsextremistische Vorfälle und das aufgeheizte öffentliche Klima in Sachsen ausschließlich beim Regierungspartner CDU und der sächsischen Polizei sieht. Offenbar vergisst Dulig völlig, dass sich seine eigene Landespartei mittlerweile bereits im achten Jahr einer Regierungsbeteiligung befindet. Das von der SPD maßgeblich vorangetriebene Programm ‚Weltoffenes Sachsen‘ hat bisher so gut wie keine Breitenwirkung erzielt. Die Schaffung des zusätzlichen Ministerpostens für Integration hat zwar die SPD politisch belohnt, die Arbeit von SPD-Integrationsministerin Petra Köpping trägt jedoch bisher nicht dazu bei, Extremismus zu verhindern und für ein besseres Integrationsklima im Vergleich zu anderen Bundesländern zu sorgen. Wirtschaftsminister Martin Dulig sollte erst einmal vor der eigenen Haustür kehren, bevor er die Schuld für Fremdenfeindlichkeit bei anderen ablädt.“

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