Nicht nur AfD-Behauptungen muss Sachsens Innenminister korrigieren, auch seine eigenen Untergebenen scheinen in der Öffentlichkeit gern mit Aussagen zu brillieren, die zwar die Stimmung anheizen, mit der Realität aber nichts zu tun haben. So auch Jörg Michaelis, Chef des Landeskriminalamtes, der im Januar auf einer CDU-Versammlung in Dresden-Blasewitz gleich mal das Bild vom Roten Terror an die Wand malte. Laut Mopo24 sagte er sogar: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Toten zu beklagen sind.“
Nicht die einzige Behauptung, die postwendend regelrecht einen Beifallssturm auf Websites der AfD auslöste. Der innenpolitische Sprecher der AfD Fraktion im Landtag, Sebastian Wippel, konnte sich am 26. Januar, einen Tag nach Veröffentlichung des Mopo24-Artikels, gar nicht wieder einkriegen: „Der Notruf aus dem Landeskriminalamt ist alarmierend! Einsätze in der linksextremen Hochburg Leipzig könne man den Polizeibeamten ‚kaum noch zumuten‘, erklärte Michaelis. Bereitschaftspolizisten werde Bauschaum unters Visier gesprüht. ‚Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Toten zu beklagen sind‘. Nun muss die Landesregierung endlich aktiv werden. Bisher wurden alle parlamentarischen Initiativen der AfD-Fraktion zur Bekämpfung des Linksextremismus von den anderen Parteien abgelehnt.“
Nicht autorisiert
Aber was wirklich dran war an den wilden Behauptungen des LKA-Chefs hat nicht die AfD nachgefragt, das hat jetzt der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Valentin Lippmann, getan. Und schon die Vorbemerkung von Innenminister Markus Ulbig zu dem von Michaelis geäußerten Satz „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Toten zu beklagen sind“ ist eine deutliche Distanzierung.
Ulbig: „Die Staatsregierung nimmt zur nicht autorisierten Wiedergabe von Äußerungen des Präsidenten des Landeskriminalamtes, die dieser im Rahmen einer nicht öffentlichen Veranstaltung getätigt haben soll, grundsätzlich keine Stellung.“
Eine Anmerkung, die mehrere Schlüsse zulässt. Einer wäre: Michaelis hat es gesagt, wollte es aber nicht in der Zeitung lesen. Der Satz könnte also gefallen sein, wurde aber von Michaelis nicht autorisiert. Was nicht bedeutet, dass ihn die Mop24 erfunden hat. Andererseits ist die Anmerkung von Ulbig kein Dementi, nur die Feststellung, dass man dazu „grundsätzlich keine Stellung“ nehmen will. Also gut möglich, dass Michaelis einfach so drauflos geredet hat und dabei auch gar nicht im Dissens zu seinem Vorgesetzten ist.
Für die Schwarzmalerei ist der Verfassungsschutz zuständig
Denn Ulbig verweist in seiner Antwort auf die erste Frage von Lippmann eben nicht auf belastbare polizeiliche Erkenntnisse – eben das, was man erwarten könnte, wenn der Präsident des sächsischen Landeskriminalamtes von den „ersten Toten“ fabuliert.
Lippmanns Frage: „Teilt die Staatsregierung die Auffassung des LKA-Präsidenten, insbesondere hinsichtlich der Gefährdungseinschätzung?“
Ulbigs Ausweichen: „Die Staatsregierung weist bereits seit Jahren auf die Gefahren jeglicher Form des politischen Extremismus hin. Im Weiteren wird auf den Verfassungsschutzbericht des Jahres 2014 verwiesen.“
Also verlassen sich Minister und LKA-Chef auf die zusammengestoppelten Berichte des Verfassungsschutzes und die dort gepflegte Extremismus-Theorie, die in jedem Bericht zu einer krassen Verzerrung der Zahlen führt? Augenscheinlich ist es so.
Kein Bauschaum
Und wie ist es mit dem Bauschaum, den die Mopo24 in der Rede von Michaelis gehört haben will? Markus Ulbig: „Nach der Staatsregierung vorliegenden Erkenntnissen wurde in der in Rede stehenden Veranstaltung im Sinne der Fragestellung kein Bezug zum Freistaat Sachsen hergestellt und besteht auch nicht.“
Warum hat Michaelis dann überhaupt davon geredet? Denn gefallen sein muss die Behauptung ja im Zusammenhang mit seiner heftigen Attacke auf Leipzig. „Leipzig ist den Kollegen kaum noch zuzumuten“, hat er einfach mal so gesagt. Und gleichzeitig schwadronierte Michaelis laut Mopo24: „Zugleich erklärte er besorgt: Es gebe linke Projekte im Freistaat, die würden vom Staat gefördert, distanzierten sich aber nicht von linker Gewalt.“
Das LKA hat die Behauptung bis heute nicht dementiert. Und was antwortet Ulbig auf Lippmanns Frage: „Um welche konkreten geförderten ‚linken Projekte‘ handelt es sich und inwieweit hat die Staatsregierung Zweifel an der Förderfähigkeit?“
Markus Ulbig: „Der Staatsregierung sind keine Projekte im Sinne der Fragestellung bekannt.“
Was sind eigentlich Konfrontationen?
Und wie ist das mit den ganzen Zahlen, die irgendwie bei der Veranstaltung genannt worden sein sollen, etwa der „Zunahme ‚linker Konfrontationsdelikte‘ von 427 auf 667 Fälle“ und der Zunahme „‚Allgemeiner Fälle‘ mit linksradikalem Hintergrund von 18 auf 34“?
Da muss selbst Ulbig korrigieren (auch wenn er das nicht dazu sagt): „Es wird davon ausgegangen, dass der Fragesteller mit dem Begriff ‚linke Konfrontationsdelikte‘ das Themenfeld ‚Konfrontation/Politische Einstellung‘ der PMK-links meint.“
Und das bedeutet auch in den Statistiken der Polizei eben nicht Konfrontation mit der Polizei (die wird in der Regel unter Titeln wie „Gewaltdelikte“ oder „Verstoß gegen das Versammlungsgesetz“’ gezählt), bei Konfrontation ist immer die Konfrontation mit einem (politischen) Gegner gemeint.
Wenn Michaelis hier also von einem Plus von 427 auf 667 Fälle redet oder Ulbig eine Zunahme von 461 (2013) auf 763 (2014) auflistet, hat man es mit einer Konfrontation von Linken (soweit das die Polizei überhaupt feststellen kann) mit ihren politischen Gegnern zu tun. Der größere Teil richtete sich gegen „rechts“, also eher wohl diverse rechtsradikale Kundgebungen und Personen. Diese Zahl der Konfrontationen stieg von 326 auf 444. Wobei auch hier angemerkt werden muss: Die wenigsten davon waren gewalttätig.
Ulbig hätte an der Stelle durchaus detaillierter werden können. Aber man kennt ihn ja: Nur nicht zu viel erzählen.
Gewalt – aber gegen was oder gegen wen?
Die Zahlen zu den Gewaltdelikten aus der PMK-links (Politisch motivierte Kriminalität links) hat er aber für beide Jahre an anderer Stelle veröffentlicht (unterm Text sind sie verlinkt): Diese Zahl der Gewaltdelikte der Linken war von 2013 zu 2014 rückläufig – von 168 auf 157. Wobei auch hier wieder gilt: Das müssen keine Gewalttaten gegen Personen gewesen sein. Auch Gewaltanwendung gegen Einrichtungen, Autos, Gegenstände zählen hierzu. Die ganze sächsische Statistik zur politisch motivierten Kriminalität ist, wenn man es recht betrachtet, eine reine Irreführung.
Wobei man den polizeilichen Veröffentlichungen noch zugute halten muss: Sie basieren in der Regel auf einigermaßen plausiblen Zahlen, auch wenn die oft genug zu einem unentwirrbaren Haufen zusammengekehrt sind.
Die Verfassungsschutzberichte, auf die Markus Ulbig immer so gern verweist, nehmen den zusammengekehrten Haufen dann meist noch viel allgemeiner und schustern dann Gefahrenlagen daraus, die mit der Realität gar nichts mehr zu tun haben.
Das geht schon los, wenn bei PMK-rechts zwar auch 74 Gewaltdelikte für 2013 aufgeführt werden und 86 für 2014, aber auch nicht unterschieden wird, ob es sich dabei um Gewalt gegen Menschen oder Gewalt gegen Sachen handelte. Und genau mit dieser Unklarheit hat Michaelis gespielt, wenn er die CDU-Mitglieder in Blasewitz mit den allgemeinen Zahlen zu „Konfrontationsdelikten“ konfrontiert hat.
Das simple Fazit: In wesentlichen Punkten hat der Minister die Äußerungen seines LKA-Präsidenten für haltlos erklärt. Aber die vage Möglichkeit steht im Raum, dass die Mopo24 in der CDU-Versammlung in Blasewitz nicht richtig zugehört haben könnte und den LKA-Chef nur falsch verstanden hat.
Kleine Statistik zu PMK für die Jahre 2013 und 2014.
Ulbigs Antworten auf die Anfrage von Valentin Lippmann zum Mopo24-Bericht.
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Also – irgendwie kann man Leipzig den armen Polizisten wirklich nicht zumuten. Da bestehen immer alle drauf, dass die neutral arbeiten, das muss schon lästig sein.