Ungeheuerlich klingen die Vorwürfe, die die Leipziger Zeitschrift "Gamma" heute in den Raum gestellt hat. Den Antifa-Aktivisten wurden interne Behördenpapiere zugespielt, aus denen ersichtlich sein soll, dass Verfassungsschutzbehörden zielgerichtet Neonazis und Kameradschaften gedeckt sowie Ermittlungsarbeiten behindert haben sollen.
Insbesondere die “Hammerskins” sollen die Schlapphüte gekonnt ignoriert haben. “Gamma” verweist auf eklatante Widersprüchlichkeiten in Unterlagen von Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz. So sahen sich die Schlapphüte wohl außer Stande, die militante Bruderschaft zu verbieten. Zu deren Mitgliedern zählen neben dem sächsischen NPD-Landesvize Maik Scheffler übrigens die mutmaßlichen NSU-Helfer Thomas R.
In Sachsen soll das Netzwerk neben dem Raum Ostsachsen und Dresden auch in Delitzsch (Nordsachsen), dem Vogtlandkreis, der Region Leipzig-Schkeuditz bis hin ins sachsen-anhaltische Halle sowie, vom thüringischen Altenburg aus, in Westsachsen aktiv gewesen sein. Womöglich bestehen seine Strukturen bis heute fort. Das Bundesinnenministerium wünschte sich Anfang der 2000er wohl ein Verbot, der Verfassungsschutz soll sich gesträubt haben: “Sämtliche personenbezogenen Informationen stammen aus dem Einsatz von V-Personen – überwiegend der Landesbehörden für Verfassungsschutz. Sie sind dementsprechend als Verschlusssache eingestuft und unterliegen dem Quellenschutz.” Offenbar wog der Schutz militanter, und damit kriminell agierender, Quellen im Hause des Nachrichtendienstes schwerer als die effektive Bekämpfung rechter Strukturen.
Pikant auch eine Begebenheit im Zuge eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Halle. Die Behörde versuchte ehemaligen Mitgliedern von “Blood & Honour” die illegale Fortführung des im Jahr 2000 verbotenen Netzwerks nachzuweisen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschwerte sich beim Innenministerium, da die Fahnder die Behörde entgegen üblicher Gepflogenheiten nicht in ihr Vorhaben einweihten. Das Argument der Hallenser Juristen: Man habe die “Befürchtung, die Verfassungsschutzbehörden würden ihre Quellen über bevorstehende Exekutivmaßnahmen informieren und damit eine Weitergabe dieser Information an Dritte ermöglichen.”
“Die von ‘Gamma’ zitierten und auch mir vorliegenden Dokumente lassen nur den Schluss zu, dass Polizei und Staatsanwaltschaft zeitweise die Verfassungsschutzbehörden als Sicherheitsrisiko für ihre Maßnahmen gegen Neonazi-Strukturen angesehen haben”, erklärt Kerstin Köditz. “Trifft dies zu, käme es einer Bankrotterklärung für die Geheimdienste gleich.” Die Linken-Abgeordnete spricht von “gravierenden Unstimmigkeiten” in Äußerungen des sächsischen Verfassungsschutzes. Wollte der Verfassungsschutz durch Vertuschung und Verfälschung einen V-Mann decken? War Sachsens Landesamt an den Vorgängen beteiligt?
Köditz: “Wir werden diese Fragen natürlich auch morgen in der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Landtages stellen. Dabei geht es ausdrücklich um den Umgang mit den militanten Neonazi-Organisationen ‘Blood & Honour’ und ‘Hammerskins’. Daneben werden wir selbstverständlich dieses Agieren im Untersuchungsausschuss thematisieren.”
Wie immer die verantwortlichen Minister das Blatt auch wenden mögen: Der nächste Geheimdienst-Skandal scheint perfekt.
Der Artikel bei “Gamma”:
http://gamma.noblogs.org/archives/1221
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