Manchmal hat man das Gefühl, die Mitglieder der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag werden derzeit recht schwindelig, so schnell ändern sich auf einmal Dinge, von denen man fünf Jahre lang stets gesagt bekam, dass sie alternativlos und unverrückbar wären. Etwa beim Thema Wohnungsabriss versus Stadtraumentwicklung. Jetzt will auf einmal selbst der Verband der Wohnungswirtschaft keine Abrisse mehr. Für Gerald Otto ging das zu schnell.

Gerald Otto, wohnungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, reagierte am Freitag, 23. Mai, noch im alten Reflex auf eine Klage des sächsischen Verbandes der Wohnungswirtschaft, dass Tausende Wohnungen in den vergangenen Jahren der Abrissbirne zum Opfer gefallen wären. Verknüpft mit der Aufforderung an den Freistaat zu einem Stadtumbau mit Augenmaß.

Also hat Otto noch einmal die Argumente ausgepackt: “Der Freistaat Sachsen unterstützte den Rückbau von Wohngebäuden aufgrund des hohen Leerstandes zur Stabilisierung des Wohnungsmarktes. Der Leerstand hatte Ende der 1990er Jahre derartige Ausmaße genommen, dass die Existenz von vielen Wohnungsunternehmen in Frage gestellt war. Vom Freistaat wurden Mittel in Größenordnung in einem Landesrückbauprogramm zur Verfügung gestellt.”

Die 1990er Jahre sind zwar schon ein Weilchen her. Und auch die 2000er-Jahre, in denen Abriss in Sachsen flächendeckend das Gebot der Stunde schien. Auch weil es vielen Wohnungsgesellschaften damals tatsächlich dreckig ging.

“Mit Unterstützung des Bundes wurden die Altschulden entlastet und das Bund-Länder-Programm ?Stadtumbau Ost? aufgelegt. Diese auf Betreiben und in Abstimmung mit der Wohnungswirtschaft zur Verfügung gestellten Hilfen waren und sind ein Angebot. Dieses muss von der Wohnungswirtschaft nicht angenommen werden. Von diesem Angebot haben die Verbandsmitglieder des Wohnungsverbandes rege Gebrauch gemacht. Der Rückbau der organisierten Wohnungswirtschaft erfolgte aus eigenem wirtschaftlichem Interesse”, argumentierte Otto nun. Und glaubt den Kummer nun einfach bei anderen Betroffenen zu sehen – den privaten Eigentümern. “Der Freistaat Sachsen weist schon lange darauf hin, dass bei den privaten Eigentümern ein hoher Leerstand existiert. Laut Zensus liegt dieser bei 66 Prozent. Doch zum Rückbau kann kein Eigentümer gezwungen werden. Da es sich bei der Förderung um Steuermittel handelt, muss versucht werden, diese optimal einzusetzen. Deshalb sollten im Regelfall möglichst ganze Quartiere zurückgebaut werden, auch im Interesse einer bezahlbaren Infrastruktur und im Interesse einer kompakten Stadtstruktur.”

Aber vielleicht hat der Freistaat nur die Zensus-Tabellen falsch gelesen. Mal abgesehen davon, dass Fachleute auch die Zensus-Ergebnisse sehr kritisch sehen, weil auch Wohnraum darin auftaucht, der im aktuellen Zustand gar nicht vermietungsfähig ist. Landesweit lag – nach dem Zensus 2011 – die unter 20 Prozent. Und die größten Leerstandsquoten wurden seltsamerweise dort gemessen, wo seit Jahren wie wild gebaut wird, um den wachsenden Bedarf zu decken: in den Speckgürteln der beiden Großstädte Leipzig und Dresden.

Die Karte dazu findet man auf Seite 221 der verlinkten Zensus-Auswertung.Volle Zustimmung bekam der Verband der Wohnungswirtschaft von der Grünen-Fraktion.

“Die Forderung nach der Einschränkung des Rückbauprogramms ist richtig, seine Abschaffung wäre falsch”, erklärte dazu Gisela Kallenbach, baupolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen. “Nachdem wir Grünen jahrelang gefordert haben, endlich den Schwerpunkt auf die Aufwertung der Stadtviertel zu legen, hat Sachsen im Doppelhaushalt ab 2014 nachgebessert: 44 Millionen Euro stehen als Aufwertungsmittel zur Verfügung, nur noch knapp 6 Millionen Euro als Rückbaumittel. Eine späte, aber lobenswerte Einsicht!”

Für die Grünen ist es auch nicht neu, dass sich der Wind in Sachsen gedreht hat. Während die CDU auch die letzten Jahre noch dem alten Milbradtschen Menetekel anhing, der Freistaat würde an schwindender Bevölkerung hinsiechen, sehen sie ein verändertes Lagebild: Trotz zum Teil großen Leerstandes in vielen sächsischen Klein- und Mittelstädten droht in den Ballungsräumen bezahlbarer Wohnraum für Familien und ältere Menschen mehr und mehr knapp zu werden. Durch steigende Preise bei Neuvermietungen werden vor allem einkommensschwache Bürger mittlerweile immer häufiger an den Rand der Städte gedrängt.

Generell gilt, so sehen es die Grünen: Pauschalisierungen sind in Sachsen unangebracht. In Sachsen sieht es regional höchst unterschiedlich auf dem Wohnungsmarkt aus. Während in vielen Klein- und Mittelstädten immer noch ein hoher Leerstand herrscht, gebe es in Teilgebieten von Leipzig, vor allem aber in Dresden bereits einen sehr angespannten Wohnungsmarkt. Auch die wirtschaftliche Situation der verschiedenen Akteure am Wohnungsmarkt weicht stark voneinander ab. Einfache Losungen sind ebenso irreführend, wie kontraproduktiv.

“Wir unterstützen die Forderung der organisierten Wohnungswirtschaft, dass private Vermieter stärker an den Stadtumbauprozessen teilhaben können als bisher. Das muss sowohl für Abriss- als auch für Aufwertungsmaßnahmen gelten”, sagt Gisela Kallenbach. “Die Staatsregierung sollte nur noch dann Wohnungsabrisse fördern, wenn dadurch städtebauliche, soziale und ökologische Verbesserungen erreicht werden.”

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Bislang wurden schon 100.000 Wohnungen in Sachsen abgerissen. “Zunächst war das hilfreich. Die Wohnungswirtschaft hat vor allem in den Plattenbaugebieten den Leerstand ausgeglichen. Aber im gleichen Zeitraum, in dem steuerlich gefördert, massiv abgerissen wurde, entstanden 50.000 neue Wohnungen”, benennt Kallenbach die andere Seite der Medaille. “Oft auf der grünen Wiese und öffentlich gefördert! Gleichzeitigen Abriss und Neubau in einer Kommune zu fördern, ist widersinnig.”

Die Grünen würden daher vom Freistaat die Koppelung der Fördergeldfreigabe an den Zwang zur interkommunalen Zusammenarbeit und Planung fordern. Kallenbach: “Die regionalen Unterschiede muss die Staatsregierung in ihrer Förderpolitik berücksichtigen. Zuzüge hier, Wegzüge da. Leerstand auf der einen, Wohnungsmangel auf der anderen Seite. Die Orientierung an der durchschnittlichen Tiefe des Dorfteichs, also die pauschale Förderung jedes nur möglichen Wohnungsabrisses hilft da wenig.”

Die Wohnraumauswertung nach den Zensus-Ergebnissen 2011: www.statistik.sachsen.de/download/300_Voe-Sonderpublikation/F_I_Zensus-2011_GWZ_TI1_2.Auflage.pdf

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