Als Interessenvertreter der Flüchtlinge, Migranten und Ausländer in Sachsen ist Geert Mackenroth, seit Dezember Ausländerbeauftragter in Sachsen, eine Enttäuschung. Aber in dem, was er sagt und tut, macht er recht sinnfällig, wie konservative Politiker in Sachsen so tun, als würden sie die Grundwerte unserer Gesellschaft leben, tatsächlich aber schon fleißig am Demontieren sind.
Für Aufsehen sorgte der ehemalige sächsische Justizminister wieder, als er am 8. Januar eine neue Broschüre vorstellte, in der Teile des Grundgesetzes und der sächsischen Verfassung in mehreren Sprachen abgedruckt sind, vorgesehen zur Verteilung an Flüchtlinge und Migranten. “Die Grundrechte leiten sich aus den Menschenrechten ab. Sie gelten für alle und schaffen den Rahmen, auf den sich alle verlassen können, die hier leben. Diese Grundwerte unserer Gesellschaft sind damit Chance und Pflicht für uns alle, die wir hier leben”, schrieb er im Vorwort. Mal ganz abgesehen davon, dass es im Artikel 1 des Grundgesetzes heißt: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Und lesen kann man da auch Artikel 3, Satz 3: “Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.”
Irgendwie kommt wohl auch der Ausländerbeauftragte eher selten dazu, etwas tiefer hineinzulesen ins Grundgesetz. Sonst hätte er sich am 8. Januar nicht gezwungen gesehen, nun auch noch einen Kommentar zu den Vorfällen in Köln in der Silvesternacht abgeben zu müssen.
Er forderte, nachdem die Kölner Vorfälle in den Tagen davor medial so richtig hochgekocht wurden, straffällig gewordene Asylsuchende künftig auch ohne Prozess auszuweisen. Auf der Homepage seiner Behörde regte er auch gleich noch an, das Verhältnis von Strafverfolgung und Ausländerrecht prüfen zu lassen. Frei nach dem Motto: “Wir müssen die Akzeptanz der Flüchtlingspolitik und des Helfens bewahren. Wer das Ansehen von Ausländern durch Straftaten schädigt, muss unmittelbar die Kraft des Rechtsstaates spüren.“
Tatsächlich aber forderte er ein anderes Strafrecht für Ausländer und damit etwas, was Artikel 3 des Grundgesetzes völlig widerspricht. Denn da steht eindeutig: “Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.”
Und das als studierter Jurist.
“Die Verbrechen, die sich in Köln ereignet haben, sind abscheulich. Die Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden. Das ist völlig unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Geflüchtete handelt oder nicht. Im Rechtsstaat sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dabei gilt, ebenfalls für alle, die Unschuldsvermutung: Jeder Mensch, der einer Straftat beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem er sich verteidigten konnte, nachgewiesen ist”, musste er sich postwendend von der Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Fraktion Die Linke im Landtag, Juliane Nagel, belehren lassen. “Dieser Grundsatz darf nicht relativiert werden. Geert Mackenroth soll qua Amt die Interessen ausländischer Menschen in Sachsen vertreten. Dazu gehört der Schutz ihrer Grundrechte, ob sie straffällig werden oder nicht.”
Aber tatsächlich reihte sich Mackenroth mit seiner Forderung ein in einen ganzen Chor ähnlich gelagerter Forderungen von Unionspolitikern, die dabei stets so tun, als würden sie das Asylrecht gegen Missbrauch schützen, obwohl sie eigentlich einen verbalen Großangriff gegen das Grundgesetz starten. Und dabei empfahl Mackenroth noch selbst: “Auch manchem Deutschen schadet ein Blick in unsere Verfassung nicht.”
Das gilt wohl auch für ihn. Man kann nicht andere auffordern, sich lesend mit den “Grundwerten unseres gesellschaftlichen Miteinanders” zu beschäftigen und selbst gleich mal mit breiter Brust dagegen anrennen. Erst recht nicht, wenn er als Ausländerbeauftragter weiß, dass die Länder, in die er die Straftäter abschieben möchte, keines der von ihm gepriesenen Menschenrechte achten.
“Mackenroth weist darauf hin, dass bestimmte Herkunftsländer schon bei Abschiebungen nicht mit der Bundesrepublik zusammenarbeiten wollen. Zu glauben, diese würden bereitwillig die Strafverfolgung für uns übernehmen, ist naiv. Die Forderung, die auch Mackenroth nun erhebt, kann im Extremfall Strafvereitelung bedeuten, wenn Straftäter durch Abschiebung freikommen”, kommentiert Klaus Bartl, Sprecher für Rechtspolitik der Linksfraktion, den seltsamen Vorstoß. Und er fühlt sich an Parolen aus dem ganz rechten Spektrum erinnert: “Wer ‘Kriminelle Ausländer raus’ skandiert, wie das bisher vor allem die NPD getan hat, könnte mithin ebenso rufen: ‘Kriminelle Ausländer nicht bestrafen’, mindestens aber ‘Kriminelle Ausländer schwächer bestrafen!’ Darüber sollte nachdenken, wer der extremen Rechten mit rechtslastigem Populismus das Wasser abgraben will, damit aber das Gegenteil erreicht. Stattdessen sollten wir nach Jahren des von der CDU betriebenen Personalabbaus das Justizsystem und die Ermittlungsbehörden besser ausstatten, um eine zügige Strafverfolgung aller Straftäter – einheimischer wie geflüchteter – zu gewährleisten. – Wer essentielle Kriterien wie die Gleichheit vor dem Gesetz im Vorbeigehen entsorgen will, verabschiedet sich vom Rechtsstaat. Das sollte ein ehemaliger Justizminister wissen.”
Und nicht nur das Grundgesetz sollte Mackenroth lesen, findet Juliane Nagel: “Allerdings dürfen selbst Straftäter gemäß Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen Folter oder unmenschliche Behandlung drohen. Daran ändert das politische Ziel, andere Straftäter abzuschrecken, nichts. Mackenroth sollte das beachten, auch wegen der früheren Debatte um seine Haltung zum Thema Folter.”
Und praktisch sämtliche Länder, die Deutschlands Unionspolitiker jetzt zu sicheren Herkunftsstaaten erklären wollen, fallen unter diese Muster.
Und so bekam der einstige Staatsanwalt und Richter Geert Mackenroth auch noch juristische Aufklärung vom Vorsitzenden der sächsischen Grünen, Jürgen Kasek.
“Der Rechtsstaat muss nach abscheulichen Taten von Menschen gegen ihre Mitbürger zeitnah und in angemessener Form reagieren. Bereits jetzt können verurteilte Straftäter abgeschoben werden. Die Verteidigung des Rechtsstaates muss aber mit rechtsstaatlichen Mitteln passieren. Ein Grundprinzip des Rechtsstaates ist die Unschuldsvermutung für alle Menschen – der Rechtsstaat gibt allen Menschen die gleichen Rechte”, erklärte der Rechtsanwalt. “Der Vorschlag des ehemaligen Justizministers ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, denn hierdurch würden alle einer Straftat verdächtigten Asylbewerber zu Rechtsstaatsbürgern zweiter Klasse. Sie würden nicht ordentlich angeklagt, sondern könnten schon im Falle einer Verdächtigung ohne rechtsstaatlichen Prozess und ohne Ermittlungen einer Staatsanwaltschaft einfach abgeschoben werden.”
Das wäre dann die Einführung staatlicher Willkür, wie man sie eigentlich nur aus Diktaturen kennt.
“Der Vorschlag ist einem ehemaligen Justizminister nicht würdig, denn Mackenroth sollte vielmehr die Prinzipien des Rechtsstaats verteidigen, anstatt sie zumindest indirekt zur Disposition zu stellen. Der Vorschlag trägt nicht zur Lösung der aktuellen Herausforderungen bei, sondern ist bei Lichte betrachtet Populismus”, stellt Kasek klar. “Den Rechtsstaat verteidigt man nicht, indem man ihn aushöhlt, sondern indem man ihn stärkt. Das schaffen wir durch die Erhöhung des Einstellungskorridors bei der sächsischen Polizei sowie durch deutliche Verfahrensbeschleunigungen indem wir in den Justizbehörden mehr Richter und Staatsanwälte einstellen.”
Und so forderte denn Katharina Schenk, Landesvorsitzende der Jusos Sachsen, am 13. Januar auch Mackenroths Rücktritt.
“Die Vorkommnisse in Köln als Vehikel für Asylrechtsverschärfungen zu nutzen, ist eines Ausländerbeauftragten und ehemaligen Justizministers absolut unwürdig. Die Ereignisse sind schlimm genug und müssen lückenlos aufgeklärt werden. Dass nun Mackenroth auf diesen Zug aufspringt und mit seinen Äußerungen Stammtischparolen bedient, wird keinerlei rechtstaatlichen Prinzipien gerecht und macht ihn für sein Amt untragbar. Das Amt sollte eine Person ausfüllen, die ruhig und besonnen konstruktive Vorschläge für eine ernsthafte Integrationspolitik einbringt – also sowohl gegenüber beschönigenden Vorstellungen, aber gerade auch gegenüber rechten Rattenfängern klare Kante zeigt”, sagte sie. “Wer von Abschreckung spricht und zum Beispiel die Unschuldsvermutung infrage stellt, hat sich vom Rechtsstaat offenbar verabschiedet und ist kein Partner der Ausländerinnen und Ausländer in Sachsen. Herr Mackenroth sollte zurücktreten.”
Natürlich ist er nicht zurückgetreten, denn seine seltsame Haltung zum (un-)gleichen Recht für alle teilt er ja unübersehbar mit anderen Unionspolitikern, denen Ereignisse wie in Köln nur ein Vorwand sind, da weiterzumachen, wo man 1992 schon mal erfolgreich war: bei der Kannibalisierung des Asylrechts. An einer sinnvollen Lösung der Flüchtlingsfrage sind sie allesamt nicht interessiert. Und an der Schaffung eines transparenten Einwanderungsrechts auch nicht.
Bliebe noch – wie Mackenroths Vorgänger im Amt des Ausländerbeauftragten, Martin Gillo, gezeigt hat – eine engagierte Arbeit zur Sicherung der Qualität der Flüchtlingsaufnahme in Sachsen. Denn je menschlicher die Aufnahmebedingungen sind, umso seltener kommt es zu Vorfällen, bei denen die Polizei eingreifen muss. Aber auch da hält er sich zurück, behandelt die Menschen, für die er sprechen soll, eher wie Bittsteller, denen erst mal Regeln beigebracht werden sollen, statt als Bedürftige, denen selbstverständlich geholfen werden muss. Genau an dieser Stelle splittet sich das Denken in weiten Teilen der konservativen Politik, wird deutlich, wie diese Leute aus elitärer Warte herabschauen auf all die, die in Deutschland um Asyl bitten.
So pflegt und stärkt man Vorurteile, verstärkt den politischen Klamauk und gewöhnt die naiven Bewohner des Freistaats schon mal daran, dass eben doch nicht alle dieselben Rechte haben, dass es Menschen unterschiedlicher Klasse gibt. Und je öfter man das auf verschiedene Weise wiederholt, umso mehr Bürger, die nicht mehr nachfragen, glauben das auch.
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