Am Dienstag, 8. Mai, stellte Sachsens Verkehrsminister Sven Morlok den Landesverkehrsplan vor. Und was Eva Jähnigen, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, am Montag schon befürchtet hatte, bestätigte sich: Der Rückbau des ÖPNV im Freistaat wird fortgesetzt. Auch in der SPD-Fraktion zeigt man sich entsetzt.

“Heute hat Staatsminister Morlok den von ihm vorgelegten Landesverkehrsplan als Ausdruck ?ideologiefreier Verkehrspolitik? vorgestellt. Unter ?ideologiefrei’ versteht er ganz offensichtlich die Vorrangstellung für Straßen- und Autobahnbau. Im Gegensatz dazu lässt er den Schienenverkehr ganz ?ideologiefrei? ausbluten. Komplette Regionen in Sachsen, wie zum Beispiel das Vogtland oder die Lausitz, werden fast vollständig vom Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) abgehängt”, stellte Mario Pecher, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, nach der Vorstellungsrunde fest. “In den letzten 15 Jahren hat sich die Erreichbarkeit der Regionen mit dem Auto deutlich verbessert. Gleichzeitig hat sich die Erreichbarkeit durch den ÖPNV und den Schienenfernverkehr drastisch verschlechtert. Der Staatsminister scheut sich nicht einmal davor, Kartenmaterial vorzulegen, das den rigorosen Abbau des ÖPNV belegt.”

Mit dem neuen Landesverkehrsplan schreibe der Minister diese Entwicklung fort. “Während bis 2025 mehr als 400 Millionen Euro in den Neubau von Straßen investiert werden sollen, ist für den ÖPNV Schlimmes zu befürchten, wenn nur noch von ?bedarfsgerechtem Ausbau? die Rede ist. Demnach soll der ÖPNV nur noch auf die großen Oberzentren Leipzig, Dresden und Chemnitz konzentriert werden”, so Pecher, “die Fläche wird hingegen total abgehängt. Im ?ideologiefreien? Minister-Deutsch heißt das dann: ?Die Aufgabenträger müssen mehr als bisher mit einer nachfrageorientierten Angebotspolitik auf den demographischen Wandel reagieren?.”Die Folgen, die er sieht: Verkehrstakte müssen heruntergefahren und ganze Linien eingestellt werden. Vor allem die ländlichen Regionen werden mit diesen Zielsetzungen komplett vom ÖPNV abgehängt. Pecher: “Somit werden die Menschen zum Autofahren gezwungen, was angesichts steigender Benzinpreise ökologischer und sozialer Wahnsinn ist. Das ist Ideologie pur – jedoch aus dem vergangenen Jahrhundert. Moderne Verkehrspolitik sieht anders aus!”

So sieht es auch Eva Jähnigen: “Morloks Bezeichnung des Landesverkehrsplanes als ‘ideologiefrei’ ist ein Witz. Die Wahl des Verkehrsmittels ist grundsätzlich eine Frage des Angebots und politischer Investitionsentscheidungen. Dieser Entwurf eines Landesverkehrsplans ist unambitioniert, straßenorientiert und ohne Esprit. Weitgehende Ausgaben zur Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger sind Mangelware.”

War zwar gerade Thema beim Weltverkehrsforum in Leipzig, wo auch Sven Morlok zu Gast war. Aber bei all den Plädoyers für nahtlose Transporte rund um die Welt hat man glattweg vergessen, dass man auch vor Ort barrierefreie und vor allem energiesparende Verkehrssysteme braucht.Eva Jähnigen: “Wer stolz darauf ist, noch bis Ende der EU-Förderperiode 2013 200 Millionen Euro EFRE-Mittel in den Straßenneubau zu stecken und beim ÖPNV fröhlich weiterkürzt, handelt durchaus ideologisch. Sachsen ist vom Schienenfernverkehr inzwischen fast flächendeckend abgehängt. Wir sind erfreut, dass die Koalition dies nach mehreren Jahren Regierungsverantwortung plötzlich und scheinbar überrascht feststellt.”

Nur ändert man die Politik nicht. Jähnigen: “Abgesehen davon verkündet Minister Morlok völlig unkritisch für 2025 eine Steigerung des Autoanteils am Modal Split in Sachsen auf knapp 60 Prozent. Das scheint für ihn trotz steigender Benzinpreise und deutlicher Zunahmen bei Rad- und ÖPNV-Nutzung in den Städten gottgegeben. Fazit: Von dieser Koalition sind innovative Lösungen im Mobilitätsbereich nicht mehr zu erwarten.”

Was denn auch Torsten Herbst, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, bestätigt. “Eine intakte und leistungsfähige Infrastruktur ist einer der entscheidenden Faktoren, die zu Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und wirtschaftlicher Entwicklung einer Region beitragen”, sagt er. “Sachsen hat inzwischen ein sehr gut ausgebautes Straßenverkehrsnetz – der Fokus muss daher zunehmend auf der Sicherung eines ordentlichen Zustandes unserer Straßen liegen. Dies garantiert die Mobilität für Bürger und Unternehmen. Die integrierte Betrachtung im Landesverkehrsplan unterstreicht, dass wir das ideologische Verteufeln einzelner Verkehrsarten ablehnen – wir wollen Wahlfreiheit für die Bürger ermöglichen.”Was ja bedeuten würde, den ÖPNV ebenso zu sichern wie das Straßennetz. Doch der spielt auch bei Herbst keine Rolle: “Klar ist, dass in Zukunft ein größerer Schwerpunkt auf die Erhaltung vorhandener Straßen gelegt werden muss. Eine realistische Bewertung der Notwendigkeit älterer Verkehrsprojekte war deshalb an der Zeit. Alle im Freistaat Sachsen geplanten größeren Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen wurden in diesem Zusammenhang überprüft und bewertet. Allerdings gibt es auch immer noch regionalen Nachholbedarf – zum Beispiel die neue Autobahnanbindung der Autobahn 72 von Chemnitz nach Leipzig oder auch der Neubau der Bundesstraße 178 nach Zittau. Statt sich wie in der Vergangenheit zu oft zu verzetteln, findet jetzt richtigerweise eine klare Priorisierung statt. – Der Entwurf setzt die Prioritäten genau richtig. Es ist absolut notwendig, Vorhaben mit Blick auf Nutzen, Kosten und Verkehrsprognosen realistisch zu bewerten – ein unbezahlbares Wunschkonzert wäre keine vernünftige Basis für eine seriöse Verkehrswegeplanung im Freistaat. Wichtige Verkehrsprojekte müssen mit konzentrierter Kraft auch schnell angegangen und vorhandene Mittel effizient eingesetzt werden.”

Schnell und effizient. Das scheinen die neuen Lieblingsvokabeln in Dresden zu werden. Für Enrico Stange, Sprecher für Landesentwicklung und Infrastruktur der Fraktion Die Linke, ist das Ganze reine Augenwischerei: “Erst jetzt ist überprüfbar, ob und inwieweit die Vorgaben des Landesverkehrsplans mit dem Grundanliegen der Daseinsvorsorgesicherung aus dem Landesentwicklungsplan übereinstimmen. Diese Widersprüche müssen zur Anhörung des Landesverkehrsplans im Sächsischen Landtag am 26. Juni ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden.”

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Er erwartet, dass nun auch die Kommunen gegen diesen visionslosen Verkehrsplan Sturm laufen. “Denn insbesondere die im ländlichen und peripheren Raum lebende ältere Bevölkerung wird nicht nur bewusst vom Fernverkehr abgehängt. Ihre Chance auf eine gute und sinnvolle Fahrt ins nächste Mittel- und Oberzentrum wird politisch torpediert. Die sogenannte nachfrageorientierte Angebotspolitik, die Morlok nun den ÖPNV-Aufgabenträgern abverlangt, setzt die fatale Abwärtsspirale aus Fahrgästerückgang und Angebotsausdünnung dauerhaft in Gang. Damit verabschiedet sich Sachsens Autominister Morlok vorsätzlich vom Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als Teil der Daseinsvorsorge. Und das bei einer immer älter werdenden Bevölkerung – ein böser Witz”, so Stange.

Dabei findet er Morloks Träume von einem Zuwachs an Flugpassagieren in Leipzig und Dresden auf 8 Millionen geradezu weltfremd. Stange: “Damit wird offenbar, dass es höchste Zeit ist, das Luftverkehrskonzept Mitteldeutschland umgehend zu überarbeiten und den Realitäten anzupassen. Schließlich gehen trotz Frachtbooms in Leipzig noch immer jährlich knapp 60 Millionen Euro (2010) zu Lasten der öffentlichen Kassen. Damit wird neben den gebeutelten Nerven der Lärmbelästigten in seiner nächsten Umgebung auch die Staatskasse vom FDP-Minister und seinen hochfliegenden Frachtdrehkreuz-Träumen massiv strapaziert.”

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