Am 23. Mai haben wir hier berichtet, wie Leipzigs Verwaltung jetzt versucht, ein butterweiches Konzept für den „Wassertourismus“ in der mitteldeutschen Region vom Stadtrat beschließen zu lassen - quasi als Arbeitsgrundlage für die Projekte, die dann alle eins nach dem anderen finanziert werden müssen, um irgendwann irgendwie den „Wassertourismus“ zu befeuern. Um große Worte war das Umweltdezernat da keineswegs verlegen.
„Um im internationalen Wettbewerb der Regionen erfolgreich bestehen zu können, haben die Stadt Leipzig – als Vertreterin des Grünen Ringes Leipzig – und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld /Dessau/Wittenberg mbH für die Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Burgenlandkreis, Saalekreis und Wittenberg sowie die Stadt Halle (Saale), das Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum erarbeiten lassen“, heißt es da vollmundig – und falsch. Denn eine Wettbewerbssituation mit anderen Regionen nimmt das Papier überhaupt nicht unter die Lupe, so dass den Stadträten, die hier ihre Hand heben sollen, überhaupt keine Vergleichszahlen zur Verfügung stehen.
Deswegen ist auch nirgendwo nachvollziehbar, woher die Studienersteller ihre Weisheit nehmen, all die von ihnen aufgelisteten Projekte könnten den von ihnen behaupteten Effekt bringen. Natürlich betont die Vorlage, dass das TWGK auf Kosten des Steuerzahlers beauftragt wurde. Was sie nicht betont, ist, dass nichts daran wirklich handfeste Grundlage für irgendwelche Zukunftsplanungen sein könnte. Trotzdem behauptet die Vorlage: „Mit dem TWGK eröffnen sich für die Stadt Leipzig neue Potentiale in der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung.“
Keine einzige Zahl in dem riesigen Papier begründet diese Aussage. Und die Zahlen, die es scheinbar begründen, sind einfach aus der Luft gegriffen.
Dabei wird den Lesern eine Zukunftsvision suggeriert, als könne man, wenn man all die Gelder jetzt ausgibt, quasi eine neue Zukunftsindustrie für Mitteldeutschland installieren. Ein alternativer Ansatz, das Vorhandene behutsam zu entwickeln und damit ganz von allein attraktiv zu machen, kommt nicht mal ansatzweise drin vor.
Wolfgang Stoiber sieht in dem Papier den Versuch, eine Entwicklung in Gang zu setzen, die mit einem schonenden Umgang der Natur in der Region nichts mehr zu tun hat. Er hat nun wieder einen Offenen Brief geschrieben, mit dem er vehement für den Schutz des Auenwaldes als großes – eben auch als Besucher erlebbares – Naturschutzprojekt wirbt.
Dabei bezieht er sich noch einmal auf das nun zehn Jahre alte Wassertouristische Nutzungskonzept (WTNK), mit dem viele der Planungen im Gewässersystem begründet wurden. Das „Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum“ (TWGK) scheint jetzt dieselbe Rolle in einer größeren Region spielen zu sollen.
Der Offene Brief:
Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Leipzig, 27. Mai 2016
Anstatt WTNK/Sächsisches Vorzeigeprojekt mit Anerkennung in Europa und Übersee!
UNESCO Welterbe für das Leipziger Neuseenland mit Großem Naturschutzprojekt im einmaligen Leipziger Auenökosystem.
Wie wir der L-IZ vom 23. Mai 16 entnommen haben, stehen vom Stadtrat zu treffende Entscheidungen an, welche die weitere Umsetzung des Wassertouristischen Nutzungskonzeptes betreffen (Anlagen).
Es dürfte Ihnen bekannt sein, was wir, die Verbände, von den Wassertourismusplänen mit all seinen Teilen halten. Unser wesentlicher, juristisch relevanter Kritikpunkt ist dabei, dass es sich beim WTNK in der Art der Umsetzung um ein Projekt handelt, für das es einer demokratischen Legitimation bedarf (womöglich ist das der Sinn der geplanten Abstimmung) und für das es dann zwingend verwaltungsrechtlicher Prüfverfahren (Umweltverträglichkeitsprüfung) bedarf. Bisher gab es wohl einen Beschluss zur „ideellen Förderung“ des WTNK. Schon dieser Stadtratsbeschluss wurde scheinbar durch den OBM und die Verwaltung insofern fehlinterpretiert, als erhebliche personelle (und damit finanzielle) Ressourcen der Verwaltung mit der Erarbeitung und Umsetzung von Teilen des Gesamtprojektes ohne rechtliche Grundlage gebunden wurden.
Eine Würdigung der Schwierigkeiten in Zielstellung und Umsetzung sowie der Kosten finden Sie bereits im WTNK selbst und dem hierzu gefertigten Wirtschaftlichkeitsgutachten der Deutschen Marine Consult. Dort wird die Sinnhaftigkeit eines Gewässerausbaus lediglich in stadtarchitektonischer Hinsicht gesehen und positiv gewertet. Zur Umsetzung seien Rundkurse zwingend erforderlich. Die Kosten hierfür seien nicht bezifferbar. Eine Anbindung an das europäische Wasserstraßennetz wird vor dem Hintergrund der örtlichen Gegebenheiten (Notwendigkeit des Umsteigens im Lindenauer Hafen vom privaten auf ein gewässerangepasstes Verleihboot) als wertlos beschrieben. Abgesehen von den Herstellungskosten des Ganzen, die wieder einmal die Allgemeinheit tragen soll, weil sich in der freien Wirtschaft für die Finanzierung eines derartigen Unterfangens niemand finden würde, ist noch an keiner Stelle geklärt worden, wer für die Unsummen aufkommen soll, die für den Unterhalt der ganzen öffentlichen Anlagen und sogenannte „Leuchtturmprojekte“ bereitgestellt werden müssen. Wie so oft werden auch hier die Scheiben einzeln präsentiert; eine Summierung der an unterschiedlichen Stellen verlautbarten Baukosten hat bereits vor geraumer Zeit einen Betrag von mehr als 300 Mill. Euro ergeben, dieser dürfte inzwischen längst gravierend höher sein. Und es ist nirgendwo davon die Rede, dass Elbe und Saale gerade in der Zeit, wo die Wassertouristen aus Hamburg, Berlin und dem Ruhrgebiet kommen sollen, wegen Niedrigwasser mehrheitlich außer mit Paddelbooten nicht befahrbar sind. Gerade diese Nutzergruppe aber würde von den auf ausgebauten Gewässern fahrenden motorisierten Booten gefährdet und letztlich verdrängt werden.
Seit geraumer Zeit versuchen wir, anstatt des WTNK einen alternativen Vorschlag in den Ring der Bemühungen um eine Leitidee für die Region zu bringen, welche uns und unsere Region nicht durch sogenannten „Wassertourismus“ auszeichnen würde.
In 2011 hatte NuKLA die Idee, einen als lebendiges Auenökosystem reviatlisierten Leipziger Auwald als Nukleus eines Großen Naturschutzprojektes entlang der zu renaturierenden Flussauen der Weißen Elster (zwischen Zeitz und Halle/Merseburg und womöglich bis nach Thüringen) und in Verbindung mit dem Neuseenland als UNESCO Welterbe vorzuschlagen.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die Empfehlung der LfULG, den Leipziger Auwald als sächsisches Vorzeigeprojekt zu entwickeln: „Aus Sicht des LfULG kann der Erhalt des Leipziger Auwaldes zu einem sächsischen Vorzeigeprojekt für die gemeinsame Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-, Wasserrahmen- und Hochwasserrisikomanagementrichtlinie unter Nutzung der Synergien entwickelt werden. Die erforderliche Sensibilisierung der jeweiligen lokalen und regionalen Aufgabenträger sollte durch das SMUL initiiert werden.“
Die Anregung, dieses Projekt in Verbindung mit einem länderübergreifenden Großen Naturschutzprojekt aufzugreifen, muss von der Region ausgehen. Solch ein Projekt wäre aus unserer Sicht etwas, das die etwas inflationär benutzte Bezeichnung Leuchtturmprojekt tatsächlich verdient und dessen Reiz gerade darin liegt, in seine weitgehende, überregionale Bedeutung auch Gebiete einzubeziehen, die nicht wie die Stadt Leipzig per se mit einem vielfältigen Kulturangebot im Bewusstsein von Touristen sind.
Wenn es uns gemeinsam gelänge, dieses Vorzeigeprojekt zu initiieren, wäre das weit über Sachsen und Deutschland hinaus ein Modell dafür, dass eine funktionierende Wirtschaft und der Erhalt der Natur – beides Existenzgrundlagen für die hier lebenden Menschen auch in der Zukunft – Faktoren sind, die sich gegenseitig bedingen und fördern, statt einander auszuschließen.
Wenn es uns auf Sicht dann noch gelingt, mit dem Leipziger Neuseenland, den Auen der Weißen Elster und mit dem Leipziger Auwald als Nukleus für eine UNESCO-Welterbe-Bewerbung anzutreten, wird das mit Sicherheit auf mehr breite Zustimmung bei der ansässigen Bevölkerung stoßen und mehr interessierte Touristen aus aller Welt erreichen, als es die schon durch die geringe Größe der Seen begrenzte Anzahl von Motorbootfahrern, welche aus nicht nachvollziehbaren Gründen und mit nicht validierbaren Begründungen so sehr herbeigesehnt werden, jemals sein könnten.
Hierfür wirbt NuKLA-Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald e. V. und bittet Sie, sehr geehrte Damen und Herren Stadträte, die Vorlage mit kritischem Sachverstand zu hinterfragen und zu prüfen, ob anstatt des vorgelegten, veraltet einseitig auf motorisierten Wassertourismus setzenden Konzeptes nicht andere Anliegen und Ziele förderlicher für die touristische Entwicklung der Region sein könnten – was zudem auch den mehrfach zum Ausdruck gebrachten Willen der hiesigen Bevölkerung entsprechen würde.
Aus unserer Sicht hat Leipzig alle Hände voll zu tun, für sein bereits bestehendes und sich weiterhin abzeichnendes Wachsen die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung zu stellen: gerade junge Familien, Jugendliche und Kinder brauchen völlig andere Voraussetzungen für gute, gesellschaftsförderliche Entwicklungsmöglichkeit in der Stadt Leipzig, die alle kostenintensiv sind, als ein Schiffshebewerk, um den Elster-Saale-Kanal für Motorboote aus und nach Hamburg befahrbar zu machen.
Zudem sieht man selbst in Sachsen-Anhalt das immer wieder gepredigte Thema des Elster-Saale-Kanals als Wunschdenken einiger Akteure.
Link zur Berichterstattung hier.
Mit freundlichen Grüßen!
Wolfgang E. A. Stoiber
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