2010 feierte das Bündnis "Dresden nazifrei" einen ersten spürbaren Erfolg bei der Verhinderung des fast schon traditionellen Neonazi-Umzuges im Februar beim jährlichen Gedenken an die Opfer der Bombardierung. Und natürlich ärgerte man sich darüber. Im Nachgang hagelte es Anzeigen, unter anderem gegen den damaligen Vorsitzenden der Linksfraktion im Landtag, André Hahn. Am Dienstag benannte Hahn sehr deutlich die Herkunft der Anzeigen. Eine kam direkt aus der NPD-Fraktion.
Wer in Deutschland Demonstrationen anmeldet, hat natürlich auch das Recht, Anzeige zu erstatten, wenn die Demonstration rechtswidrig beeinträchtigt wird. Normalerweise prüft die Justiz dann, ob ein Verdachtsmoment besteht und entscheidet, ob sie Ermittlungen aufnimmt oder nicht.
Doch selbst als die Dresdner Staatsanwaltschaft 2011 die Aufhebung der Immunität von André Hahn beantragte, scheint man den Verdacht nicht einmal erhärtet zu haben. Auch CDU und FDP, die gemeinsam mit der NPD die Aufhebung der Immunität von André Hahn beschlossen, scheinen nicht nachgefragt zu haben, welche Verdachtsmomente überhaupt bestehen.
Die Sache war so obskur, dass der Grünen-Abgeordnete Johannes Lichdi, der im Februar 2010 ebenfalls gegen den Nazi-Umzug demonstriert hatte, sogar Anzeige gegen sich selbst stellte. Doch die Staatsanwaltschaft wollte seine Anzeige gar nicht. “Nein, gegen Sie Herr Lichdi, müssen wir kein Ermittlungsverfahren führen”, teilte sie ihm damals mit. “Sie waren ja den ganzen Tag am Albertplatz, und die Leute am Albertplatz haben nicht blockiert …”
Aber auch Hahn – der damals am Neustädter Bahnhof stand – hat nicht blockiert, hatte auch mit der Polizei keine Konflikte und auch keine Versammlung “grob gestört”. Was die Dresdner Staatsanwaltschaft leicht hätte nachprüfen können, denn Hahn und alle mit ihm demonstrierenden Abgeordneten hatten sich bei den Polizisten vor Ort nicht nur angemeldet, sie standen mit ihnen jederzeit im Kontakt. Das ist zumindest burschikos, wenn man dann – am 13. Februar 2010 die ganze Zeit unter Beobachtung der Polizei friedlich demonstrierend – hinterher von der Staatsanwaltschaft doch als “Rädelsführer” gebrandmarkt wird.
Das hat eine Menge von “1984”. Dass CDU und FDP 2011 so willig dem Wunsch der Staatsanwaltschaft folgten, die Immunität des Landtagsabgeordneten André Hahn aufzuheben, zeugt zumindest von einer seltsamen Einsortierung von Demokratie ins sächsische politische Weltbild: Man stimmte gemeinsam mit der NPD.Von Mumm zeugt es nicht, auch wenn mancher Abgeordneter aus der Regierungsfraktion bei der Abstimmung tapfer die Hand unten behielt. Es machte nur deutlich, dass man sich der NPD näher fühlte als diesen unbequemen Oppositionspolitikern von den Linken, SPD und Grünen. Im besten Fall kann man das als Machtkalkül bezeichnen. Aber die sächsische Demokratie (die ohne Anführungszeichen) hat es nicht gestärkt. Im Gegenteil: Nach den Februardemonstrationen von 2011 ging der Hexentanz noch schriller weiter.
“Friedliches Engagement gegen Nazis ist gerade in Sachsen dringend notwendig – und auf keinen Fall kriminell. Deshalb ist die Einstellung des Verfahrens gegen André Hahn folgerichtig und überfällig”, erklärt dazu Rico Gebhardt, der – nachdem André Hahns Immunität aufgehoben war – den Fraktionsvorsitz bei den Linken übernahm. Und zur Einstellung des Verfahrens: “Ich freue mich über diese Entscheidung und erwarte von der Staatsanwaltschaft, in allen noch offenen ‘Fällen’ friedlicher Gegenwehr gegen die Nazi-Aufmärsche in Dresden 2010 und 2011 entsprechend zu verfahren.”
So sieht es auch Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen: “Die Einstellung des Verfahrens gegen André Hahn durch das Amtsgericht Dresden war überfällig. Die Übernahme der notwendigen Auslagen der Verteidigung durch die Staatskasse zeigt, dass das Gericht Herrn Hahn de facto vom Tatvorwurf freispricht. – Obwohl jeder und jedem, der die nicht hierarchische Struktur des Bündnisses ‘Dresden nazifrei’ kennt, von Anfang an klar war, dass Hahn ‘nur eine untergeordnete Rolle bei der Planung und Vorbereitung gehabt habe’, betrieb die Staatsanwaltschaft Dresden mit selektivem Verfolgungseifer die Bestrafung von André Hahn. Die Einstellung kommt einer schallenden Ohrfeige für die Ermittler gleich.”
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Die Grünen-Fraktion stimmte am 13. Oktober 2011 gegen die Aufhebung der Immunität André Hahns, “weil sie die Strafverfolgung gegen Herrn Hahn für willkürlich hielt.” Willkür hat in einer Demokratie keinen Platz. Entweder sind Straftaten nachweisbar und einer Person auch zuzuordnen – oder man macht die Justiz zum Werkzeug politischer Interessen. Und das ist bei André Hahn augenscheinlich passiert. Und das ist – im Gefolge der Demonstrationen vom Februar 2011 – auch bei anderen Ermittlungsverfahren so passiert. Bis hin zu der heillos chaotischen Heimsuchung des Jenaer Pfarrers König.
Hätte der Freistaat auch nur halb so viel Energie auf die Verfolgung des gewaltbereiten Rechtsextremismus im Land verwendet, hätte man auch dem Treiben des “NSU” wohl früher ein Ende bereiten können. Man hat die Rechtsradikalen jahrelang verharmlost und die Linken zum Popanz aufgebaut, egal, ob es nun Pfarrer, Abgeordnete oder Gewerkschafter waren.
“Die Einstellung markiert hoffentlich das Ende der nunmehr dreijährigen juristischen Irrfahrt der Staatsanwaltschaft Dresden”, sagt Lichdi. “Ich hoffe, dass jetzt auch die letzten Strafverfahren gegen die friedlichen Platzbesetzer 2011 ebenfalls eingestellt werden.”
Der Adressat für sein Gebet könnte noch eine Etage höher sitzen.
Die Erklärung von Johannes Lichdi am 13. Oktober 2011: www.johannes-lichdi.de/rede+M5daa86b8165.html
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