Wenn man Umweltminister Frank Kupfer (CDU) so hört, dann ist alles paletti in Sachen Hochwasserschutz in Sachsen. Am Donnerstag, 30. Januar, hat er vor dem Sächsischen Landtag die Ergebnisse des Berichtes der "Kommission zur Untersuchung der Flutkatastrophe 2013" vorgestellt. "Die Kirchbach-Kommission hat festgestellt, dass sich die vielfältigen und zum Teil sehr grundsätzlichen Änderungen im Hochwasserschutz seit 2002 voll und ganz bewährt haben", lobt er sich selbst.

Oder seine untergeordneten Talsperrenverwaltungen, die in den vergangenen elf Jahren 1,6 Milliarden Euro verbaut haben – teilweise um die Schäden der Flut von 2002 zu reparieren, aber massiv auch in neue technische Bauwerke. Das so ein System der Flut im Juni 2013 stand hielt, war eigentlich zu erwarten. “Voll und ganz”, wie Kupfer meinte, hat es sich aber nicht bewährt. Denn Vieles von dem, was 2003 versprochen wurde, ist einfach nicht passiert. So sah das auch die Kirchbach-Kommission.

Unter dem Vorsitz von General a.D. Hans-Peter von Kirchbach hatten Experten im Auftrag der Staatsregierung untersucht, welchen Effekt die Änderungen nach 2002 im Hochwasserschutz, Hochwassermeldewesen und im Katastrophenschutz beim Hochwasser im Juni 2013 hatten.

“Die Kommission empfiehlt ausdrücklich die Fortführung des Hochwasserschutz-Investitionsprogramms”, stellt Kupfer fest. “Der Freistaat hat seit 2002 650 Millionen Euro in die Hand genommen, um vielerorts in Sachsen den Hochwasserschutz zu verbessern. Mit weiteren 900 Millionen Euro haben wir 2002 entstandene Schäden nachhaltig beseitigt. Den Erfolg des Investitionsprogramms belegen die fertiggestellten Hochwasserschutzmaßnahmen, unter anderem in Dresden, Eilenburg und Zwickau, die allesamt funktioniert haben.”

Sachsen werde das Investitionsprogramm fortsetzen. Zurzeit sind unter anderem Hochwasserschutzmaßnahmen in Grimma, Flöha, Aue, Lunzenau, Penig und Döbeln im Bau.

Aber so ganz ist ihm nicht entgangen, dass eine Kritik aus dem Kirchbach-Bericht sehr deutlich war. Dort heißt es: “Die Fortschritte bei der Einrichtung von Überschwemmungsflächen und Poldern befriedigen dagegen nicht. Ehrgeizigen Planungen stehen bislang nur wenige mühsam erreichte Ergebnisse gegenüber.”

Das ist das Thema, das gerade in der Leipziger Burgaue für Streit sorgt – als Teil des Auenwaldes einer dieser natürlichen Polder, die eigentlich längst geöffnet hätte werden müssen. Doch die Landestalsperrenverwaltung will mit einem Investitionsaufwand von 3,5 Millionen Euro die Verriegelung der Burgaue auf Jahrzehnte hin zementieren.

Kupfer liest die Kritik aber als reinen Vorschlag.
Und zählt dann auf: Von den im Hochwasserschutzinvestitionsprogramm vorgesehenen Maßnahmen seien drei Deichrückverlegungen mit insgesamt 141 Hektar fertiggestellt. Bei der im Bau befindlichen Deichrückverlegung Bennewitz-Püchau an der Mulde bei Wurzen würden rund 450 Hektar Retentionsraum gewonnen. Weitere ähnliche Maßnahmen seien in Planung.

“Auch bei den geplanten Polderprojekten kommen wir voran”, sagte der Minister. “An der Mulde entsteht derzeit der 1.436 Hektar große Polder Löbnitz – das größte derartige Projekt in Sachsen. Bei der Umsetzung der Polder Außig, Dautzschen und Dommitzsch an der Elbe wird uns das Nationale Hochwasserschutzprogramm helfen. Mit diesem überregional bedeutsamen Poldersystem auf einer Gesamtfläche von 1.546 Hektar schaffen wir einen Hochwasserrückhalteraum von rund 50 Millionen Kubikmetern. Das ist ungefähr ein Drittel dessen, was die landeseigenen Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken im Hochwasserfall aufnehmen können.”

Entsprechend heftig war denn auch die Grünen-Kritik, nachdem der Minister geredet hatte. Eva Jähnigen, die für die Grünen ans Pult trat, ging auch auf ein Thema ein, das im Kirchbach-Bericht nicht vorkommt: “Unmittelbar nach dem Hochwasser haben CDU und FDP trotz Gegenwehr aus den Kommunen und der Öffentlichkeit geglaubt, ein unverändertes Wassergesetz beschließen zu müssen. Damit wurden den Kommunen Handlungsmöglichkeiten wie das Vorkaufsrecht in Hochwasserschutzfragen aus der Hand geschlagen. Kurze Zeit später wurde auch der Landesentwicklungsplan von der Regierung festgesetzt. Alles Wichtige ist dort Fehlmeldung: Es gibt kein Maßnahmekonzept für mehr Flächenentsiegelung und es gibt keine Konsequenzen aus dem erneuten Hochwasser.”

7.500 Hektar Überschwemmmungsfläche hatte der Freistaat noch 2003 versprochen. Jähnigen zitiert den im Kirchbach-Bericht in “höchst diplomatischer Höflichkeitssprache sächsischer Verwaltungsfachleute” formulierten Satz auf Seite 35: “Die Schaffung neuer Überschwemmungsflächen ist noch nicht im erhofften Ausmaß gelungen.”

Im politischen Klartext heiße das, so Jähnigen: “Die Schaffung neuer Überschwemmungsflächen wurde seit 2002 von der Staatsregierung sträflich vernachlässigt.”

Als Wink mit dem Zaunpfahl wurde im Bericht die Kleine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Gisela Kallenbach zum Stand der realisierten Deichrückverlegungen in Sachsen zitiert (Drs. 5/12218). Jähnigen: “Und die Kirchbach-Kommission konstatiert völlig korrekt, dass von ursprünglich in 47 Hochwasserschutzkonzepten nach 2002 vorgeschlagenen 49 Poldern und Deichrückverlegungen mit insgesamt 7.500 Hektar potenziellen Retentionsflächengewinn im Hause Kupfer im Laufe der Zeit nur noch 36 Maßnahmen mit 5.200 Hektar als ‘fachlich sinnvoll und realisierbar’ befürwortet wurden. – Die Gründe für diese Reduzierung um ein Drittel wurden im Detail bis heute nie offen und transparent dargelegt. Offenbar hat die Regierung ihre Pläne einfach an das zu langsame Umsetzungstempo angepasst, um die Probleme zu verschleiern. So funktioniert Hochwasserschutz nicht!”

Geschaffen wurden bisher nur 140 Hektar Überflutungsfläche durch Deichrückverlegungen bzw. Deichaufgaben geschaffen. “Das sind weniger als 2 Prozent der ursprünglich geplanten Überschwemmungsflächen! Eine weitere Deichrückverlegung sowie ein Polder sind in Bau. Mehr nicht. Dieses Verzögern wichtiger Maßnahmen ist kein Zufall”, stellt Eva Jähnigen fest. “Insgesamt wurden nach Angaben der Staatsregierung zwischen 2002 und 2012 530 Millionen Euro für realisierte sächsischen Hochwasserschutzmaßnahmen ausgegeben, davon allerdings nur 5 Millionen Euro in die Schaffung von Überschwemmungsflächen entlang der sächsischen Gewässer investiert.”

Oder anschaulich auch für die Leipziger: Alles, was im Gebiet der Weißen Elster gemacht wurde, wurde in Deiche und Beton investiert. Die Polder-Pläne von 2003 liegen in der Schublade des Umweltamtes und werden nicht einmal dann hervorgeholt, wenn die Landestalsperrenverwaltrung das Fällen von Bäumen oder den Bau eines neuen Auslasswerks mitten im Naturschutzgebiet beantragt.

Gern wird auch kolportiert, es seien die Landwirte, die gegen die Öffnung ihrer in den Flussauen angelegten landwirtschaftlichen Flächen für Hochwasser Sturm liefen. Auch das wir im Kirchbach-Bericht berücksichtigt. Da aber steht ein Vorschlag, der auf Regierungsebene nicht einmal diskutiert wird: “Ein Entschädigungsprogramm für Landwirte, das bundesweit ausgerichtet sein sollte, ist hierfür notwendig.”

“Großzügige Ausgleichszahlungen für Ertragsausfälle im temporären Überschwemmungszeitraum für die Besitzer dieser Flächen kämen die Steuerzahler immer noch um ein Vielfaches billiger als der alleinige Fokus auf technischen Hochwasserschutz und Folgeschäden der Überschwemmungen”, stellt Jähnigen fest. Und: “In starkem Maße fehlen auch kommunale Hochwasserschutzkonzepte für die Gewässer zweiter Ordnung.”

Und sie fragt: “Aber wie sieht es in der Praxis bei der von der Kirchbach-Kommission geforderten Förderung solcher Maßnahmen aus? Hochwasserschutzkonzepte werden für Gewässer zweiter Ordnung wenig und andere Maßnahmen gar nicht gefördert. Die Prioritätensetzung des Landes gilt hauptsächlich den Gewässern 1. Ordnung. Wir haben aber gerade beim Hochwasser 2013 gesehen, dass die Gewässer 2. Ordnung ein hohes Schadenspotenzial haben.”

Die Kommunen bleiben für ihren Teil auf den hohen Kosten für solche Hochwasserschutzmaßnahmen sitzen. Was einer der Gründe dafür ist, dass Leipzigs Umweltbürgermeister der Talsperrenverwaltung Narrenfreiheit gibt – denn die hat das Geld und damit das entsprechende Druckmittel, in einer Kommune wie Leipzig ihre Interessen rücksichtslos und ohne Abstimmung durchzusetzen.

Für Jähnigen war der Kupfer-Auftritt wieder nur eine Bestätigung dafür, dass die sächsische Staatsregierung immer nur das aus solchen Berichten herausliest, was ihr Handeln zu bestätigen scheint. Die wichtigen Kritikansätze werden schnell wieder vergessen . Jähnigen zu Kupfer: “Ich rate ihnen, lesen sie doch mal zwischen den Zeilen des Berichts, dass können wir doch alle noch von früher. Dann würden sie feststellen, dass wenn bei allen Verbesserungen im Katastrophenschutz und Warnsystem der Fokus einseitig auf technischen Hochwasserschutzmaßnahmen liegt und der vorsorgende Hochwasserschutz so vernachlässigt wird, solche Berichtsanträge wie der heutige nicht wirklich hilfreich sind. Das flächendeckende Hochwasser in Sachsen 2013 mit seinen großen Schäden hat gezeigt: der vorsorgende Hochwasserschutz muss gestärkt werden und die Kommunen brauchen mehr Unterstützung. Das ist das Gebot der Stunde – und keine vagen Berichtsanträge.”
Der Kirchbach-Bericht als PDF zum download.

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