Am 22. August 2021 fand der erste Christopher Street Day (CSD) in Taucha bei Leipzig statt. Der CSD ist eine Demonstration und Feier gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität und für Gleichstellung, Akzeptanz und Toleranz. Doch die Premiere musste frühzeitig abgebrochen, die Teilnehmer/-innen von der Polizei zum Bahnhof eskortiert werden.
Marco Böhme, Landtagsabgeordneter von Die Linke, war ebenfalls vor Ort und schildert die Situation: „Auf der Aufzugsstrecke in der Leipziger Straße kam es zu ersten Störungen durch homophobe Kommentare einiger Personen aus dem rechten Spektrum. Diese pöbelten im Verlauf des Tages immer wieder zu einzelnen Besuchern, wodurch diese sich unsicher fühlten.“
Am frühen Nachmittag gelangte dann eine Gruppe auf die Kundgebung, die der rechten Szene zuzuordnen sei, so Böhme. „Die örtliche Polizei war zunächst nur mit einer Handvoll Beamten vor Ort, und hatte Mühe, die Personengruppe aus dem Kundgebungsbereich zu entfernen.“ Zwar erfolgte ein Platzverweis, dennoch versammelten sich immer mehr mutmaßliche Neonazis, liefen in Kleingruppen durch das Stadtgebiet, beobachteten und filmten die CSD-Versammlung. Deshalb entschied man sich dazu, die Kundgebung, auf der zum großen Teil Minderjährige waren, abzubrechen.
Keine Überraschung
„Leider war das fast zu erwarten“, erzählt ein Mitglied des Solidarische Alternativen für Taucha e. V. (SAfT) im Hintergrundgespräch mit der Leipziger Zeitung (LZ). Als der CSD-Zug dann an einer rechten Szenekneipe in der Innenstadt vorbeikam und man die altbekannten, scheinbar wartenden Akteure erkannte, war quasi das Todesurteil für die Versammlung gesprochen, so das SAfT-Mitglied. Dieses ist in Taucha aufgewachsen und gehört zu den Initiator/-innen der solidarischen Initiative, die sich 2018 gründete und später zu einem Verein entwickelte.
Aber warum war die Gründung eines solchen Vereins in Taucha überhaupt nötig? „Lange Zeit war das Leben in Taucha schön ruhig. 2018 wurde es dann quasi von heute auf morgen wirklich schlimm und sichtbar“, so der Tauchaer. Es habe mit Graffitis angefangen, die eine „NS-Zone“ ausriefen oder Schriftzüge wie „Juden/Antifa ins Arbeitslager“ sowie „Volkstod stoppen! Demokraten verkloppen!“ umfassten. Ganze Straßenzüge seien mehrmals die Woche so entstellt worden, erzählt der Aktivist.
Bei einer Reinigungsaktion unter dem Motto „Taucha ohne Rassismus“ wurden die Teilnehmer/-innen beim und nach dem Entfernen der Graffitis, Sticker und Plakate verbal bedroht. „Das ist eine typische Vorgehensweise neuer rechter Strukturen. Die öffentliche Raumnahme durch Symbole, aber auch persönliches Auftreten, soll eine Hegemonie herstellen und vermeintlich politische Feinde von der Straße verdrängen“, so ein Mitarbeiter des Dokumentationsprojektes chronik.LE.
Doch es blieb nicht bei Schmierereien, berichtet SAfT e. V. 2019 wurde öffentlich rechtsradikale Musik gehört und Begrüßungen mit dem Hitlergruß häuften sich – bei Stadtfesten, im Stadion und sogar in der Schule. Auch Gewaltandrohung fand ihren Eingang in den Tauchaer Alltag.
Rechtsextreme Jugendgruppen
„Wir kennen die Akteure nicht wirklich“, so SAfT. Eine Jugendgruppe mit ungefähr 20 Personen sei bei allen Vorfällen aber sehr präsent gewesen. „Damals haben uns viele Leute gesagt: Das sind Kinder, die wissen nicht, was sie tun.“ Die mittlerweile 20-Jährigen seien aber auch heute noch in der rechten Szene in Taucha aktiv. Später sei man aber auch auf ältere Akteure aufmerksam geworden, die im Hintergrund agierten. „Als mein Gesicht durch meine Mitarbeit bei SAfT e. V. immer bekannter wurde in der Stadt, wurde ich oftmals auch von erwachsenen Personengruppen, die sich vor und in Privathäusern und -wohnungen trafen, angepöbelt“, erzählt ein Mitglied.
Viele Menschen würden sich zwar auch für die solidarischen Reinigungsaktionen bedanken und den Verein unterstützen: „Aber für die Nähe zu Leipzig und die Größe von Taucha ist es doch recht wenig.“ Ein Problem: „Die stille, politische Mitte.“ Doch nicht nur die Bürger/-innen zeigten zu großen Teilen zu wenig demokratisches Engagement, so SAfT. Vor allem von der Verwaltung hatte man sich nach der Gründung eines runden Tisches, mit Fachkräften und verschiedenen Akteur/-innen, mehr erhofft.
Bürgermeister und Stadtrat hätten um ein Positionspapier seitens des Beratungsgremiums gebeten. Im Dezember 2019 unterbreitete der Runde Tisch dann neben einer Situationsanalyse vier konkrete Handlungsvorschläge: ein Statement seitens der Stadt, ein soziokulturelles Zentrum, Angebote für eine alternative Jugendkultur, damit sich die jungen Menschen für Graffitikunst, Rapmusik oder Kampfsport nicht an die rechte Szene wenden müssen, sowie Prävention durch politische Bildung an Schulen und in Vereinen.
Ein Kampfsportclub im Gartenverein
Das Ergebnis nach zwei Jahren: ein von vielen zivilgesellschaftlichen Akteur/-innen als unzureichend kritisiertes Statement, die Ablehnung eines soziokulturellen Zentrums und keine Antwort zu den verbliebenen zwei Vorschlägen. „Wir haben genug Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung in Taucha und versuchen, diese auch auszubauen“, erklärt der Tauchaer Bürgermeister Tobias Meier zu alternativen Sportangeboten. Und diese scheinen mittlerweile dringend nötig zu sein.
Das „Imperium Fight Team“, ein Kampfsportclub rund um den Neonazi und Wurzener Stadtrat Benjamin Brinsa, zog im September 2020 nach Taucha. Nachdem man das Objekt in der Kamenzer Straße (Leipzig), ein ehemaliges Außenlager des KZ Buchenwald, aufgegeben hatte, baut man sich nun abgelegen in Taucha eine neue Trainingsstätte auf. Das „Imperium Fight Team“ ist eng verbunden mit den rechtsextremen Lok Leipzig-Hooligans und besteht bis heute aus den Neonazis, die für den rassistischen Angriff auf einen Schwarzen Türsteher auf Mallorca 2019 und den Überfall auf Connewitz 2016 verantwortlich gemacht werden.
Dazu Steven Hummel, Pressesprecher von chronik.LE: „Beim Imperium Fight Team geht es nicht lediglich um den Sport, hier trainieren Neonazis für den Straßenkampf.“ Hummel weiter: „Mit dem Zuzug eines explizit rechten Kampfsportgyms ist davon auszugehen, dass sich die Situation vor Ort weiter zuspitzt. Es ist zu befürchten, dass die neonazistische Szene aus Taucha körperliche Gewalt nicht nur professionell erlernt, sondern diese auch gezielt gegen Menschen, welche nicht in ihr Weltbild passen, einsetzt.“
Man habe baurechtlich gründlich geprüft, ob der Zuzug des Kampfsportclubs seine Ordnung hat, so Bürgermeister Meier. „Aber als Kommune hat man sonst kaum Möglichkeiten, da etwas dagegen zu tun.“
Die jetzige Nutzung sei jedoch kein Wunder, erzählt SAfT e. V. Das Häuschen an der Tauchaer Kleingartenanlage war scheinbar schon lange Zeit in rechter Hand. Zunächst beherbergte das Objekt eine Dorfkneipe, die schon vor Gründung des „Imperium Fight Team“ öffentlich Werbung für rechte Kampfsportevents machte und auf Plakaten als Sponsor und Partner auftaucht.
Anschließend wurde das Haus als Tattoostudio genutzt, bevor es von Andreas und Dittmar S. aufgekauft wurde. Die Zwillinge gehören zu den gewalttätigsten Mitgliedern der Leipziger Hooligan- und Neonaziszene – und sind enge Freunde des „Imperium“-Gründers Benjamin Brinsa. In sozialen Medien ist ersichtlich, dass die Geschwister Kontakte zum Tattoostudiobetreiber pflegten.
Die aktuelle Entwicklung in Taucha ist ein trauriges Paradebeispiel für die rechte Raumnahme im Leipziger Umland und die Wichtigkeit von Immobilien für rechte Netzwerke. Inwiefern der neue Akteur „Imperium Fight Team“ das Stadtbild verändert, wird sich noch zeigen.
„NS-Zone in Taucha?“ erschien erstmals am 3. September 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 94 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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