Im Vorfeld der Stadtratswahlen in Leipzig werden wahrscheinlich viele Wahlkampf-Interviews mit Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien geführt. Wir fanden es interessant, bei einigen Stadträtinnen und Stadträten, die ihre erste Legislaturperiode im Stadtrat hatten nachzufragen, wie sie diese erlebt haben.
Kristina, fang mal einfach an. Du bist Stadträtin. Du hast ja außerhalb der Stadtratsarbeit einen anderen Beruf. Was machst du?
Ich arbeite in einer geringen Teilzeit im Abgeordnetenbüro von Claudia Maicher im Sächsischen Landtag. Ich habe Politik- und Medienwissenschaften und Kulturwissenschaften studiert.
Als du 2019 zur Wahl angetreten bist, was hat dich dazu bewogen?
Generell hat mich schon immer bewegt, dass ich gerne gestalten und Verantwortung übernehmen möchte, das ist mein Antrieb. Ich bin damals angetreten aus der Position als Stadtbezirksbeirätin. Ich war zehn Jahre im Stadtbezirksbeirat, wo ich schon viel lernen durfte und somit nicht ins kalte Wasser geworfen wurde.
Ich habe dann gesagt: Jetzt bin ich so weit, jetzt kann ich auch einen Schritt weitergehen und nicht nur für den Südwesten die Zukunft gestalten, sondern für ganz Leipzig.
Als du angetreten bist, hattest du bestimmt ein paar Pläne, was man in Leipzig machen könnte und wurdest dann mit der Stadtratsmehrheit konfrontiert. Was machst du im Stadtrat genau? Was sind deine Schwerpunkte?
Mein Schwerpunkt in der Fraktion ist Verkehrs- und Mobilitätspolitik, deshalb bin ich im Ausschuss Stadtentwicklung und Bau und dem Unterausschuss Verkehr. Dazu bin ich noch im Grundstücksverkehrsausschuss, weil das strategisch auch ganz oft zusammenhängt und im Verwaltungsausschuss, weil das thematisch passt.
Ich bin im Aufsichtsrat der LVB, da der Verwaltungsausschuss sozusagen der Ausschuss für die Beteiligungsunternehmen der Stadt ist, passt das gut zusammen.
Das mache ich inhaltlich. Es hat sich so ergeben, dass das Thema frei wurde und ich auch schon immer großes Interesse an Mobilitätspolitik hatte. Insofern musste ich mich da gar nicht verbiegen. Meine zweite Leidenschaft ist Bürgerbeteiligung, bürgerschaftliches Engagement miteinander in der Nachbarschaft, also gar nicht so sehr nur das politische Thema, sondern das gesellschaftliche Thema Nachbarschaften, Kieze, Selbstverantwortung übernehmen. Und das ist der zweite Punkt, an dem ich gerne arbeite.
Aus eigener Erfahrung weiß ich ja noch: Stadtratsarbeit ist ganz viel Papierarbeit, eigene Vorschläge, Verwaltungsstandpunkte, Vorlagen usw. Wenn man es wirklich in Papier machen sollte, wäre es ein riesiger Berg, den man vor sich herschiebt. Wie viel Zeit wendest du ungefähr für die Stadtratsarbeit auf?
30 Stunden, ich habe schon mal an einer Studie teilgenommen und habe mal monatelang meine Zeiten aufgeschrieben und komme im Schnitt auf 30 Stunden die Woche. Wirklich nur die Ratsarbeit, also reine Mandatstätigkeit. Nicht noch sonstiges Engagement.
Wie steht denn dein Umfeld – außerhalb der Partei, deine Familie, Freunde usw. – dazu, dass du dich politisch engagierst (egal für welche Partei), sondern generell dazu, dass du einem solchen Ehrenamt nachgehst?
Mein Umfeld steht komplett dahinter, sonst könnte ich es auch, glaube ich, gar nicht machen. Und genau, ich weiß, wie viel ich den anderen abverlange, egal ob Freunde oder Familie, aber da ist tatsächlich ein großes Verständnis, eine große Offenheit. Darum kann ich das im Frieden für mich tatsächlich auch so ausüben.
Die letzte Frage: Jetzt bewerben sich ja noch viele zum ersten Mal für den Stadtrat. Was würdest du ihnen mit auf den Weg geben? Was sollen sie beachten? Was sollen sie sich vorstellen, was sie dort erwartet?
Es erwartet sie viel Arbeit, ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, auf den ich, weil ich schon viel Erfahrung vorher gesammelt hatte, einigermaßen, aber nicht in der Tiefe vorbereitet war. Man braucht Geduld. Man darf nicht ungeduldig sein. Man braucht langen Atem und Beharrungsvermögen. Das überfordert viele, die sind dann frustriert.
Man braucht eben genau diese Freiheit im Umfeld, sei es Freunde, Familie, Arbeitgeberin. Ansonsten macht man die Arbeit mit einem schlechten Gewissen und dann macht man sie nicht gut und es tut den Menschen selber auch nicht gut, wenn man sich ständig zerrissen fühlt.
Und man muss sich abgrenzen können bei der Stadtratstätigkeit und auch da nicht immer sagen „Ja dann bleibe ich jetzt hier noch, egal wie lange es abends dauert und dann muss ich den Termin und muss den Termin und muss den Termin machen.“ Das war mein Anspruch am Anfang. Ich merkte, das geht nicht.
Es ist aber etwas, was man als eigene Fähigkeit braucht, sich abzugrenzen und einen Plan zu machen. Was ist strategisch wichtig? Wo muss ich präsent sein? Wo kann ich mich vertreten lassen? Wo müssen wir nicht mit fünf Leuten sein? Das muss man aber lernen. Das kann man nur in der praktischen Tätigkeit lernen.
Ich würde jeden ermuntern, da für sich einen Weg zu finden. Weil man sonst kaputtgeht. Die eigenen Ansprüche müssen da sein, aber sie dürfen nicht falsch sein. Ich sage mal, von meiner Sicht her: Man darf nicht erwarten, dass man in den 5 Jahren Bäume rausreißt. Das habe ich auch gelernt. Eine Legislaturperiode ist zu kurz, eine zweite braucht man in jedem Fall, so lange dauern die Prozesse. Deswegen mein erster Punkt: Man muss lernen, dass es nicht schnell geht und dass es aber dafür auch gute Gründe gibt. Das ist ja auch ein Wert.
Dafür sind die Sachen dann ausgewogen und weit betrachtet. Aber ja, man braucht irgendwie auch ein großes Zeitfenster. Und das merke ich auch innerhalb des Stadtrats, innerhalb der Fraktion, innerhalb eines Ausschusses. Es lähmt auch die Gesamtarbeit, wenn dort Wechsel stattfindet, wenn dort neue Leute kommen.
Das geht in beide Richtungen, neue Leute bringen auch neue Perspektiven mit, keine Frage. Aber es ist auch eine Herausforderung. Und einfach mal konzentriert mit einer festen Gruppe an einem Thema zu arbeiten, kann ja auch einen Wert sein und das ist gar nicht so einfach in so einem ehrenamtlichen Parlament.
Ich danke dir für das Gespräch.
Transparenzhinweis: Der Autor dieses Textes und Interviewer war von 2019 bis zu seinem Rücktritt 2022 selbst für die Piraten Mitglied im Leipziger Stadtrat. Für diese Interview-Reihe fragte er sämtliche dortigen Fraktionen bis auf die AfD an. Die CDU hat bisher auf seine Anfrage nicht geantwortet.
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“Bäume rausreißen” als Grüne? Mich wundert gar nichts mehr 😉