Die sรคchsische Staatsregierung drรคngt auf die Tagebauerweiterung Nochten II, fรผr die 1.700 Menschen ihre Heimat verlieren wรผrden. Das sรคchsische Braunkohlekraftwerk Boxberg, bestehend aus zwei alten und zwei neueren Blรถcken, mรผsse auch kรผnftig mit Kohle versorgt werden, heiรŸt es als Begrรผndung. Aber das wollte Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grรผnen-Fraktion im Landtag, nicht glauben. Und fragte nach.

โ€œDie Antwort von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) ist erstaunlichโ€, sagt Lippold nun, nachdem er mit Datum vom 9. April die Antwort bekommen hat, unterschrieben von Duligs Kabinettskollegin Eva-Maria Stange. Man vertritt sich. Aber das bessert die Faktenlage nicht. โ€œOffensichtlich hat die Staatsregierung keinerlei vermittelbare Erkenntnisse รผber die Auswirkungen des Kraftwerksbetriebes auf den Kohlebedarf aus dem Tagebau Nochten, weil โ€˜die Frage ausschlieรŸlich Tรคtigkeiten betrifft, welche von Privaten in eigener Zustรคndigkeit und Entscheidung wahrgenommen werden'โ€, zitiert Lippold aus der vielsagenden, weil wenigsagenden Antwort. Irgendwie hat sich Sachsens Staatsregierung schon vor Bildung der CDU/SPD-Koalition auf ein Feld begeben, auf dem sie nicht zu Hause ist. Und auf dem sie auch nicht zu Hause sein will. Und Lippold schรผttelt nur den Kopf: Wie kann man auf diese Weise quasi Unternehmenspolitik fรผr den Vattenfall-Konzern machen, ohne die wichtigsten Fakten fรผr strategische รœberlegungen zu haben?

โ€œIch bin bisher davon ausgegangen, dass der Staatsregierung belastbare Informationen vorliegen wรผrden. Das ist offenbar nicht der Fall. Wie kann sie dann immer wieder die Notwendigkeit der Tagebauerweiterung bereits in den 2020iger Jahren betonen?โ€, fragt Lippold. โ€œDa die Staatsregierung offensichtlich vรถllig im Dunkeln tappt, ob eine Tagebauerweiterung innerhalb der Laufzeit der sรคchsischen Braunkohlekraftwerke รผberhaupt erforderlich ist, erscheinen ihre vehementen Bestrebungen, das Genehmigungsverfahren fรผr diese Erweiterung zรผgig zu Ende zu fรผhren und damit die rechtliche Grundlage fรผr Umsiedlung und Landschaftszerstรถrung zu schaffen, umso absurder und verantwortungsloser.โ€

In jรผngster Zeit haben sich die Zweifel an der Tagebauerweiterung und ihrer Notwendigkeit verstรคrkt. Die Szenario-Planung der Bundesnetzagentur ging bereits 2014 davon aus, dass die zwei 35 Jahre alten Blรถcke P und N des Kraftwerkes Boxberg spรคtestens 2025 nicht mehr in Betrieb sein werden. Das derzeit viel diskutierte Klimaschutz-Papier aus dem Bundeswirtschaftsministerium nennt und begrรผndet inzwischen auch die konkreten Instrumente, mit denen dies erreicht werden soll.

Tatsรคchlich kรถnnte das Gabriel-Papier dafรผr sorgen, dass die ineffizientesten beiden Kraftwerksblรถcke schon in den nรคchsten beiden Jahren vom Netz gehen.

Gerd Lippold hatte extra gefragt, wie sich die Reichweite der Kohleversorgung fรผr Boxberg aus dem bestehenden Tagebau Nochten zeitlich verlรคngern wรผrde, wenn zwei der vier Kraftwerksblรถcke bereits 2020 oder 2025 keinen Kohlebedarf mehr hรคtten. Aber genau bei dieser Frage weicht die Staatsregierung aus, obwohl sie seit 2013 ein extra beauftragtes Gutachten besitzt, das genau diese Staffelung des AuรŸerbetrieb-Gehens der verschieden alten Kraftwerksblรถcke untersucht hat.

โ€œAus der Antwort auf meine Frage muss ich auch schlieรŸen, dass die Staatsregierung der Datenbasis ihres durch Prof. Dr. Georg Erdmann fรผr die Rechtfertigung der Braunkohleplanung erstellten Gutachtens โ€˜Annahmen der energiewirtschaftlichen Planrechtfertigung im Entwurf des Braunkohlenplans Tagebau Nochten, Abbaugebiet 2โ€™ keine Glaubwรผrdigkeit mehr beimisstโ€, kommentiert Lippold das Ausweichen der Staatsregierung genau an diesem Punkt.

Dieses Gutachten fรผhrte den Braunkohlebedarf fรผr die einzelnen Blรถcke und die Fรถrdermengen im Detail auf. Mit dieser eigenen Zahlenbasis, mit der die Staatsregierung arbeiten kรถnnte, lรคsst sich abschรคtzen, dass bei rascher Abschaltung der Blรถcke P und N eine Verlรคngerung der Reichweite des Tagebaus Nochten um etwa ein Jahrzehnt, bis mindestens Ende der 2030-er Jahre, eintritt. Das gilt selbst mit den hohen Volllaststunden-Annahmen in diesem Gutachten. Diese hohe Auslastung wird wiederum durch ein Expertengutachten des Deutschen Instituts fรผr Wirtschaftsforschung in Zweifel gezogen. Die Kohle im existierenden Tagebau wรผrde demzufolge noch lรคnger reichen.

โ€œEs gibt somit keinerlei Rechtfertigung, bereits 2015 und angesichts der rasant voran schreitenden Energiewende ein endgรผltiges Todesurteil fรผr weitere Lausitzer Dรถrfer anzustrebenโ€, schรคtzt Lippold ein. โ€œAuf einem anderen Feld, der Beschรคftigungswirkung der Klimaschutzplรคne aus dem Bundeswirtschaftsministerium, scheint die Staatsregierung wenigstens รผber fundierte Daten zu verfรผgen. Wie hรคtte sie sonst innerhalb weniger Tage derart weitgehende Aussagen zur Prognose von Arbeitsplatzverlusten und โ€˜Strukturabbrรผchenโ€™ treffen kรถnnen?โ€

Wรคhrend das Gutachten von Prof. Dr. Georg Erdmann sogar davon ausging, dass die Lausitzer Kohlekraftwerke bis in die 2050-er Jahre hinein laufen, sah das zeitgleich erstellte DIW-Gutachten ein Auslaufen der Lausitzer Braunkohleverstromung schon vor 2040: โ€œWรคhrend viele der bestehenden Braunkohlekraftwerke noch in den 2030er Jahren verfรผgbar sind, gehen deren Volllaststunden aufgrund der zunehmenden Einspeisung Erneuerbarer erheblich zurรผck. Es ist davon auszugehen, dass der Betrieb von Braunkohlekraftwerken in der Lausitz, und somit auch am Standort Boxberg, zu Beginn der 2040er Jahre auf Grund der hohen Einspeisung aus Erneuerbaren, der geringen Residuallast sowie tendenziell sinkender GroรŸhandelspreise unrentabel sein dรผrfte.โ€

Und das war noch sehr groรŸmรผtig gedacht, denn die meisten Kraftwerke kratzen jetzt schon an ihrer Rentabilitรคt. Und da der Ausbau erneuerbarer Energien weitergeht, werden in den nรคchsten Jahren immer mehr der รคlteren Kraftwerke in die roten Zahlen rutschen. In der Lausitz รผbrigens aufs Engste verbunden mit ihrer Nennlast: Die neueren Blรถcke verbrauchen einige hundert Tonnen weniger Kohle in der Stunde, was ihren Betrieb deutlich preiswerter macht als den der alten Blรถcke.

Zu dem, was Erdmann als so wichtig erachtet โ€“ nรคmlich die Sicherung einer Grundversorgung in dem Fall, in dem Sonne und Wind nicht zum Stromaufkommen beitragen โ€“ genรผgen auch die modernen Blรถcke in Jรคnschwalde und Boxberg vรถllig. Und da liegt die Entscheidung nun einmal nicht bei der sรคchsischen Staatsregierung, sondern beim Kraftwerksbetreiber, der auf alle Bekenntnisse zu Arbeitsplรคtzen und Tagebauaufschluss pfeifen wird, wenn sich einzelne Blรถcke nicht mehr rechnen.

Und die Entscheidung, welcher Block als erster vom Netz geht, wird in den nรคchsten zwei Jahren fallen. Und mit jeder Entscheidung wird der Aufschluss von Nochten II immer unwahrscheinlicher und โ€“ wieder dieses betriebswirtschaftliche Killerwort: unrentabler.

Gerd Lippold jedenfalls ist mit der ausweichenden Antwort der Staatsregierung gar nicht zufrieden: โ€œIch nehme dies zum Anlass in einer weiteren kleinen Anfrage die Staatsregierung nach der konkreten Beschรคftigungswirkung einer Stilllegung zweier Blรถcke des Kraftwerks Boxberg zu fragen.โ€

Antwort der Staatsregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Gerd Lippold (GRรœNE) โ€œGenehmigungsverfahren Tagebau Nochten IIโ€ (Drs 6/1156 ).

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Lieber Martin Dulig (SPD), warum zerstรถren Sie und ihre Partei so sinnlos die Heimat vieler Menschen? Warum?
Die Jahre der โ€œverbrannten Erdeโ€ sind lรคngst vorbei, die Sinnlosigkeit derlei Handeln hinlรคnglich bekannt, Energiebereitstellung folgt lรคngst anderen Gesetzen als denen aus Ihrer Schulzeit.
Verschonen Sie uns bitte mit Ihrem falschen Tun, folgen Sie dem Weg der FDP und โ€œvergehenโ€ Sie alsbald ohne weiteren Schaden anzurichten โ€“ bitte.

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