Leipzig freut sich über jedes Jahr mit steigenden Bevölkerungszahlen und Geburten. Der OBM strahlt und malt schon mal die 600.000 an die Wand. Aber die demografische Entwicklung in Sachsen hat Folgen. Und einige davon lassen sich nicht mehr reparieren, weil nicht nur die Kinder fehlen, sondern auch die Fachkräfte. Beispiel Oschatz. Am 29. Oktober schrieb OBM Andreas Kretschmar (parteilos) einen bewegenden Brief.
Er hat ihn zusammen mit Sabine Trudel, Geschäftsführerin der Collm Klinik, an seine Oschatzer geschrieben. Denn die Schließung der Abteilung Geburthilfe an der Klinik erregt die Stadt. Zu Recht, schreiben die beiden. Doch sie können das Problem nicht lösen: Sie finden keine Fachkräfte mehr für die Abteilung.
“Diese Schließung hat allerdings einen konkreten Anlass: Personalmangel. Es fehlt uns an Fachkräften. Trotz intensiver Suche – mit Ausschreibungen, Anfragen bei benachbarten Kliniken, wiederholten Nachfragen bei Hebammenschulen sowie dauerhafter Ausschreibung im Internet und bei der Bundesagentur für Arbeit – konnten wir nach dem Weggang einiger Geburtshelferinnen, wegen Neuorientierung, Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft und Elternzeit, keine neuen Hebammen für unsere Klinik gewinnen”, schreiben die beiden. Die Collm Klinik ist für fachlich ausgebildete Geburtshelferinnen nicht attraktiv: “Hebammen suchen Einrichtungen mit höheren Geburtenzahlen, breiterem Versorgungsspektrum, mit Zukunftsperspektive. All das finden sie beispielsweise in Kliniken mit angeschlossener Kinderabteilung bzw. Neonatologie. Darüber verfügt die Collm Klinik Oschatz leider nicht, und das ist auch nicht mehr zu ändern. Denn: Im Klinikneubau, der unter anderer Geschäftsführung geplant und umgesetzt wurde, ist für eine zusätzliche Kinderklinik kein Platz.”
Aber auch das hat Gründe. Denn Oschatz wirkt zwar in der Statistik stabil: 14.734 Menschen lebten dort im Dezember – sogar einer mehr als ein Jahr zuvor. Aber die Geburtenzahlen sind trotzdem zu gering: “Fakt ist auch: Die Geburtenzahlen in Oschatz sind zu niedrig, um in Zukunft eine routinierte und auf alle Notfälle vorbereitete geburtshilfliche Abteilung zu erhalten. Gerade einmal 270 Kinder kamen 2014 an der Collm Klinik zur Welt, die Tendenz ist seit Jahren sinkend. Fachgesellschaften nennen einen Mindestrichtwert von 500 Geburten pro Jahr, um die medizinische Qualität und damit die Sicherheit für Leib und Leben von Mutter und Kind zu jedem Zeitpunkt sicherstellen zu können.”
Jetzt muss das 13 Kilometer entfernte Riesa den Bedarf auffangen. Man ahnt, wie schwer dem OBM die Entscheidung fällt. Er ist nicht der einzige in Sachsen, der in so einer Zwickmühle steckt. Denn wenn die jungen Leute weggehen, entstehen ganze Folgeketten, werden auf einmal Kitas zu groß, Schulen geraten in Schließungsgefahr, Unternehmen finden keine Azubis mehr und Krankenhäuser sind nicht mehr ausgelastet.
Wie man gegensteuern kann, weiß noch niemand. Leipzig ist zwar nicht weit – aber auch nicht nah genug, dass Oschatz davon profitieren würde. Die S-Bahn S1 fährt einmal in der Stunde. Das ist zwar genauso wenig, wie es bislang von Leipzig nach Halle war – aber hier kann niemand Druck machen, weil die Bahn überfüllt wäre.
Eigentlich ist die Zeit reif, dass sich alle, wirklich alle Oberbürgermeister und Bürgermeister der Region an einen Tisch setzen und anfangen, gemeinsam über die Verwerfungen der demografischen Entwicklung zu reden. Jetzt freut sich oder leidet jeder für sich allein – Leipzig “boomt”, die kleinen Städte im Land verlieren ihre Lebenskraft. Und die kleine Warnung steckt ja im Text: 250 Geburten in Oschatz – das ist dann auch schon die Nicht-mehr-Zuwanderung für Leipzig ab 2033. Die Statistiker wissen es schon. Dann sind die ländlichen Regionen ausgeblutet und in Oschatz müssen noch ganz andere Einrichtungen abgeschaltet werden.
Höchste Zeit zum Nachdenken.
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“Fachgesellschaften nennen einen Mindestrichtwert von 500 Geburten pro Jahr, um die medizinische Qualität und damit die Sicherheit für Leib und Leben von Mutter und Kind zu jedem Zeitpunkt sicherstellen zu können.“
Vielleicht war die” Fachgesellschaft” das IFO-Institut.
Jedenfalls fehlt es nicht an Fachkräfte n, sondern an “Facharbeit” für die Fachkräfte, weil Fachgesellschaften eine Mindestzahl vorgesehen haben. Vielleicht liegt es eher daran.
Das IAB hat dem vermeintlichen Fachkräftemangel in Sachsen widersprochen. Wie vorliegend zu sehen ist, scheinbar nicht zu Unrecht.