Vielleicht werden die vom nächtlichen Lärm am Flughafen Leipzig/Halle Betroffenen schon am 28. April ein bisschen klüger. Für den Termin hat das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung um das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) angesetzt, um das die Flughafenanrainer seit zwölf Jahren kämpfen.
Denn auf eine breite staatliche Front der Ablehnung stießen sie schon 2004, als es um den Planfeststellungsbeschluss für die neue Start- und Landebahn Süd ging. Am Ende bekamen sie eine Reihe Zugeständnisse, die sich in der Realität als falsches Versprechen oder völlig unwirksam entpuppten. Statt die Nachtflugerlaubnis einzuschränken, gab es nur eine solche Einschränkung für Personenflieger – für die Frachtfliegerei gab es dafür die unbeschränkte Nachtflugerlaubnis, verbunden mit einem scheinbar großzügig ausgelegten Lärmschutzgebiet mit ordentlichem passivem Schallschutz für alle Antragsteller (ein Programm, das 2015 erst zur Hälfte überhaupt abgearbeitet war) und einer zugesagten Gleichverteilung der Starts und Landungen auf beiden Bahnen.
Aber eingehalten wurde davon mit Inbetriebnahme der neuen Start- und Landebahn 2007 so gut wie nichts.
Was dann die IG Nachtflugverbot Leipzig/Halle e. V. logischerweise nach und nach – mit steigender Zahl nächtlicher Flugbewegungen – immer mehr auf die Palme brachte. Sie suchte sich fachlich kompetente Musterkläger – wie die Grüne Liga. Die sind seitdem insgesamt fünf Mal vor Gericht gezogen, um das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) der Bewohner im verlärmten Gebiet einzuklagen. In den vier bereits abgeschlossenen Verfahren wurden die Forderungen der Kläger vor sächsischen Gerichten immer wieder abgewiesen, immer wieder mit Argumenten, die mit ihren eigenen Klagegründen nichts zu tun hatten, meist mit dem Hinweis auf das „überwiegende öffentliche Interesse“ insbesondere an der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Die Flughafenanwohner seien außerdem durch das passive Schallschutzprogramm des Flughafens ausreichend geschützt, so die Argumentation der Gerichte.
Doch dieser Einschätzung widersprechen mehrere neue medizinische Studien, die die durch Nachtfluglärm verursachten Gesundheitsschäden sowohl von ihren Wirkungsmechanismen her als auch statistisch signifikant nachweisen – so die sogenannte „Mainzer Studie“ vom August 2014, aber auch die NORAH-Studie vom November 2015, die jüngst erst im Dialogforum Flughafen Thema war – auch wenn man sich dort nach Vorstellung der Studie erst einmal ratlos gab.
Diese Studie wurde vom Flughafen Frankfurt/Main und vom Land Hessen mitfinanziert, von Körperschaften also, denen keine inhaltliche Nähe zu den Fluglärmgegnern nachzusagen ist, betont Michael Teske, Vorsitzender der IG Nachtflugverbot Leipzig/Halle e.V.
Angewandt auf die Situation um den Flughafen Leipzig/Halle folge aus diesen Studien, dass die dem Planfeststellungsbeschluss für die Erweiterung des Flughafens Leipzig/Halle zugrunde liegenden Grenzwerte signifikant falsch und daher für den Gesundheitsschutz der Anwohner absolut unzureichend seien, so Teske.
Zulässig wären nach dem Planfeststellungsbeschluss Dauerschallpegel nachts außen von 60 dB(A), die Aufwachwahrscheinlichkeiten zur Berechnung der Zielgröße „im Mittel weniger als eine zusätzliche Aufwachreaktion“ und ein zulässiger „regelmäßiger“ Spitzenpegel innen 65 dB(A).
Die Ergebnisse aus Frankfurt in der NORAH-Studie belegen: Da kann man eigentlich nicht mehr durchschlafen. Und je nach Windrichtung und den daraus folgenden kurzen oder sonstigen Abflugbewegungen bekommen die Anrainer dann oft genug Nächte mit einer ganzen Kette von Aufwachreaktionen und Schallpegeln über 70 dB(A).
Weil das nun seit Jahren so ist und die Flughafenverantwortlichen sich ebenso wenig zu deutlichen Einschränkungen des nächtlichen Lärms bemüßigt fühlen wie die politisch Verantwortlichen in Dresden und Leipzig, hat der auf Verwaltungsrecht spezialisierte Leipziger Rechtsanwalt Wolfram Günther im Auftrag der Fluglärmbetroffenen im April 2015 erneut Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen den Freistaat Sachsen erhoben.
Nun hat das Gericht den Termin für die mündliche Verhandlung auf Donnerstag, den 28. April 2016, 10 Uhr im Bundesverwaltungsgericht am Simsonplatz, Sitzungssaal IV, festgelegt.
„Wir sind zuversichtlich, diesmal einen Erfolg zu erzielen. Denn die Argumentation unseres Rechtsbeistands ist absolut schlüssig: Unter Berücksichtigung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden einerseits die gesundheitlichen Auswirkungen des Nachtfluglärms in der Planfeststellung viel zu gering eingeschätzt“, stellt Michael Teske fest. „Andererseits wurden die wirtschaftlichen Erfordernisse des Nachtflugs viel zu hoch bewertet, was sich heute unter anderem am ständigen Zuschussbedarf des Flughafens Leipzig/Halle zeigt. Deshalb ist eine neue gerichtliche Abwägung unumgänglich. Schon die Annahme der Klage durch das Bundesverwaltungsgericht ist ein Erfolg für die Fluglärmgegner. Denn offensichtlich folgt das Gericht dieser Einschätzung und hält die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses nicht von vornherein für gegeben.“
Den Termin kann sich, wer sich für die Problematik interessiert, schon einmal vormerken: Die IG Nachtflugverbot lädt alle betroffenen und interessierten Bürger zur Teilnahme an der öffentlichen Verhandlung ein.
Teske: „Zeigen Sie durch Ihr Kommen, dass Ihnen die Zukunft der Region als lebenswerte Heimat wichtig ist! Denn es gilt immer noch: Gesundheit vor Profit!“
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