Mit Parteiprominenz aus Bund und Land kämpfen Sachsens Parteien im Landtagswahlkampf um Wählerstimmen. Fast täglich schneit "Unser Ministerpräsident" Stanislaw Tillich dieser Tage irgendwo rein, um für die CDU Punkte zu holen. Martin Dulig, der sächsische Landesvorsitzende der SPD, kam mit seinem Küchentisch. Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, war in der vergangenen Woche schon da, hat auch Heidelberger Druck und Amazon besucht. Und das Karl-Liebknecht-Haus. Ein kleiner Nachbericht.

Denn im Karl-Liebknecht-Haus sollte es ein wenig ums Theoretische gehen. Die Linken sind emsige Theoretiker, wenn’s drauf ankommt. Riexinger ist so einer. Aus Erfahrung. Als gestandener Gewerkschafter muss man ein bisschen was wissen darüber, wie Wirtschaft und Politik funktionieren, was Löhne bewirken und wie die wieder auf Region und Kommune wirken.

Aber an diesem 20. August im Karl-Liebknecht-Haus, wo ihn Leipzigs Linke-Chef Dr. Volker Külow empfangen hat, holt Riexinger erst einmal ganz weit aus. Er ist schon seit ein paar Tagen auf Wahlkampf-Unterstützungs-Tour in Mitteldeutschland. Und die Themen, die die an den Stand kommenden Leute ansprechen, heißen Irak und Ukraine. Die Angst geht um, nicht nur in der Wirtschaft, die Markt- und Umsatzeinbrüche fürchtet. Krisen und Kriege sind – wenn man nicht gerade ein süddeutscher Rüstungskonzern ist – schlecht fürs Geschäft. Und die Sachsen, Thüringer und Sachsen-Anhalter wissen auch: Die Gefahr ist groß, dass das durchschlägt bis in ihr Portemonnaie. Was ist da los? Warum bestehen die Fernsehnachrichten sieben Minuten lang nur noch aus Videoschnipseln von Bombardements und (Bürger-)Kriegen?

Also holt Bernd Riexinger ganz weit aus und erinnert daran, dass fast all die Länder, die da jetzt brennen, vor wenigen Jahren eine Schocktherapie bekommen haben. Von IWF und Chicago Boys. Was das ist und welche verheerenden Wirkungen das auf die Stabilität von Ländern hat, das ist alles in Naomi Kleins Buch “Die Schock-Strategie” erzählt. Praktiziert wurde es zuallererst 1975 in Chile. Russland und die Ukraine bekamen diese “uneigennützige” Wirtschaftsbeihilfe in den 1990er Jahren und haben sich beide bis heute nicht davon erholt, der Irak war nach dem Bush-Krieg dran, als Paul Bremer das Land einer radikalen Schockstrategie unterzog.

Das Ergebnis dieser radikalen Marktbereinigungen sind schwache Staaten – ihnen fehlen die notwendigen Steuereinnahmen, um funktionsfähige Verwaltungen, Polizei- und Armeekräfte zu unterhalten. Und die Möglichkeiten, regulierend einzugreifen oder die Wirtschaft gar mit staatlichen Unternehmen zu stabilisieren, fehlen. Die Macht wird zum Fähnchen im Wind. Das Land wird zum Spielfeld von Autokraten und Fundamentalisten.

Klingt wie Politik. Ist aber Wirtschaft.

Was hat das mit Sachsen zu tun, außer dass diese Entwicklungen den Leuten Angst machen? – Auch die Sachsen merken schon seit Jahren, was mit einem Land passiert, in dem ein fast wundergläubiges Marktdenken herrscht. Im Freistaat Sachsen hervorstechend besetzt mit dem Glauben daran, man könne im Wettbewerb mit Niedriglöhnen gewinnen. Nur noch jeder zweite Arbeitsvertrag in Sachsen ist tarifgebunden, stellt Riexinger fest. Die Folgen seien längst sichtbar. Auch und gerade in Sachsen: zunehmende Armutsrenten, fehlende soziale und politische Teilhabe. Denn wenn Löhne nur noch zur reinen Existenzsicherung ausreichen, fällt alles weg, was Menschen in eine Gesellschaft integriert – von der Kultur über die Mobilität bis zur Bildung.

Womit das nächste Thema aufgeblättert ist. Ein Thema, das der ewige “PISA-Sieger” Sachsen aussitzt, als gäb’s nichts zu verlieren: Denn hinter dem Klamauk um die vorderen PISA-Plätze ist Sachsens Bildungssystem eines, das stark auf Auslese setzt. Anderswo ist es nicht viel anders, betont Riexinger. Aber in Sachsen fällt der Widerspruch mittlerweile auf, denn es sind vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund, die die Schule mit einem schlechten oder gar keinem Abschluss verlassen. “Wir brauchen ein Bildungssystem, das alle mitnimmt”, sagt Riexinger, “in dem keiner verloren geht.”So ähnlich sagen das auch SPD und Grüne. Der Schluss ist klar: Das braucht Lehrer. Und eine Politik, die nicht nur vom “wertvollen Rohstoff Bildung” redet, sondern ihn auch finanziert. Das wäre schon ein halbes Regierungsprogramm, wenn Linke, Grüne und SPD nur an einem Strang ziehen wollten. Denn von der CDU erwartet Riexinger keine solche Politik. Weil die CDU anders ticke, sagt er. Bestandswahrend. Ihr Klientel seien die besserverdienenden gutbürgerlichen Wähler. Und für die sei ein Thema wie “Sicherheit” gedacht. Ganz groß geschrieben im Wahlkampf.

Was hat das mit Schule zu tun?

Hinter dem Thema Sicherheit liegt eine Emotion, auf der sich gut spielen lässt: die Angst. Und in einer Gesellschaft, in der die Ressourcen und die gut bezahlten Jobs immer seltener werden, geht die Angst um. Die Angst vor Prestige- und Statusverlust. Und die Angst vor der Konkurrenz von unten. Denn alle Erhebungen zum Thema zeigen: Die Kinder aus den sozial schwachen Familien sind nicht dümmer als die aus den gutbetuchten. Wenn sie die Chance bekommen, dann werden sie zur Konkurrenz – zum Beispiel um die besten Studienplätze, die einen Aufstieg in der Gesellschaft garantieren. “Und das sind fast alles Studienfächer mit Numerus clausus”, sagt Riexienger.

Manchmal muss man wohl auch einfach zugeben, dass es einen Wettbewerb ohne Verlierer nicht gibt. Und dass die Angst vorm Verlieren wächst, wenn die Auffangnetze immer dünner werden. Für die Sachsen mit den niedrigen Einkommen werden deswegen manche Entwicklungen bedrohlich, die von den Besserbezahlten gar nicht als solche gesehen werden. Steigende Mieten zum Beispiel, selbst wenn sie noch so langsam steigen wie in Sachsen. Aber das bedeutet für jene, die gerade so überm Minimum leben, ganz schnell, dass es für Miete und Nebenkosten nicht mehr reicht. Deswegen brauche es bezahlbaren Wohnraum. Das sei eine Aufgabe der Politik, so Riexinger. Der die Betroffenen gar nicht allein sieht, denn die Prekarisierung betrifft ja nicht nur Menschen. Sie betrifft mittlerweile auch die Kommunen im Land, die reihenweise unterfinanziert sind, dafür aber den Hauptteil der Sozialkosten tragen.

Das träfe auch auf die Kommunen im Osten zu, so Riexinger. Sie seien allesamt unterfinanziert. “Die Kommunalfinanzierung ist eine Kernfrage der Politik”, sagt er. Und verweist auf die so gern zitierte Verfassung: Da steht, dass in der ganzen Bundesrepublik gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen seien. Und wie soll das gehen?

“Mehr Geld in öffentliche Infrastrukturen”, sagt Riexinger. Das schaffe nicht nur Arbeitsplätze und Aufträge für die Firmen in der Region, das sorge auch für stabile Verhältnisse vor Ort. Ohne den Bund aber gehe das nicht. Auch nicht, so Riexinger, ohne Steuergerechtigkeit. Thema: Vermögenssteuer für alle Vermögen ab 1 Million Euro. Nur so lasse sich die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen beenden.

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Und nicht nur die Kommunen litten unter der fehlenden Steuergerechtigkeit. Die Angst in der deutschen Mittelschicht kommt ja nicht aus dem Blauen. Sie hat auch damit zu tun, dass selbst in Zeiten des Konjunkturaufschwungs kaum noch gut bezahlte Jobs entstehen. Der deutsche Konjunkturaufschwung ist auf genauso schwachen Beinen aufgestellt wie der etwa in Frankreich. Was entsteht, sind massenweise prekäre Arbeitsverhältnisse. Selbst bei guter Konjunktur. “Die Prekarisierung verfestigt sich – unabhängig von der Konjunktur”, sagt Riexinger. Und da wäre man dann wieder in Sachsen. Das Land, so Riexinger, sei geradezu auf ein Wirtschaftsmodell aufgebaut, das auf Arbeit beruht, die nicht mehr existenzsichernd ist.

Da müsse umgesteuert werden – hin zu einer Normalisierung, sagt der Gewerkschafter. Auf prekäre Arbeit könne man keine Gesellschaft aufbauen. Das funktioniere nicht. Aber wie?

Sachsen hätte die besten Voraussetzungen, so Riexinger. “Das Land hat die Spielräume für eine richtige sozial-ökologische Reform.” Man müsse nur den Mut haben, die großen Themenfelder Kommunalfinanzierung, Bildung, ÖPNV, Energie anzupacken.

Hat Sachsen diese Spielräume überhaupt? Es gäbe kaum ein Bundesland, das dafür besser gerüstet sei, meint Riexinger. “Landespolitik ist hochinteressant.” Wenn man mal so drüber nachdenkt bei Schnittchen und Kaffee. Ob die Linke zum Zuge kommt nach dem 31. August? Völlig offen.

Ansonsten drängt die Zeit. Der Termin bei Amazon steht an, wo die Belegschaft nun schon seit Monaten um eine bessere Bezahlung kämpft.

Wikipedia zur Schock-Strategie: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Schock-Strategie

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