Es ist mal wieder eine Studie, die Anlass gibt für Interpretationen und natürlich für das Ausnutzen politischer Richtungsstreitigkeiten. In einer von der Linksfraktion im Sächsischen Landtag vorgestellten Sozialstudie "Die ungleichen sächsischen Schwestern - Ein Sozialvergleich zwischen Chemnitz, Dresden und Leipzig" belegten die Autoren erhebliche Unterschiede zwischen den drei sächsischen Großstädten.

Besonders das Gefälle zwischen Leipzig und Dresden ist dabei signifikant. Anlass genug für Holger Zastrow, den Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag, seine ganz eigene Sichtweise kundzutun. Er schreibt diese ungleichen Verhältnisse ursächlich den politischen Konstellationen in den Städten zu: “Die Ergebnisse der Sozialstudie zeigen eines ganz deutlich: Inzwischen macht es einen Unterschied, ob man in einer mehrheitlich bürgerlich regierten Stadt oder in einer links dominierten Stadt lebt. Dort wo sich Haushaltsdisziplin und das Bekenntnis zu schuldenfreier Politik durchgesetzt hat, geht es den Menschen besser.”

Sozialwissenschaftler würden so etwas mit Fug und Recht eine Milchmädchenrechnung nennen. Zastrow zählt schnell eins und eins zusammen und raus kommt, dass Städte, die von der SPD oder den Linken, zumindest jedenfalls von Parteien, die links von CDU und FDP stehen, politisch geführt werden, zwangsläufig Misswirtschaft zum Nachteil der Bevölkerung betreiben. Aber vielleicht ist es ja genau das, was die arg zerfledderte, sich selbst liberal titulierende Partei, braucht: Sich aufrichten am Elend anderer.

Nicht gerade ein edler Zug; aber wenn man selbst so lange von allen Seiten gestoßen, geprügelt und am Boden liegend getreten wurde wie die FDP, dann ist es sicher schwer, der Versuchung zu widerstehen, solche Studien für eigene Zwecke heranzuziehen. Leider geschieht dies in einer offensichtlich plumpen Weise, die selbst dem unbedarftesten Wähler auffallen dürfte.

Aber für Selbstentlarvung sorgen ja die Aussagen Zastrows selbst: “Dass es der SPD-geführten Stadtpolitik in Chemnitz und vor allem in Leipzig offensichtlich nicht möglich ist, sozialen Problemen auch durch kommunales Handeln zu begegnen, hat viel mit deren Versäumnissen der Vergangenheit zu tun. Die links dominierten Ratsmehrheiten in Leipzig und Chemnitz haben es bis heute leider nicht für erforderlich gehalten, auf eine generationsgerechte und solide Finanzpolitik umzuschalten. Anstatt finanzielle Spielräume für Investitionen und das Abrufen von Fördermitteln zu haben, fließen so enorme Mittel in Zahlungen für Zins und Tilgung kommunaler Schulden.”

Richtig. Man legt nur einen Schalter um und schon bewegt sich so ein komplexes System wie ein städtischer Haushalt mit allem Drum und Dran in eine sonnige, finanziell und sozial abgesicherte Zukunft. Holger Zastrow weiß natürlich auch, woran das liegt: “Den Unterschied machen die politischen Weichenstellungen der jüngeren Vergangenheit aus. In Dresden haben neben Stadträten von CDU und FDP auch Politiker der ehemaligen PDS den Mut und die politische Verantwortung aufgebracht, für die Entschuldung der Stadt zu kämpfen. Dafür wurden sie seinerzeit von ihren eigenen Genossen verunglimpft und bekämpft, so dass diese verantwortungsbewussten Linkspolitiker heute nicht mehr Mitglieder der Linken sind, darunter über die Parteigrenzen hinweg geachtete Persönlichkeiten wie Ronald Weckesser und Christine Ostrowski.”

Geschickt, den Gegner dafür zu loben, was man selbst für gut und richtig erachtet. Das hätte ein Macchiavelli nicht besser machen können.

Zastrow weiter: “Insofern ist der Vorwurf, linksregierte Städte in Sachsen würden benachteiligt, geradezu absurd. Der für die Schuldenfreiheit der Stadt wesentliche Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaft war nur durch ein Bündnis aus CDU, FDP und einem Teil der damaligen Linksfraktion möglich geworden.”

Ja, und dann wird die so klug und weise geführte Landeshauptstadt in höchsten Tönen gelobt: “Dresden erntet inzwischen die Früchte kluger Finanzpolitik. Nur so war es möglich, Fördermittel im Umfang von mehr als 450 Millionen Euro abzurufen und Investitionen zu tätigen. Auch wenn die Landeshauptstadt aktuell vor enormen finanziellen Herausforderungen steht, sind die Gestaltungsspielräume doch dauerhaft größer als anderswo. Damit, dass Dresden dank Union und FDP ein Neuverschuldungsverbot in der Hauptsatzung verankert hat, ist die Stadt Vorbild für andere und zugleich das beste Argument für die Festschreibung des Neuverschuldungsverbotes auch in der sächsischen Verfassung.”

…und Holger Zastrow sicher ein Anwärter für den Wirtschaftsnobelpreis für Milchmädchenrechnungen.Keine Frage, dass nun ausgerechnet die Linken die Probleme von Leipzig und Chemnitz deutlich anders betrachten. Und für die Bundestagsabgeordnete Barbara Höll aus Leipzig ist eine wesentliche Ursache der Schieflage die schiefe Förderpolitik im Land. “Insbesondere von Leipzig, aber auch von Chemnitz, muss massiver Widerstand gegen die Benachteiligung ausgehen. Denn zu einer ausgewogenen Landesentwicklung gehört eine gerechte Verteilung von Fördermitteln, unabhängig davon, wer gerade die Funktion des Oberbürgermeisters oder Landrates besetzt”, sagt sie. “Es bedarf eines Leitbildes für Sachsen, das unter Mitwirkung aller Regionen entsteht. Dresden hat zwischen 2006 und 2010 mehr als 150 Millionen Euro Steuern mehr eingenommen als Leipzig – hier muss Landespolitik ausgleichend steuern, im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse.”

Tatsächlich – so stellt sie fest – sind aber zwischen 2006 und 2010 mehr als 900 Millionen Euro Fördergelder mehr nach Dresden als nach Leipzig geflossen. 900 Millionen Euro – das wären mehr als die 730 Millionen Euro Schulden im Leipziger Stadthaushalt. Die Diskrepanz hat übrigens der Chemnitzer CDU-Abgeordnete Peter Wilhelm Patt ans Tageslicht gebracht mit einer Anfrage bei der sächsischen Staatsregierung.

Welche Fördergeldunterschiede vor 2006 dazu führten, dass Dresden auch deutlich mehr Industrieansiedlungen an sich binden konnte, konnte die Anfrage natürlich nicht erhellen.

Aber an der Industriedichte hängt ja bekanntlich alles andere – bis hin zum BIP. Und dazu stellt Barbara Höll fest: “Leipzig hat ein um 3.000 Euro pro Einwohner niedrigeres Bruttoinlandsprodukt als Dresden, erreicht auch das Niveau von Chemnitz nicht und ist auf Grund seiner Haushaltslage am wenigstens in der Lage, soziale Verwerfungen durch den Einsatz kommunaler Mittel abzufedern. Zur ohnehin angespannten Leipziger Haushaltslage (1.400 Euro Verschuldung des Kernhaushaltes pro Einwohner) kommen wesentlich höhere Sozialausgaben: Sie liegen in Leipzig bei 25, in Chemnitz bei 19 und in Dresden bei 17 Prozent des Gesamthaushalts 2010, das waren in Leipzig 2010 insgesamt 90 Millionen Euro mehr als in Dresden.”

Das sind alles Dinge, die miteinander zusammenhängen. Klügere Politiker wissen das. Welche dramatischen Folgen die prekären Lebenslagen in Leipzig haben, Dr. Dietmar Pellmann, sozialpolitischer Sprecher der Linken im Sächsischen Landtag, hat in der Vergangenheit immer wieder danach gefragt.

“Leipzig bleibt mit großem Abstand die sächsische Großstadt mit den gravierendsten sozialen Problemen, also die sächsische Armutshauptstadt”, stellt er fest. “Daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern, denn auch in den letzten fünf Jahren seit unserer ersten Vergleichsstudie haben sich die Gewichte kaum verschoben. Chemnitz ist zwar die deutsche Großstadt mit der deutlich ältesten Bevölkerung, die deutsche Seniorenhauptstadt, hat aber hinsichtlich wichtiger sozialer Bereiche in den letzten Jahren aufgeholt. Dresden hat weiterhin die günstigste Entwicklungsperspektive, selbst wenn auch hier die Zahl derer, die als arm gelten, zugenommen hat.”

Was ihn besonders erschreckt: “Leipzig ist die Stadt mit dem höchsten Anteil an Schulabsolventen ohne Abschluss mit 3.300 zwischen 2005 und 2010, in Chemnitz waren es 1.200, in Dresden 2.100. Leipzig hat die höchste Zahl von Hartz-IV-Betroffenen, Chemnitz seit 2005 mit Abstand den stärksten Rückgang an Menschen, die von Hartz IV abhängig sind. Interessanterweise liegt Chemnitz bei der Kategorie ‘verfügbares Einkommen’ noch vor Dresden an der Spitze der sächsischen Metropolen.” Was dann wieder am Industriebesatz liegt. Und an dem, was man so landläufig “prekäre Beschäftigung” nennt. Das reicht von der marginalen Beschäftigung bis zur staatlich gestützten Leiharbeit. Ein Thema, das in Leipzig jetzt die Gewerkschaften massiv auf den Plan gerufen hat, denn Leipzig ist so ganz nebenbei auch zur Bundeshauptstadt der Leiharbeit geworden.

Die Studie findet man hier als PDF: http://www.linksfraktionsachsen.de/images/content/publikationen/Broschueren/GrossStadtStudie.pdf

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