Es ging noch einmal heftig zur Sache, als am Mittwoch, 9. Juli, im Sächsischen Landtag über das Ende des Untersuchungsausschusses zur Terrorzelle "NSU" und dem möglichen Versagen der sächsischen Behörden debattiert wurde. Während aber die regierende CDU kein gravierendes Versagen bei den Ermittlern des Freistaats Sachsen sah, blätterte der Grünen-Abgeordnete Miro Jennerjahn am Rednerpult die Liste der Punkte auf, an denen das Versagen der sächsischen Behörden sichtbar geworden ist.
“Die Haltung, Verantwortung für neonazistisches Wirken und Denken in Sachsen von sich zu schieben, neonazistische Umtriebe als Imageproblem zu sehen, ‘rechtsextrem’ reflexhaft immer in einem Atemzug mit ‘linksextrem’ zu nennen und Fehler bei Behörden außerhalb Sachsens zu suchen – genau diese Haltung in Sachsen ist es, die es dem NSU-Trio leicht gemacht hat, hier unterzutauchen”, nannte Jennerjahn das Hauptproblem der sächsischen Verwaltung. “Die Staatsregierung hat stets das Bild gemalt, sächsische Behörden hätten im Grunde alles richtig gemacht und die Schuld ist in Thüringen zu suchen, weil die dortigen Behörden nicht ausreichend informiert hätten. Nach etwas mehr als zwei Jahren Arbeit des Untersuchungsausschusses ist klar: Dieses Bild ist nicht aufrechtzuerhalten.”
Und dann blätterte er die Beispiele auf:
1. Sächsische Behörden hätten auf Grund eigener Zuständigkeiten nach dem Trio fanden müssen. Das gilt für den Verfassungsschutz ebenso wie für die Polizei. Nach dem sächsischen Verfassungsschutzgesetz lag die Zuständigkeit für die Suche nach dem Trio beim Sächsischen Verfassungsschutz. Alle Behörden waren sich sicher, dass das Trio ist in Sachsen untergetaucht ist. Die Übernahme wurde aber durch das LfV Sachsen – nach allem was wir wissen – abgelehnt.
2. Das LfV Sachsen wusste spätestens seit dem 17. September 1998, dass das Trio auf der Suche nach Waffen sei. Diese Informationen stammten von einer Quelle des LfV Brandenburg. Diese Information hat das LfV nicht an die sächsische Polizei weitergegeben. In diesem Punkt sehe ich ein zentrales Versagen des LfV. Ich bin mir sicher, mit diesen Informationen hätte die sächsische Polizei ganz andere und vor allem eigene Maßnahmen zum Auffinden des Trios ergriffen.
3. Auch eine weitere Einschätzung des LfV wurde der sächsischen Polizei nicht mitgeteilt. Im Jahr 2000 begründete das LfV eine G10-Maßnahme gegen das Trio und Unterstützer mit folgenden Worten: “Das Vorgehen der Gruppe ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen”, “Zweck der Vereinigung ist, schwere Straftaten zu begehen”. Außerdem sei bei dem Trio “eine deutliche Steigerung der Intensität bis hin zu schwersten Straftaten feststellbar”. – Bei den Vernehmungen im Untersuchungsausschuss sagten die Zeugen Boos und Vahrenhold demgegenüber aus, das LfV hätte zum damaligen Zeitpunkt “keine” bzw. “keinerlei” Anhaltspunkte für die Existenz rechtsterroristischer Gruppierungen in Sachsen gehabt. Wegen dieser Aussage habe ich Strafanzeige wegen des Verdachts der falschen uneidlichen Aussage erstattet. Möglicherweise liegt aber auch eine bewusste Täuschung der G10-Kommission vor, die über die Maßnahme zu entscheiden hatte.
4. Dass es im Zusammenhang mit der Aufklärung der Verbrechen des NSU bundesweit zu Aktenvernichtungen gekommen ist, ist an sich schon ein unglaubliches Phänomen. Die sächsische Staatsregierung betont in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis des Untersuchungsausschusses, dass der Datenschutzbeauftragte, der ehemalige Präsident des LfV, Boos, und die Harmskommission keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden hätten, dass Akten mit NSU-Bezug vernichtet wurden. – Eines möchte ich an dieser Stelle klarstellen: Bis auf diejenigen, die die Akten vernichtet haben, weiß keiner, was in den vernichteten Akten stand. Und sich auf den Täter als Zeugen zu berufen, das macht noch nicht mal ein Jurastudent im ersten Semester. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Bis heute können wir nicht ausschließen, dass nach dem 4. November 2011 Akten mit NSU-Bezug durch das LfV vernichtet wurden.
Und als 5. konnte er eigentlich auch die nachträgliche Verweigerung einer gründlichen Aufarbeitung des Fallkomplexes “NSU” in Sachsen anprangern.
“Aber Sie sind letztlich passiv geblieben”, sagte er in Richtung des sächsischen Innenministers Markus Ulbig. “Ernsthafte eigenständige Aufklärungsbemühungen seitens der Staatsregierung, wie es sie z.B. in Thüringen gegeben hat, waren hier nicht zu verzeichnen. Der im Juni 2012 vom Innenminister vorgelegte ‘Vorläufige Abschlussbericht zum Fallkomplex ‘Nationalsozialistischer Untergrund” wurde nie zu einem “Abschlussbericht”. Er wurde auch nach dem Auffinden von Unterlagen im LfV nie ergänzt. Es wurde schlicht nicht weiter aufgearbeitet.”
Jennerjahn sprach in seiner Rede sogar von “gewollter Unwissenheit”.
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Von der Einschätzung der Staatsregierung, dass “die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass sich ein Phänomen wie der ‘Nationalsozialistische Untergrund’ nach menschlichem Ermessen künftig nicht wiederholen wird”, hält er gar nichts.
“Es kann nicht so weitergehen. Wir brauchen in diesem Lande ein Umdenken: Rassismus muss endlich als Problem ernst genommen werden. Ihm ist in allen gesellschaftlichen Bereichen entgegenzutreten”, sagte er. “Dazu gehört die Aufklärung aller Straftaten, die mit rassistischen Motiven begangen wurden. Staatsanwaltschaft und Polizei müssen sich entsprechend spezialisieren. Das LfV hat in dieser Hinsicht komplett versagt. Es ist abzuschaffen. Dazu gehört aber auch, Rassismus in der Mitte der Gesellschaft zu erkennen und zu bekämpfen. Das muss unsere oberstes Ziel sein und zu diesem Zweck müssen zivilgesellschaftliche Initiativen und bürgerschaftliches Engagement – ohne Extremismusklausel – gefördert und unterstützt werden.”
Der Untersuchungsbericht des Ausschusses des Bundestages:
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/CD14600/Dokumente/Dokument%2022.pdf
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