Das war dann wirklich gewaltig spät, dass Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) am 29. August endlich die „Radverkehrskonzeption 2019“ vorlegte, drei Tage vor der Wahl, wie die Grünen postwendend kritisierten. Denn auch wenn Dulig die Radwegeförderung in seiner Amtszeit deutlich erhöht hat, erleben die radfahrenden Sachsen davon seit 2014 fast nichts. Selbst an hochbrisanten Stellen wie an der B2 im Leipziger Norden. Dort gab’s am 31. August die dritte Fahrraddemo.
Oft sind es nur überschaubare Wegstücke an für viel Geld ausgebauten Bundes- und Staatsstraßen, wo durch gezielten Mitteleinsatz Gefahrenstellen für Radfahrer schnell beseitigt werden könnten. Aber es passiert nichts. Als hätten Ämter und Behörden so gar keine Zeitvorstellung und würden die deutliche Zunahme des Radverkehrs in Sachsen einfach nicht wahrnehmen. Man bleibt im alten, gewohnten Genehmigungstrott, in dem sich noch immer die alte sächsische Autofahrer-Politik der ersten 25 Jahre spiegelt.
Was selbst Verkehrsminister Martin Dulig am 29. August, als er die Radverkehrskonzeption vorstellte, anmerkte: „Viel zu lange wurde in Sachsen Verkehrspolitik nur aus Sicht der Autofahrer gemacht. Wir haben damit in dieser Legislaturperiode Schluss gemacht – alle Mobilitätsformen behandeln wir gleichwertig von ihrer Bedeutung. Daher wollen und müssen wir den Radverkehr weiter stärken, indem wir die Sicherheit und Attraktivität des Radfahrens erhöhen und die Bereitstellung einer guten und sicheren Radverkehrsinfrastruktur forcieren. Deshalb hat der Ausbau von durchgängigen Radverkehrsverbindungen hohe Priorität.“
Nur bleiben viele Radwegprojekte in unendlich langen Antragsverfahren hängen, weil es augenscheinlich im LaSuV nicht genügend kompetente Sachbearbeiter gibt. Aber selbst die Kommunen zögern und zaudern. Und noch bevor überhaupt eine Verbesserung für den Radverkehr in Sicht ist, melden sich die Verfechter des Vorrangs des Kfz-Verkehrs lautstark zu Wort und reden von einer Benachteiligung für die Autofahrer.
Dabei wurden in den fünf Jahren Amtszeit von Martin Dulig gerade einmal 42 Kilometer Radwege an Staats- und 46 Kilometer an Bundesstraßen gebaut.
Das ist eine äußerst magere Bilanz, findet Katja Meier, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag: „Wer nach fünf Jahren Schneckentempo im Radwegeausbau pünktlich drei Tage vor der Wahl die Bedeutung des Radverkehrs betont, braucht sich über mangelnde Glaubwürdigkeit nicht zu wundern.“
Und dabei ist völlig unklar, warum es in Sachsen beim Radwegebau derart stockt.
„Während bundesweit ein Viertel aller Landesstraßen bzw. Staatsstraßen über Radwege verfügen, stagniert dieser Wert in Sachsen seit Jahren bei nur elf Prozent. In fünf Jahren Amtszeit hat Minister Dulig gerade mal 42 Kilometer Radwege an Staats- und 46 Kilometer an Bundesstraßen bauen lassen. Das ist eine äußerst magere Bilanz. Um bis Ende des Jahres 2025 den Bundesschnitt zu erreichen, müsste Sachsen jährlich ganze 95 Kilometer Radwege an Staatsstraßen bauen“, sagte Meier.
„Vor fünf Jahren wurden im Koalitionsvertrag von CDU und SPD neue Radwege bei allen Ausbauten an Staats- und Bundesstraßen versprochen. In der Praxis hapert es immer wieder. So wurden bei den Ausbauplanungen der Bundesstraße B95 nördlich von Annaberg-Buchholz oder bei der Staatsstraße S163 bei Hohburkersdorf (Sächsische Schweiz) die Radwege schlicht vergessen. Auch die Staatsstraße S161 zwischen Stürza und Heeselicht (Sächsische Schweiz) sollte ohne Radweg ausgebaut werden. Erst nach Protest aus der Region und mehreren kleinen Anfragen von mir hat Verkehrsminister Dulig vor sechs Tagen die gleichzeitige Errichtung eines Radwegs beauftragt.“
Von der neuen Staatsregierung erwartet sie, dass sie sich den Radverkehr endlich zur eigenen Angelegenheit macht. Es müsse der Vergangenheit angehören, bei Problemen zuerst auf andere Verantwortliche – etwa die Kommunen – zu zeigen. Denn augenscheinlich reichen die bereitgestellten Fördergelder überhaupt nicht, um auch nur den dringendsten Bedarf abzudecken.
„Für die vom Wirtschaftsministerium genannten Ausbau-Vorhaben reichen die im Doppelhaushalt 2019/20 vorgesehenen Mittel leider vorn und hinten nicht“, stellt Katja Meier fest. „Hinzu kommt, dass die Gelder mitunter nicht dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Beispiel Lastenradförderung: Zwar soll die Anschaffung von Lastenrädern gefördert werden, eine Förderrichtlinie, nach der das Geld auch ausgegeben werden könnte, gibt es jedoch ein dreiviertel Jahr nach dem Beschluss des Haushalts immer noch nicht. Kein einziges Lastenrad in Sachsen wurde bisher vom Freistaat gefördert. Drei Tage vor der Landtagswahl mit einer neuen Radverkehrskonzeption erneut viel zu versprechen, ohne gleichzeitig die notwendige Bedarfsprüfungsliste mit den konkreten Ausbauvorhaben für Radwege an Staats- und Bundesstraßen vorzulegen, bleibt ein durchschaubares Wahlkampfmanöver.“
Die dritte Demonstration für den Radweg-Lückenschluss an der B2 zwischen Leipzig und Hohenossig am Samstag, 31. August, zeigte dann auch, wie ein kleines Stück Radweg helfen würde, eine frustrierende Situation endlich aufzulösen.
„Ich bin überwältigt“, sagt Christian Finkenstein aus Kostritz. Er ist begeisterter Radler, besucht seine Kinder in Leipzig am liebsten mit dem „Verkehrsmittel der Zukunft“, wie er selbst sagt.
Auch bei der dritten Auflage der Demonstration für den Lückenschluss des Radweges an der B2 nach Leipzig waren wieder über 50 Teilnehmer dabei. Die Alterspanne reichte dabei vom Kleinkind bis zu den Großeltern. Sie genossen die entspannte Fahrt auf der B2 unter Polizeibegleitung. Anders kommt man hier mit dem Fahrrad eigentlich nicht durch. In Hohenossig am Kindergarten wurde traditionell gegrillt und eine kleine Kundgebung abgehalten. Neben dem ADFC als Veranstalter war auch Volker Holzendorf, der 2018 über 5.700 Menschen hinter der Petition „Sicheren Radverkehr auf der Inneren Jahnallee in Leipzig ermöglichen“ versammeln konnte, dabei. Über ihn kam vor einem Jahr der Kontakt zwischen ADFC und Christian Finkenstein aus Krostitz zustande.
„Normalerweise fahren hier nur lebensmüde und sehr sportliche Radler“, sagte Rosalie Kreuijer, die Vize-Vorsitzende des ADFC Leipzig. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) setzt sich seit Jahren für die Belange von Radfahrenden ein. „Dieses Jahr läuft die Kampagne #MehrPlatzfürsRad, die darauf hinweist, wo dem Fahrrad unserer Meinung nach zu wenig Platz eingeräumt wird. Hier ist ein Paradebeispiel: Auf 2,9 km Länge fehlt der Radweg leider und schon fahren die Menschen weniger Rad und das ist schade“, fügt die Niederländerin mit einem Lächeln hinzu.
Insofern baut der ADFC sogar auf den am 29. August veröffentlichten Radverkehrsentwicklungsplan für Sachsen, in dem viele Dinge stehen, die den Radverkehr in Sachsen voranbringen sollen. Neben einem Lückenschlussprogramm soll es zukünftig möglichst keine Verkehrstoten unter den Radfahrenden mehr auf Sachsens Straßen geben.
Das brachte Volker Holzendorf auf eine Idee und er fragte: „Warum wird – solange die Lücke im Radweg an der B2 besteht – nicht die Höchstgeschwindigkeit zwischen Hohenossig und Leipzig beschränkt? Das erhöht die Verkehrssicherheit für Radfahrende und macht das Problem deutlicher. Nicht alle sollen Radfahren, aber die, die es wollen, sollen es können!“
In der Radverkehrskonzeption ist auch der Lückenschluss an der B2 als „in Planung bzw. im Bau befindlich“ markiert. „Planungen bestehen bereits seit mehreren Jahren, nur gebaut ist davon noch nichts“, kritisiert Christian Finkenstein und befürchtet: „Wir demonstrieren im Frühjahr erneut!“
ADFC Sachsen hofft, dass der Radverkehr nach der Sachsenwahl endlich von der Kriechspur kommt
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