Je länger der Eiertanz um die Untersuchung des Fallkomplexes "NSU" in Sachsen anhält, um so deutlicher wird, dass nicht nur die Behörden der verschiedenen Bundesländer schlecht bis gar nicht miteinander kommuniziert haben - selbst in Sachsen haben die Ermittler einander im Dunkeln gelassen. Und was dann an Informationen zu den drei abgetauchten Jenaer Neonazis zusammenkam, verschwand in schlampig geführten Akten.

Und wenn vorm “NSU”-Untersuchungsausschuss die Zeugen aussagen – egal ob aus der 2. oder 3. Reihe – dann geht es weniger um ein Erhellen der Frage, wie drei mordende Neonazis in Sachsen 13 Jahre lang unentdeckt leben konnten, sondern um eine Verteidigung der prinzipiellen Behördenhaltung: In Sachsen war alles bestens – versagt haben die anderen.

Kerstin Köditz, Obfrau der Fraktion der Linken im Untersuchungsausschuss, der am Freitag, 28. September, den ersten Zeugen vernahm: “Der erste Zeuge des Untersuchungsausschusses, Erster Kriminalhauptkommissar Wolfgang Jehle vom Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, befolgte peinlich genau die Verteidigungsstrategie seines obersten Dienstherrn, Innenminister Ulbig: Thüringen ist an allem schuld, Sachsen wusste von nichts. Zugleich wurde allerdings bereits bei dieser Vernehmung das mutmaßliche Ausmaß des Versagens auf sächsischer Seite deutlich: Ein erheblicher Mangel an dezernats- und bereichsübergreifender Abstimmung und Kommunikation trat schon heute zutage.”

Und nicht nur zwischen den verschiedenen dem Innenminister unterstellten Behörden gab es augenscheinlich Kommunikationsprobleme. Köditz: “Es war erschreckend zur Kenntnis zu nehmen, dass die Abteilung im LKA, die sich mit den Straftaten von Thomas S. beschäftigte, nichts davon gewusst haben will, dass das LKA Berlin ihn im November 2000 dem LKA Sachsen als Quelle angeboten hat. Die Schludrigkeit der Aktenführung zieht sich vom Landesamt für Verfassungsschutz bis zum Landeskriminalamt und ist offenbar eine Besonderheit sächsischer Sicherheitspolitik.”

Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion und zugleich stellvertretender Ausschussvorsitzender: “Unaufgeklärt blieb, warum im Jahre 2000 im Rahmen einer Zielfahndung, bei der Uwe Böhnhardt in Chemnitz durch Beamte des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) festgestellt und fotografiert, aber nicht verhaftet wurde, obwohl Haftbefehle gegen ihn vorlagen. Dazu konnte der Zeuge bedauerlicherweise keine Angaben machen, weil – so seine Aussage – dies nicht in die Zuständigkeit seines Dezernates fiel.”

Man fühlt sich an die drei berühmten Affen erinnert. Wenn man das Problem nur einfach ignoriert und in der Ablage verschwinden lässt, wird es sich vielleicht in Luft auflösen.Miro Jennerjahn, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, hat aus der Vernehmung des ehemaligen Dezernatsleiters im Landeskriminalamt (LKA), Wolfgang Jehle, noch etwas anderes als Erkenntnis mitgenommen: Das LKA Sachsen hat auch im Jahr 2003 noch im Umfeld des NSU ermittelt.

Da hatte das mittlerweile in Zwickau untergetauchte Terrorkommando schon den Blumenhändler Enver ?im?ek, den Schneider Abdurrahim Özüdo?ru und die Obst- und Gemüsehändler Süleyman Ta?köprü und Habil K?l?ç ermordet. Auch einen Sprengstoffanschlag in Köln hatten sie schon auf dem Konto.

Selbst wenn die sächsischen Ermittler diese Zusammenhänge noch nicht kannten, ermittelten sie dennoch weiter im Zusammenhang mit den Jenauer Sprengstofffunden, die zum Abtauchen der drei Neonazis geführt hatten. So wurde auch noch im April 2003 versucht, “eine Person, die Mundlos in den 90er Jahren im Gefängnis besucht hat” zum Aufenthalt des Trios zu befragen.

Miro Jennerjahn sieht an dieser Stelle einige Widersprüche: “Ich fordere Innenminister Markus Ulbig nochmals auf, die Öffentlichkeit endlich umfassend zu informieren. Dass das LKA Sachsen noch im Jahr 2003 nach dem Trio fahndete, hat uns Innenminister Markus Ulbig in seinem ‘Vorläufigen Abschlussbericht’ nicht mitgeteilt. Dort endet die Aufzählung der polizeilichen Maßnahmen im Jahr 2002 und geht dann erst mit November 2011 weiter. Nach der Mitteilung des Innenministers auf meine Kleine Anfrage im Juli 2012 zu der Infoveranstaltung der BAO Bosporus und den in den letzten Tagen bekannt gewordenen Erkenntnissen zu Thomas S. wurde heute erneut deutlich, wie lückenhaft die Aufklärung durch Innenminister Ulbig ist.”

Auch seinen Bediensteten sollte der Innenminister nahelegen, dem Untersuchungsausschuss umfassend Auskunft zu erteilen, so Jennerjahn. “So konnte sich der Zeuge Jehle in der heutigen Vernehmung beispielsweise nicht an eine Beteiligung des LKA an der Observation in Chemnitz im September/Oktober 2000 erinnern. Diese Erinnerungslücke spricht Bände.”

Jennerjahns kleine Anfrage ‘Informationsveranstaltungen der BAO Bosporus zum Stand der Ermittlungen in der Mordserie “Ceska” in Sachsen’ (Drs 5/9587): http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9587&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1

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