Was passiert eigentlich in Regionen, die die offizielle Politik jahrzehntelang lieber sich selbst überließ? Passiert da überhaupt etwas? Und wenn ja: Was? Eigentlich weiß man es auch in Sachsen. Solche Regionen werden zum Tummelfeld der Radikalen. Und schon lange, bevor Pegida in Dresden marschierte, übten Sachsens Rechtsradikale das fremdenfeindliche Demonstrieren in Dörfern und Kleinstädten. Seit es das Pegida-Echo gibt, steigen auch dort die Teilnehmerzahlen.

Nicht nur, weil Pegida den Fremdenhass wieder scheinbar öffentlich legitimiert hat, sondern weil Sachsens hohe Politik darauf genauso reagiert hat wie all die Jahre zuvor: abwartend, abwiegelnd, verständnisheischend – und mit lautstarker Bereitschaft, den Forderungen nach verschärftem Handeln gegen Flüchtlinge und Asylsuchende sofort nachzukommen. So wie Sachsens Innenminister Markus Ulbig, der zwar die Personalausstattung der ihm unterstellten Polizei nicht in den Griff bekommt, aber mit immer neuen Meldungen verkündet, was für ein Meister der Abschiebung er ist. So wie am Dienstag, 1. Dezember, wieder.

Dieser Mann wird wohl nie begreifen, wie er mit seiner Politik den Menschenfeinden von rechts direkt in die Arme arbeitet.

Wie das zahlenmäßig passiert, das hat jetzt Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, bei Ulbig abgefragt.

“Die Zahlen sind erschreckend. Sie belegen die befürchtete Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung”, stellt Lippmann nun fest, da er auch polizeilich bestätigt sieht, was aufgrund von Pressemeldungen vorher nur zu vermuten war. “Viele haben offensichtlich keine Hemmungen mehr, auch mit der offen rechtsextremen NPD zu demonstrieren. Jede Möglichkeit, gegen Flüchtlinge zu protestieren, wird genutzt. So nahmen allein vom 1. bis 24. Oktober 2015 mehr als doppelt so viele Teilnehmer an von der NPD oder NPD-Mitgliedern angemeldeten Demonstrationen teil als im sonst dafür bekannten Monat Februar. Auch in den Monaten August und September waren sehr hohe Teilnehmerzahlen zu verzeichnen.”

Klammer auf – das muss zumindest erwähnt werden: Die Versammlungen finden nicht immer gleich erkennbar unter einem NPD-Label statt. Oft nutzt man mehr oder weniger unklare Veranstaltungsmottos und eine fiktive Bürgernähe, um den eigentlichen Geist der Demonstrationen zu verbrämen, so dass es selbst den Staatsschützern nicht immer leicht fällt, die Veranstaltung eindeutig einem politischen Lager zuzuordnen: Ist das schon eine reine NPD-Veranstaltung oder vermischt sich das mit dem Windschatten von Pegida?

Erst über den Anmelder wird oft klar, aus welcher Ecke die Veranstaltung kommt.

Insgesamt beteiligten sich im Oktober 3.500 Teilnehmer an 15 Versammlungen der NPD. Im August versammelten sich u.a. in Heidenau 2.420 und im September 1.911 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an NPD-Demonstrationen. Pegida hat also so eine Art Verwischungseffekt: Was sich eben noch als verkappte Islamophobie zelebrierte, zeigt sich immer unverhüllter als Fremdenhass.

“Traurige Spitzenreiter bei der Zahl der durchgeführten NPD-Veranstaltungen sind Sebnitz und Dresden, gefolgt von Neustadt/Sachsen und Heidenau. Hier wird noch mal deutlich, wo die Hochburgen der NPD liegen. Dass sich gerade im Umfeld von Dresden eine große Anzahl von Übergriffen auf Flüchtlinge ereignet und ereignete, ist vor diesem Hintergrund sicherlich kein Zufall”, sagt Lippmann und spielt damit auf die gerade im Landkreis Sächsische Schweiz / Osterzgebirge seit Jahren eng vernetzte und bestens etablierte Rechtsradikalenszene an. “Die Zahlen belegen, dass es vor dem politischen Handschlag mit der NPD kein Zurückschrecken mehr gibt. Wir brauchen in Sachsen endlich eine klare Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und tatkräftige Bestrebungen zur Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. Es darf keine Verharmlosung oder Ignoranz gegenüber Rassismus und Rechtsextremismus geben.”

Wobei die aufgeführten Veranstaltungen auch zeigen, dass die NPD durchaus versucht, auch über ihr “Kernland” im Osten Sachsens hinauszugehen und auch kleinere Städte in anderen Teilen Sachsens verstärkt zu bespielen, um Präsenz zu zeigen und auch zu suggerieren, dass sie landesweit auch nach dem Ausscheiden aus dem Landtag weiter Zulauf erhält. Die Teilnehmerzahlen sind im Schnitt deutlich geringer, die Zielrichtung aber ist immer dieselbe: gegen Asylunterkünfte, gegen eine offene und gastfreundliche Gesellschaft. Und der Versuch ist unübersichtlich, auf der Pegida-Welle mitzusegeln und mit nationalistischen Tönen wieder Aufmerksamkeit zu erlangen.

Und am 12. Dezember wollen Sachsens Rechtsradikale noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen: Da wollen sie mal wieder nach Connewitz marschieren, genau dahin, wo sie mit heftiger Gegenwehr rechnen müssen – und wohl auch mit Schlagzeilen über linke Gewalt, über die sich dann alle aufregen, die die Gefahr für die Demokratie nicht im rechtsradikalen Menschenhass sehen, sondern bei den Linken.

Die Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann “Versammlungen/Aufzüge der NPD 2015”.

Übersicht zu Anzahl der Versammlungen, Teilnehmerzahlen und festgestellten Straftaten.

Neueste Meldung zur sächsischen Abschiebepraxis.

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