16,3 Milliarden Euro, 16,85 Milliarden Euro - in den nächsten beiden Jahren wächst der sächsische Haushalt wieder auf die Größenordnung, die er 2010 zuletzt hatte. Bevor die schwarz-gelbe Regierung daran ging, die Haushaltsjahre 2011 und 2012 jeweils um über 1 Milliarde Euro zu amputieren.
War zwar nicht notwendig. An beiden Jahresenden verkündete Finanzminister Georg Unland (CDU) frohlockend, dass er nun auf einmal dreistellige Millionenbeträge zusätzlich eingenommen hat. 2011 waren es am Ende rund 600 Millionen Euro, 2012 geht es Richtung 800 Millionen. Beides absehbare Effekte, die nichts mit den Steuerschätzungen zu tun haben, die der sächsische Finanzminister regelmäßig veröffentlicht – jeweils deutlich geringer angesetzt als die Schätzung des Arbeitskreises Steuerschätzung, der jeweils im Mai und November seine Ergebnisse veröffentlicht. Im Arbeitskreis arbeitet auch Sachsen mit.
Doch es ist, als lebte der sächsische Finanzminister in einer völlig anderen Welt. “Das Ergebnis der Steuerschätzung für die Jahre 2013/2014 ist dagegen ernüchternd”, erklärte Prof. Dr. Georg Unland am 8. November. “Unter dem Strich wird es für den Freistaat keine weiteren Zuwächse gegenüber den Prognosen vom Mai geben.”
Tatsache ist: Die Bundesländer haben in den nächsten Jahren nach der November-Schätzung weiter leicht steigende Einnahmen – genauso wie der Bund. Es sind die Gemeinden, die voraussichtlich weniger Einnahme haben werden.
Wobei man natürlich alle Prognosen ab 2015 als “Lesen im Kaffeesatz” verbuchen kann. Niemand kann für diese Jahre voraussagen, wie sich die Wirtschaft entwickelt, ob nicht internationale Krisen heftig ins Kontor schlagen.
Schätzung für Schätzung bestätigt aber auch, dass Sachsens Finanzminister mit seinen Annahmen für die Steuereinnahmen 2011 und 2012 völlig daneben lag. “Es gab – wie wir gesagt haben – keinen Grund für die Streichungen in Milliardenhöhe”, sagt Dirk Panter, Generalsekretär der sächsischen SPD. Aber auch der Blick auf den Entwurf zum Doppelhaushalt 2013/ 014 ist ihm kein Trost: Obwohl die angesetzten Planzahlen so aussehen wie zuletzt 2010, hat die sächsische Staatsregierung keine ihrer damals durchgesetzten Kürzungen zurückgenommen.
Nicht im Sozialbereich, nicht bei Lehrern, Polizisten, ÖPNV. Es ist nicht mal ein Wahlkampfhaushalt, der da vorgelegt wurde, wundert sich Panter, der akribisch nach möglichen Wahlgeschenken für mögliche CDU- und FDP-Wähler gesucht hat. Doch der zahlenmäßige Zuwachs der verfügbaren Mittel im Doppelhaushalt resultiert augenscheinlich nicht aus den erwartbaren höheren Steuereinnahmen. Teilweise sind es schlicht steigende Finanzhilfen vom Bund, die hier mit eingebucht werden – so 200 Millionen Euro zusätzlich für die Kosten der Unterkunft oder zusätzliche Mittel zur Alterssicherung. Aber auch die 470 Millionen Euro aus dem Finanzausgleichgesetz (FAG), die den Kommunen zur Verfügung gestellt werden, tauchen hier auf. “Aber das sind Entnahmen aus der Steuerrücklage, die sowieso den Kommunen zustehen”, sagt Panter. “Ich würde das Ganze als eine Bilanzverlagerung bezeichnen. Die Staatsregierung hält an den alten Strukturen fest.”
Und die Kürzungen der Jahre 2011/2012 werden fortgeschrieben. “Sie dienten nicht dazu, knappen Zeiten vorzubeugen”, sagt Panter, “sondern um Strukturen zu zerschlagen.”
Dazu zählen einige Projekte, die unter der CDU/SPD-Regierung erst angeschoben worden waren: die Gemeinschaftsschule als Modellprojekt, die nach Dienstantritt von Schwarz/Gelb genauso schnell wieder abgeschafft wurde wie das beitragsfreie Vorschuljahr, das eigentlich als Ersatz gedient hatte für den fehlenden Willen der CDU, die Kita-Pauschale, die seit 2005 feststeht, zu erhöhen. In beiden Fällen wären die Kommunen deutlich entlastet worden.
Abgeschafft wurde vom neuen Wirtschaftsminister umgehend auch der Kommunal-Kombi, ein mit 30 Millionen Euro gepuffertes öffentliches Beschäftigungsprogramm, das kurzzeitig 5.000 geförderte Arbeitsplätze insbesondere im sozialen und kulturellen Bereich schuf. Arbeitsplätze, die auch eine Kontinuität in der Besetzung brauchen. Die Vereine, die mit ihnen arbeiten, übernehmen mittlerweile hunderte Aufgaben, ohne die die moderne Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde.
Verständlich wären all die Einschnitte auch für Panter, wenn die sächsische Staatsregierung so etwas wie eine eigene Vision entwickeln würde, wenn auch nur zu ahnen wäre, welche Art Zukunft die Regierung vorbereiten wolle.
Denn was sich nicht geändert hat, ist der Termin 2019, das Jahr, in dem der Solidarpakt ausläuft. Die Gelder aus dem Solidarpakt waren von Anfang an dafür gedacht, im Osten jene Infrastrukturen zu schaffen, die die deutlich steuerschwächeren Ostländer nicht aus eigener Kraft bauen können.
Dass die westdeutschen Geberländer nun langsam ungeduldig werden, hat auch einen simplen Grund: Niemand kann ihnen wirklich erklären, wofür die Gelder ausgegeben werden und wohin man mit den Investitionen will. Autobahnen allein sind keine Zukunftsinvestition. Das hat sich eigentlich schon herumgesprochen. Bildung wäre eine. Doch der Doppelhaushalt ist so gestrickt, dass auch 2013/2014 weitere Lehrer verloren gehen. Die Wissenschaftsministerin hat ihre Stellenstreichungen an den Hochschulen nicht zurückgenommen.
“An den Hochschulen wurde die Not zum Prinzip gemacht”, sagt Holger Mann, der Hochschulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. “Das wird sich in Zukunft rächen.”
Und es bedroht unter anderem auch Leipzig als medizinischen Forschungsstandort, denn nur aus Drittmitteln kann man ein Forschungscluster nicht finanzieren. Deswegen heißen sie ja Drittmittel – um sie einwerben zu können, braucht man Eigenmittel und eine funktionierende vorhandene Struktur, an die die zusätzlichen Forschungsprojekte andocken können. Auch hier glaubt Sachsen sparen zu können – in der Hoffnung auf noch mehr Drittmittel.
“Aber da müssen wir mittlerweile feststellen, dass das ausgereizt ist”, sagt Mann. “Da geht nichts mehr.”
Was Dirk Panter vermisst, ist so etwas Simples wie eine Strategie, die über den Doppelhaushalt hinausweist. Die Probleme, die zu meistern sind, liegen auch für den Freistaat auf dem Tisch. Er muss Lösungen finden für eine neue Energiebasis – und das betrifft eben nicht nur den Strom, den die sächsische CDU so gern weiter mit Braunkohle erzeugen will, es betrifft auch all jene Bereiche, in denen heute noch Öl verbrannt wird. Dass der Verkehrsminister an seinen Streichungen im ÖPNV festhält, zeigt recht sinnfällig, dass ihm ein funktionierendes und nachhaltiges Verkehrsnetz für die Zukunft egal ist.
Aber der Freistaat hat auch keine Rohstoffstrategie. Und die Personalkürzungen, die Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) 2009 so ohne jegliche Analyse in die Welt posaunt hat, werden auch 2013/2014 fortgeschrieben. In beiden Jahren gehen Sachsen über 250 Lehrer verloren – auch dann, wenn man alle 900 studierenden Lehramtsstudenten in den Dienst übernehmen würde. “Aber da fehlen Referandariatsstellen”, sagt Holger Mann. “Und mittlerweile ist Sachsen von lauter Bundesländern umgeben, die ihre Lehrer wesentlich besser eingestuft haben.”
Die Langfristperspektive fehlt.
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Bis 2016 sei absehbar, dass die Studierendenzahl in Sachsen mindestens so hoch bleiben werden wie 2012. “Unsere Forderung lautet eindeutig, bis dahin auf Stellenstreichungen im Hochschulbereich zu verzichten”, sagt Mann. Aber das Wissenschaftsministerium hat da keine eigene Meinung und hält am Streichplan fest. Für die Uni Leipzig bedeutet das jährlich 24 gestrichene Vollzeitstellen, für die HTWK 6.
“Es ist ein reiner Krämerhaushalt”, sagt Dirk Panter, “ohne Esprit, ohne Elan.”
Was dann in immer mehr Bereichen jene Feuerwehrlösungen zeitigen wird, mit denen die Staatsregierung Handlungsfähigkeit zu beweisen versucht – aktuell bei den Hilfspaketen im Schulbereich und den kurzfristigen Stellen im Hochschulbereich.
Beides Dinge, die man mit frühzeitigem Umsteuern ohne großes Tamtam hätte vermeiden können. Doch die sächsische Politik lebt von der großen Geste und vom dramatischen Endzeitmoment. Und der Doppelhaushalt 2013/2014 böte diese Chance zum Umsteuern. Auch und gerade in Bereichen, die alle Landesteile betreffen – bei der Sicherung des Schulbetriebs genauso wie bei der Sicherung des ÖPNV, beim Erhalt einer funktionsfähigen Polizei oder auch dem so wichtigen Erhalt der so wichtigen Forschungscluster.
Denn die Entscheidung ist ziemlich klar: Entweder investiert Sachsen wieder in seine tragenden Strukturen und bleibt wettbewerbsfähig, was ohne gut ausgebildeten Nachwuchs ganz gewiss nicht zu machen ist, oder es wird eine unter Strukturmangel leidende Provinz – ungefähr wie heute Vorpommern. Nur ist nicht unbedingt damit zu rechnen, dass man in Pommern dieselben Fehler macht.
Die Steuerschätzung November:
www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2012/10/2012-10-31-steuerschaetzung.html
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