Am 8. Juli standen sie vor der Leipziger Außenstelle der Sächsischen Bildungsagentur (SBAL). Lehrer, Schüler, Eltern und Politiker. Und es wurde durchaus kernig bei einigen Redebeiträgen, welche die derzeitige Bildungspolitik und die fehlenden Lehrerstellen in Leipzig aufs Korn nahmen. Einer der Redner war Uwe Preuss von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Leipzig. Nachdem Ralf Berger von der SBAL verkündet hatte, dass es zum neuen Schuljahr geregelt losgehen würde, schilderte Preuss seine Eindrücke von einem thematischen Besuch im Landtag und bat die Politik ehrlich zu werden. Den Zahlenspielen des Ministeriums stellte er eigene Berechnungen gegenüber. Hier sein Redebeitrag im vollen Wortlaut.

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor einigen Tagen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, im sächsischen Landtag die “Aktuelle Stunde” zu verfolgen, in der es um die Neueinstellungen für das neue und die kommenden Schuljahre ging. Um ehrlich zu sein – eigentlich hätte ich dafür ein Schmerzensgeld bekommen müssen. Nach einer Stunde, in der sich die Abgeordneten aller Fraktionen verschiedene Zahlen um die Ohren hauten, hätte selbst der klügste Mathematiker nicht mehr gewusst, wie viele junge Kolleginnen und Kollegen letztendlich in den Schulen ankommen werden.

Und genau das ist das Problem. Offenbar soll auch kein normaler Mensch diese Personalpolitik mehr verstehen. Denn dann würden noch mehr Menschen in Sachsen merken, dass diese Politik keine echte Bildungspolitik ist, sondern Flickwerk, Sparpolitik auf Kosten unserer Kinder! Und wenn nicht in den letzten Tagen und Wochen der Druck seitens der Eltern, Schüler und Lehrer öffentlich entstanden wäre, hätte sich nichts – aber auch gar nichts – bewegt. Deshalb mein herzlichster Dank an alle, die heute hier sind!

Ministerpräsident Tillich hat ja in der Presse ein so genanntes “Machtwort” gesprochen. Scheinbar wird sich nun alles zum Guten wenden. Allerdings war es für mich eher ein Wahlkampf-Trick: “Seht her, ich – Euer Ministerpräsident – werde es richten – also wählt mich gefälligst auch!”. Denn – wie ernst es mit seinem Machtwort ist, zeigte auch die “Aktuelle Stunde” im Landtag. Der bildungspolitische Sprecher der CDU erklärte dort, man hätte den Ministerpräsidenten falsch interpretiert, er hätte gemeint es würden “mindestens 1000 neue Lehrer eingestellt”. Nachdem sich das Gemurmel im Landtag gelegt hatte, erklärte er dieselbe Person, es würden jetzt 775 Leute eingestellt.
Ein Schüler hinter mir auf der Besuchertribüne hatte es dann ganz schnell heraus: “Das sind ja weniger als 1.000.” Noch brauchen wir uns also um die Mathe-Fähigkeit unserer Schüler keine Sorgen zu machen, wohl aber um die Politik. Denn da werden zum Beispiel stolz Neueinstellungen von 150 jungen Leuten und entfristete Arbeitsverträge von 380 weiteren jungen Kollegen verkündet. Die sind aber schon lange in den Schulen tätig – und damit also bereits Teil des “Dauer-Minus”.

Da wird die Zahl der ausscheidenden Kollegen hin und her gerechnet. Das Rentenalter ist festgelegt – trotzdem kommen diese Fälle für die Schulaufsicht immer “überraschend”. Eine Schwangerschaft dauert in der Regel immer 9 Monate – trotzdem fallen die jungen Kolleginnen dann offenbar immer “überraschend” aus – so jedenfalls die Lesart der Behörde. Selten ist geplanter, vor allem fachgerechter (!) Ersatz rechtzeitig da. Ich will die Regionalstellen der Bildungsagentur keineswegs in Schutz nehmen, aber die Frage ist auch für sie – woher nehmen?.

Und über die mehr als 4.000 Schülerinnen und Schüler, die – Gott sei Dank – zusätzlich in sächsischen Schulen strömen – redet bisher kaum jemand. Allein für diese Schüler bräuchte der Freistaat etwa 200 neue Lehrer …

Aber, eines macht mir große Sorgen: Wenn sich die CDU im Vorfeld der Landtagswahlen traut, solchen Unfrieden zu stiften, da graut mir vor der Zeit nach den Wahlen. Die Ministerin hat zugesagt, dass am 1. Schultag vor jeder sächsischen Schulklasse ein Lehrer stehen wird. Dies haben übrigens alle Kultusminister vorher auch schon versprochen … Die Frage ist – wird das 4 Wochen nach Schuljahresbeginn immer noch so sein???
Liebe Politiker! Dann sagt es doch offen: Sagt uns “Wir reden – vor allem in Sachsen – zwar oft und gern über Bildung. Sind aber nicht bereit, genug Geld dafür auszugeben. Findet Euch damit ab und Basta!” Das wäre wenigstens ehrlich!

Um es noch einmal allen in Erinnerung zu rufen. Der Abbau von Lehrerstellen hält seit 1990 unvermindert an. Seit dieser Zeit sind im Schulbereich mehr als 20.000 (!) Stellen abgebaut worden. Und dieser Abbau hält an, denn die Staatsregierung hat ein ehrgeiziges Ziel. Sie will die Zahl aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Freistaates bis 2020 auf 70.000 senken. Und so hat man sich speziell für den Schulbereich ein listiges Argument ausgedacht. Man will die Lehrer-Schüler-Relation anderen Flächenländern wie z.B. Nordrhein-Westphalen angleichen.

Der “Spiegel” hat vor 3 Wochen über Klassengrößen Auskunft gegeben. Dabei liegt Sachsen im Durchschnitt der meisten Bundesländer, nur NRW ist deutlich schlechter. Und Nordrhein-Westphalen ist auch ein schlechtes Beispiel. Dort war der Lehrermangel so groß, dass jährlich bis zu 5 Millionen Unterrichtsstunden ausgefallen sind. Derzeit liegt der Unterrichtsausfall in NRW um etwa 2 Prozent höher als in Sachsen! Ist es wirklich das, was wir wollen? Doch wohl nicht!

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Und es ist für mich auch keine große Leistung, wenn die Staatsregierung sich rühmt, 55 Millionen Euro für neue Lehrerstellen bereitgestellt zu haben, wenn gleichzeitig der Steuerzahler bis heute 1,1 Milliarden Euro für die Pleite der Sächsischen Landesbank berappen musste. Doch darüber schweigt sich die Politik tunlichst aus …

Ich sage: Wir brauchen nicht die Lehrer-Schüler-Relation oder Klassenstärken anderer Bundesländer! Wir brauchen die Lehrer-Schüler-Relation, die die besten Bedingungen für die sächsischen Schülerinnen und Schüler bietet, die ausreichende Integrations- und Fördermöglichkeiten für jede Schülerin und jeden Schüler bereitstellt, die Lehrerinnen und Lehrern ein vernünftiges Arbeiten ermöglicht die es ermöglicht, auf aktuelle Ereignisse zeitnah und fachgerecht zu reagieren, die ausreichend Reserven bereithält, um Neues auszuprobieren und Schulen wirklich zu gestalten die Schulen an sozialen Brennpunkten – und davon gibt es in Leipzig einige – personell stärkt und die ausreichend finanziell untersetzt ist.

Wir brauchen ausreichend neue, gut qualifizierte Lehrerinnen, Lehrer, Erzieherinnen, Erzieher und Sozialpädagogen, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Wir brauchen für den sächsischen Bildungsbereich eine völlig andere Finanzpolitik. Wir brauchen Chancen für junge Menschen, in Sachsen ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt zu finden. WIR BRAUCHEN EUCH liebe Schülerinnen und Schüler – HIER – IN SACHSEN!

Zum Artikel vom 8. Juli 2014 auf L-IZ.de

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