Die Leipziger Grünen haben die Nase voll. Seit 12 Jahren gibt es das sogenannte Wassertouristische Nutzungskonzept (WTNK), das wie eine Planungsgrundlage für alle Bauvorhaben im Neuseenland genutzt wird, aber nie die notwendigen rechtlichen Prüfungen durchlaufen hat, um eins zu sein. Die Projekte treiben immer bizarrere Blüten. Und jetzt sitzen die Umweltverbände bei einer „Fortschreibung“ wieder in Minderzahl am Katzentisch.
Das WTNK wurde nicht durch legitimierte Verwaltungsgremien erarbeitet, sondern durch den Grünen Ring Leipzig, einen eigentlich virtuellen Zusammenschluss der Großstadt Leipzig mit den umliegenden Gemeinden und Landkreisen, um grenzüberschreitende Entwicklungen gemeinsam abzustimmen.
Im Grünen Ring sitzen vor allem Bürgermeister, Landräte und Amtsleiter zusammen und machen Politik abseits der demokratisch gewählten Gremien. Wer aber kontrolliert sie?
Augenscheinlich niemand. Auch nicht der Leipziger Stadtrat.
Das Ergebnis ist ein Arbeitskonzept, dem die wichtigsten rechtlichen Grundlagen fehlen. Eben das WTNK, dessen Projekte immer öfter zerplatzen wie eine Seifenblase, weil ihnen die simpelsten naturschutzrechtlichen Grundlagen fehlen. Das betrifft die nicht genehmigungsfähige „Wasserschlange“, die die Pleiße mit dem Markkleeberger See verbinden soll, genauso wie den Harthkanal, für den es eine erste Genehmigung gab – aber bis heute keine zwingend erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung.
Alles auf Grundlage des WTNK.
Und ausgerechnet jetzt, wo die Projekte reihenweise an rechtlichen Rahmenbedingungen scheitern, will der Grüne Ring, dessen Sprecher der Leipziger Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal ist, das Konzept fortschreiben – irgendwie verbunden mit einer Art Öffentlichkeitsbeteiligung.
Auch ein sogenannter Runder Tisch wurde installiert, an welchem neben dem Grünen Ring selbst hauptsächlich an „Wassertourismus“ interessierte Vertreter aus Wassersport, Angelsport, Bootsverleih, Fahrgastschifffahrt, Wirtschaft und Tourismus Platz genommen haben. Ganze drei der mehr als 20 Sitze billigte man den in Sachsen anerkannten Naturschutzvereinigungen zu, die damit mit ihren Sorgen um die durch Klimawandel, Artensterben und Rückgang der Biodiversität ohnehin gebeutelte Flora und Fauna auf verlorenem Posten stehen, kritisiert der Kreisverband der Grünen diese erneute Selbstbestätigung der „Wassertouristiker“.
Beim WTNK (Wassertouristisches Nutzungskonzept) handelt es sich um ein in den 2000er Jahren erarbeitetes Konzept, welches derzeit von der Stadt Leipzig, namentlich dem Grünen Ring Leipzig, als Auftraggeber fortgeschrieben wird. Auftragnehmer ist ein Umwelt-, Landschafts- und Freiraumplanungsbüro mit Niederlassungen in Herne, München, Hannover und Berlin.
Beim WTNK geht es allerdings um die Gewässer Leipzigs und seiner Umgebung sowie des Leipziger Neuseenlandes, die im Rahmen von mehr als 100 Einzelmaßnahmen wassertouristisch weiter erschlossen werden sollen. Und augenscheinlich ist auch nur geplant, über diese 100 Maßnahmen zu diskutieren, nicht über Sinn und Umweltfolgen des zugrunde liegenden WTNK.
Der Arbeitskreis Umwelt- und Naturschutz des Kreisverbandes Leipzig von Bündnis 90/Die Grünen kritisiert, dass der Gesetzgeber für ein derartig umfangreiches Tourismusprogramm, das auch Großprojekte umfasst, eine strategische Umweltprüfung vorsieht.
„Stattdessen werden teure Einzelmaßnahmen bereits angeschoben und umgesetzt“, sagt Tobias Möller, Sprecher des Arbeitskreises.
So wurde trotz fehlender Aussicht auf ein Baurecht der vorzeitige Baubeginn des Harthkanals durch die Landesdirektion gestattet. Ulrike Böhm, Sprecherin des Arbeitskreises, gibt zu bedenken, dass es bisher völlig unklar sei, welchen Einfluss das sulfatbelastete Wasser des Zwenkauer Sees auf den Cospudener See, den Floßgraben und die Pleiße haben wird. „Die vorliegenden Unterlagen sind widersprüchlich und fehlerhaft, eine Umweltverträglichkeitsprüfung wurde 2009 durch die Landesdirektion nach überschlägiger Prüfung als nicht notwendig erachtet“, sagt Böhm. Der Harthkanal soll nach bisheriger Schätzung 80 Millionen Euro kosten.
Auch am Nordostufer des Cospudener Sees wird derweil fleißig gebaut. Den Wasserwanderrastplatz nahe dem Zufluss des Floßgrabens förderte die Landesdirektion mit 700.000 Euro. Auch hier werden ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne die Beratungsergebnisse des angeblich so bedeutenden Runden Tisches abzuwarten Tatsachen geschaffen. Dieser soll nämlich bis Ende dieses Jahres beraten, dagegen ist die Eröffnung des Wasserwanderrastplatzes samt Steg, WC-Anlage und Imbissbude schon für den Saisonbeginn 2019 vorgesehen.
Der Kreisverband der Leipziger Grünen fordert für das Wassertouristische Nutzungskonzept (WTNK) ein ordentliches Verfahren mit sorgfältiger Prüfung der umweltschutzrechtlichen Belange insbesondere der europäischen Vorgaben wie Berücksichtigung von Natura 2000-Gebietsschutz, Artenschutz und Wasserrahmenrichtlinie.
Der sogenannte Runde Tisch könne schwerlich als Beteiligungsverfahren von Fachbehörden, Umweltverbänden und Öffentlichkeit bezeichnet werden, denn er bestehe im Wesentlichen aus Wirtschafts- und Tourismusvertretern. Diese seien natürlich an einer weiteren Steigerung des Massentourismus interessiert und hätten weniger die regionale Artenvielfalt und die Lebensqualität in den Stadtquartieren im Auge.
Die SprecherInnen des Arbeitskreises Umwelt- und Klimaschutz gehen noch weiter: „Insbesondere vor dem Hintergrund der spürbaren Folgen des Klimawandels sollte man über ein Moratorium des WTNK nachdenken. Das Konzept ist mehr als 10 Jahre alt, inzwischen jagte ein sommerlicher Hitzerekord den anderen. Dies erfordert zunächst eine Anpassung der Stadt, ihrer Gewässer und Auen an die Klimafolgen.
Großspurige Konzepte für den Massentourismus sollten dem Naherholungsinteresse der hier lebenden Menschen weichen, Flora und Fauna sind zu erhalten und zu schonen, denn sie sind Bestandteil der Leipziger Gewässer und sie allein halten sie lebendig. Daher wäre eher eine Großoffensive zur ökologischen Verbesserung der Leipziger Gewässer angebracht.“
Die Beteiligung der Bürger und Naturschutzverbände zum WTNK ist eine Farce
Die Beteiligung der Bürger und Naturschutzverbände zum WTNK ist eine Farce
Es gibt 2 Kommentare
Eine Strategische Umweltverträglichkeitsprüfung ist laut Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung (www.gesetze-im-internet.de/uvpg/index.html) z. B. obligatorisch für “Maßnahmenprogramme nach § 82 des Wasserhaushaltsgesetzes”. Aber noch zwingender ist § 34 des Bundesnaturschutzgesetzes zur “Verträglichkeit und Unzulässigkeit von Projekten” in Naturschutzgebieten (www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__34.html).
80 Millionen für ein Experiment, was schief gehen kann. Da bleibt einem schon der Mund offen stehen.
Dieser Tourismuswahn ärgert auch mich, vor allem, wenn es ohne Nachzudenken die Umwelt negativ beeinflusst.
Was mir nicht klar ist:
Einerseits “sieht der Gesetzgeber eine strategische Umweltprüfung vor”, andererseits lehnt die Landesdirektion so etwas ab. Wenn es irgendwo schwarz auf weiß eindeutig geschrieben steht, kann man doch Einspruch erheben, intervenieren, klagen o.ä. und die Sache klären.
Oder versucht hier gerade jeder aus einer Grauzone das Beste raus zu schlagen? Gibt es evtl. gar kein Muss für eine UVP?