Die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ zeigte sich zutiefst enttäuscht, als am Donnerstag, 28. April, wieder eine Klage zum Fluglärm am Flughafen Leipzig/Halle vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abgeschmettert wurde. Aber in diesem Fall war es keine Klage gegen die diversen Flugrouten am Flughafen, sondern eine gegen einen alten Zustand - nur mit neuen Argumenten. Und das ist vor Gericht ein Problem.
Das brachte das Gericht dann auf den Punkt: „Der Flughafen Leipzig/Halle wurde auf der Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses aus dem Jahr 2004 mit dem Ziel ausgebaut, ein Drehkreuz für den Frachtverkehr zu entwickeln. Auf Klagen von Anwohnern beanstandete das Bundesverwaltungsgericht einige der Regelungen über den Nachtflugbetrieb (Urteil vom 9. November 2006 – BVerwG 4 A 2001.06 – BVerwGE 127,95). Im Jahr 2007 regelte der Freistaat Sachsen den nächtlichen Flugbetrieb erneut in einem Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss. Klagen dagegen wies das Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig ab (Urteil vom 24. Juli 2008 – BVerwG 4 A 3001.07 – BVerwGE 131, 316). Eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil blieb ebenso erfolglos wie eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 1 BvR 3474/08; EGMR, Entscheidung vom 10. Juni 2014 – 25330/10).“
Zu Recht natürlich argumentiert die Bürgerinitiative damit, dass es mittlerweile neue Forschungsergebnisse gibt, die die Gesundheitsschädigung durch nächtlichen Fluglärm belegen. Genau darauf berief sich der Kläger, als er 2014 wieder vor Gericht zog. Doch das Bundesverwaltungsgericht sah keinen Anlass, auf die neuen Forschungsergebnisse einzugehen.
„Die gegen die ablehnenden Verwaltungsentscheidungen erhobene Klage blieb erfolglos. Insbesondere kann der Kläger keinen Widerruf der Betriebsregelungen nach § 49 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) verlangen. Denn ein solcher Widerruf setzt voraus, dass auch nachträgliche Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG – etwa zum baulichen Schallschutz – die nachteiligen Wirkungen eines Vorhabens nicht beseitigen. An dieser Voraussetzung fehlt es nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts. Den vom Kläger behaupteten veränderten Erkenntnissen zum nächtlichen Fluglärm könnte durch besseren baulichen Schallschutz Rechnung getragen werden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte daher nicht zu entscheiden, ob sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich seit dem Jahr 2007 in entscheidungserheblicher Weise verändert haben. Nicht Verfahrensgegenstand war ferner die Frage, ob der Schallschutz im Haus des Klägers ausreichend ist.“
Logisch, dass solche Begründungen bei den einen – den Flughafenbetreibern – fast Jubel auslösten, bei den anderen – den Betroffenen – blanke Enttäuschung.
„Die heutige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gibt dem Flughafen, seinen Anwohnern und unseren Kunden langfristig Rechts- und Planungssicherheit. Selbstverständlich werden wir auch weiter mit Nachdruck an der Umsetzung aller Festlegungen zum Schallschutz arbeiten, in die unser Unternehmen bereits über 140 Millionen Euro investiert hat“, erklärte Johannes Jähn, Sprecher des Vorstandes der Mitteldeutschen Flughafen AG und Geschäftsführer der Flughafen Leipzig/Halle GmbH, am Donnerstag.
Während die Bürgerinitiative hier reine Lobby-Interessen am Werk sah.
„Was soll man auch davon halten, wenn ein Richter bereits eingangs der Verhandlung versucht, das Verhandlungsthema sehr eng abzustecken, offensichtlich wohl überlegend, das der aus seiner Sicht einzige Anwendungsfall für die Klage (§ 49 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes) im Laufe der Verhandlung als nicht tragend bewertet wird“, versucht Matthias Zimmermann, Sprecher der Bürgerinitiative, das Erlebte zu schildern. „Verständlich, dass sich der Vertreter des Beklagten (Freistaat Sachsen) umgehend mit ‚Ich kann mich im Vorfeld nur Ihren Vorausführungen anschließen, Herr Vorsitzender‘ bedankte. (…) Auch hätte man annehmen sollen, das Gericht hinterfragt im Zuge seiner unabhängigen Meinungsbildung die eine oder andere Aussage oder den einen oder anderen Vorschlag der Gutachter. Mitnichten. Als dann noch der Beklagte in einem seiner wenigen Statements (wusste er, dass er nicht viel zu seiner Verteidigung vorbringen musste?) behauptete, gesundheitliche Bedenken und medizinische Gutachten gehörten nicht in dieses Gericht, machte sich Unmut im Saal breit. (…) Zu Recht beklagte der Kläger die Verweigerungshaltung des Flughafens/Freistaates Sachsen zu neuen Erkenntnissen, die im Übrigen an anderen Flughäfen sehr wohl ins Kalkül gezogen werden. In Leipzig ist aber offensichtlich der wirtschaftliche Druck, verbunden mit internen vertraglichen Konstellationen, so groß, dass man über Leichen geht, gehen muss.“
Im Ergebnis sieht er in solchen Entscheidungen auch den Nährboden für zunehmende Zweifel am Funktionieren unserer Demokratie: „Und so schließt sich auch hier der Kreis zur Politik. Dies ist der Nährboden für Polarisierung und Radikalisierung, der Wandel der Gesellschaft vollzieht sich längst auch durch derartigen Umgang mit dem Menschen.“
Deutlich gemacht hat das Gericht, dass es mit einem positiven Urteil für den Kläger sein eigenes Urteil von 2008 hätte wieder aufheben müssen: „Der Freistaat Sachsen ist nicht verpflichtet, die Nachtflugregelungen am Flughafen Leipzig/Halle zu ändern. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. (…) Der Kläger konnte sein Begehren auch nicht auf andere Vorschriften stützen. Eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG schied aus, weil nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2008 rechtskräftig feststeht, dass die Regelungen über den Nachtflugbetrieb rechtmäßig sind. Ein Wiederaufgreifen des Planfeststellungsverfahrens nach § 51 VwVfG schließt § 72 Abs. 1 VwVfG aus.“
Diese Rechtmäßigkeit aber begründete sich seinerzeit auf „einen standortspezifischen Nachtflugbedarf“, mit dem der Freistaat Sachsen die Nachtflugerlaubnis untersetzte. Und den sah das Bundesverwaltungsgericht 2008 mit einem „Expressfrachtverkehr an einem Frachtdrehkreuz auch in der Nachtkernzeit“ gegeben.
Dabei berief man sich auch auf § 6 des Luftverkehrsgesetzes, obwohl gerade die dort benannte Umweltverträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren nur Teile des späteren Flugbetriebes für die umstrittene Startbahn Süd umfasste. Die entsprechende Klage der Grünen Liga zur sogenannten „kurzen Südabkurvung“ ist noch immer anhängig. Eine ähnliche Klage für die „kurze Nordabkurvung“ ist längst überfällig.
Denn das Problem am Planfeststellungsverfahren für die 2007 eröffnete Startbahn Süd ist ja nur zum Teil die – zumindest vom Gericht nicht hinterfragte – Notwendigkeit der Nachtfluggenehmigung, sondern das Nichteinhalten damals gefundener Festlegungen (wie der gleichmäßigen Bahnverteilung) und das Einführen von Abflugrouten, die nicht Teil des Genehmigungsverfahrens waren.
Nur stehen die betroffenen Anwohner dem juristischen Mauerwerk ziemlich hilflos gegenüber, wenn sie versuchen, ihre eigene Betroffenheit auf dem Klageweg geltend zu machen. Der Flughafen jedenfalls beruft sich auf die regelmäßigen Unbedenklichkeitserklärungen der Landesdirektion, dass mit dem Schallschutz am Flughafen alles seine Ordnung habe: „Gemäß den Bestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses erfolgen seit dem Frühjahr 2009 Überprüfungsberechnungen des Nachtschutzgebietes. Diese sind bis 2016 jährlich, dann alle drei Jahre, durchzuführen. Ziel der kontinuierlichen Überprüfung ist es, zu ermitteln, ob sich zwischen dem prognostizierten und dem tatsächlichen Lärmaufkommen Differenzen ergeben. Ist dies der Fall, muss der passive Schallschutz angepasst werden. – Im Ergebnis der ersten turnusmäßigen Überprüfung wurde durch die jetzige Landesdirektion Sachsen 2009 das bis dato planfestgestellte Nachtschutzgebiet um rund 44 Quadratkilometer erweitert. Dies führte dazu, dass sich die Zahl der Anspruchsberechtigten auf baulichen Schallschutz weiter erhöhte. Im Rahmen einer Meistbegünstigungsregelung wurde dabei das Nachtschutzgebiet im nördlichen Teil des Flughafens nicht verkleinert. – Auch die Überprüfungsberechnung des Jahres 2015 anhand der Daten des Jahres 2014 ergab, dass keine weiteren Schutzauflagen durch die Flughafen Leipzig/Halle GmbH zu erfüllen sind.“
Das ist dann irgendwie wie das Märchen vom Hase und dem Igel: Egal, an wen sich die Betroffenen wenden, stets verweist Einer auf den Anderen, der bestätigt, dass alles seine Berechtigung und seine Ordnung hat.
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Keine Kommentare bisher
Wenn ein Verteidiger
im Gerichtssaal ,ohne Beanstandung des Gerichts ,erklären kann dass “Gesundheitsfragen” in einen Gerichtssaal nichts zu suchen haben dann spiegelt dieses genau wieder wie sich die Politik gerade in diesen Fragen der Gesundheitsgefährdung am FH Halle/Lpz der Bevölkerung gegenüber verhält?!