Markranstädt, an der westlichen Stadtgrenze von Leipzig, ist eine Stadt mit vielen Gesichtern. Zum einen ist da der Kulkwitzer See in Sichtweite zu Grünau, genau in der Mitte von Großstadt und Kleinstadt. Zum anderen die 15.000-Einwohner-Stadt, die bis Ende 2013 von der sehr eigenwilligen und der nach Gutsherrenart regierenden Bürgermeisterin Carina Radon (CDU) geführt wurde. Nun sitzt ein Bürgermeister im Amt, der für ein Miteinander und für Offenheit plädiert.
Jens Spiske (Freie Wähler Markranstädt) hat es seit seinem Amtsantritt geschafft, dass ein anderer Wind durch die Rathausflure weht. Der 50-Jährige, von Beruf Arzt, zeigte sich im Interview in gewohnter Weise offen, aber auch nachdenklich. Unter anderem auch, was die Flüchtlingsproblematik in Deutschland im Allgemeinen und in der Region im Besonderen betrifft.
Herr Spiske, Markranstädt, eine Stadt mit vielen Gesichtern. Aber auch eine, die von der tollen Entwicklung der Großstadt Leipzig profitiert.
Ja, wir haben zum Beispiel zum ersten Mal keinen Einwohnerrückgang. Im letzten Jahr verzeichneten wir ein Bevölkerungsplus von 122. Das wird sich perspektivisch wohl hoffentlich auch so fortsetzen.
Markranstädt ist ein Verkehrsknotenpunkt, der den Westen mit dem Osten und den Norden mit dem Süden verbindet.
Die Belastung durch Lärm und die damit einhergehende Umweltschädigung ist eines der großen Themen für unsere Bürger. Lkw sparen sich die Kilometer auf der Autobahn, die eigentliche “Umgehungsstraße”. Das Rathaus wackelt, wenn die 30-Tonner durch den Kreuzungsbereich rollen, das macht das Stadtzentrum nicht wirklich attraktiver. Auf lange Sicht brauchen wir die Umgehungsstraße. Wann die kommt, weiß jedoch niemand.
Welche Alternative bietet sich an?
Mein Wunsch wäre natürlich eine Umgehungsstraße. Diese wurde inzwischen auch in den Bundeswegeplan aufgenommen. Aber Bundespolitik liegt jenseits unserer Einflussmöglichkeiten. Die Autobahn, die das Problem lösen würde, nutzt leider niemand.
Welche Möglichkeiten bleiben Ihnen?
Vor wenigen Monaten wurde Tempo 30 eingeführt, um die Lärmbelastung zumindest zu einem Teil zu reduzieren. Dies scheint Früchte zu tragen. Wir haben positive Rückmeldungen der AG Verkehrslärm, die der Auffassung ist, die Maßnahme habe durchaus etwas gebracht. Tempo 30, Schallschutzwände und ähnliche Maßnahmen können jedoch keine Dauerlösung sein. Über kurz oder lang werden wir an einer Umgehungsstraße jedoch nicht herumkommen.
Dem gegenüber steht das Naherholungsgebiet Kulkwitzer See…
Insofern ist die Straße nach Sachsen-Anhalt sehr wichtig. Der See wurde wiederholt zu einem der beliebtesten Seen in Deutschland gekürt. Mit dem Pkw-Verkehr muss man leben, wenn man Tourismus will. Es besteht auch Einigkeit mit den Leipzigern auf der anderen Seite darüber, dass man diesen See gemeinsam betreiben wird. Anders geht das gar nicht.
Wo wir schon beim Kulkwitzer See sind… wie sehen die Zukunftspläne für das Naherholungsgebiet aus?
Nach wie vor besteht hier der Auftrag an mich, die Arbeit mit dem Zweckverband Kulkwitzer See aufzukündigen. Dies jedoch gestaltet sich schwierig, sodass diese Aufgabe noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Es besteht Einigkeit darüber, dass wir den See gemeinsam mit der Leipziger Seite betreiben möchten.
Also sind Fehler gemacht worden.
Kann man so sagen. Wenn man das sauber abwickeln will, muss noch einiges geregelt werden. Da sind ein paar Dinge passiert, die auch rechtlich nicht korrekt sind
Also teilt man sich zwangsläufig in den See hinein?
Nur das ist sinnvoll. Die Gemarkung läuft schließlich einmal quer durch den Kulkwitzer See. Auch das touristische Konzept sollten beide Seiten gemeinsam entwickeln.
Das Bebauungsgebiet Westufer ist so gut wie verkauft?
Ja, bis auf einige wenige Grundstücke. Die ersten waren schon verkauft, als ich ins Amt kam. Wie meine Amtsvorgängerin die Erschließung des Westufers, inklusive der Seepromenade durchgesetzt hat, dazu kann jeder seine eigene Meinung haben. Ich glaube, sie hat die Bürger da nicht mitgenommen. Ich hätte es anders gemacht, aber jetzt müssen wir damit leben.
Wie steht es denn um die Haushaltslage?
Schwierig. Die Gewerbeeinnahmen sind zwar sehr gut. Das hat aber immer eine Kehrseite: Durch eine höhere Gewerbeeinnahme werden die Schlüsselzuweisungen des Freistaates geringer, denn wenn eine Gemeinde gut dasteht, braucht sie weniger Zuwendungen. Was leider wieder ein Defizit im Haushalt verursacht. Das muss man ausgleichen.
Wie hoch ist das Budget der Stadt?
Das Budget der Stadt liegt bei 20 Millionen Euro, wobei sich die Einnahmen durch die Gewerbesteuer bei circa 5,1 Millionen Euro bewegen. Tendenz nach oben, aber abhängig von der Wirtschaftssituation. Es gibt eine große Nachfrage nach Gewerbegebieten. Wir kommen kaum nach, weil es auch relativ große Flächen sein müssen. Wir profitieren davon, dass viele mittelständische Unternehmen wegen der günstigeren Hebesätze herziehen.
Wie schaut es mit der Beschäftigung aus?
Momentan beläuft es sich auf fast 5000 sozialversicherungspflichtige Stellen.
Wo brennt es unter den Nägeln?
Das sind die Kindergartenplätze. Wir haben sechs Kitastandorte, wobei eine Kita noch gebaut werden soll. Also kämen wir dann auf sieben. Aber man weiß nie so genau, wie sich das entwickelt.
Wie hat sich die Entwicklung auf den Immobilienmarkt ausgewirkt?
Der Mietspiegel ist niedriger als in Leipzig. Wir haben Preise von etwa 3,50 Euro bis sieben Euro pro Quadratmeter. Grundstücke bewegen sich bei einem Preis von um die 200 Euro.
Worauf sind Sie persönlich stolz?
Darauf, dass wir von unserem Schuldenberg ein Stück runter sind. Angefangen haben wir bei rund zwölf Millionen und liegen jetzt bei circa 9,7 Millionen Euro. Wir haben seit 2012 keinen neuen Kredit aufgenommen, so möchte ich das zukünftig beibehalten.
Wie steht es um die Problematik der Sporthalle?
Da haben wir einen sehr guten außergerichtlichen Vergleich erreicht. Dadurch konnten wir einen fünf bis sieben Jahre andauernden Rechtsstreit verhindern, der keinerlei Sanierung des Sportcenters erlaubt hätte. Das Sportcenter wäre uns in dieser Zeit möglicherweise buchstäblich unter den Händen verrottet. Jetzt können wir viele Schäden beheben lassen. Ich befürchte aber, dass uns dieser Bau nie ganz zufriedenstellen wird, dazu sind wohl zu viele Fehler gemacht worden.
Bekanntermaßen gibt es in Markranstädt und Umgebung auch eine Grundwasserproblematik?
Wir haben die hydrogeologische Besonderheit, dass die Stadt auf einem Plateau liegt, nicht unterhöhlt ist durch Tagebauaktivitäten. Das ist im Umland anders. Dort, insbesondere in Seebenisch, gab es bis in die 1960er-Jahre Bergbau. Beim Untertagebergbau hat man bis in die 1930er-Jahre die Schächte einfach einstürzen lassen, dadurch hat sich die Oberfläche abgesenkt. Auch wegen des Tagebaus am heutigen Kulkwitzer See wurde jahrzehntelang der Grundwasserspiegel künstlich abgesenkt. Als dann 2011 die Pumpen in Seebenisch abgestellt wurden, stieg das Grundwasser auf das alte Niveau an. Inzwischen ist in Gärnitz/Seebenisch ein Gewässer zweiter Ordnung entstanden, das nicht einfach wieder so abgepumpt werden darf. Da stehen das Umweltamt des Landkreises und die Untere Wasserbehörde vor. Mittlerweile gibt es Schäden an Gebäuden sowie in der angrenzenden Kleingartenanlage. Und wir wissen immer noch nicht, wie wir das Wasser am besten über einen natürlichen Abfluss weg bekommen. Und: Wir müssen immer auch die Finanzierbarkeit im Auge behalten.
Wie sieht es denn mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus?
Wir sollen rund 200 Menschen aufnehmen. Die Bereitschaft in der Bevölkerung Flüchtlinge aufzunehmen, ist da. Aber es geht auch um das Wie. Wir regeln das unaufgeregt, ohne viel darüber in den Medien zu reden. Menschen, die aus Angst um ihr Leben ihr Land verlassen, müssen freundlich aufgenommen werden.
Der Pfarrer der evangelischen Kirche hier in Markranstädt hat einen Runden Tisch zum Thema Asyl ins Leben gerufen, an dem sich viele Vertreter des öffentlichen Lebens versammeln. Unternehmer, Vereine, Bürger, Polizei, Vermieter, Sozialverbände, etc. Wir wollten das Thema in die Mitte der Gesellschaft packen. Der Runde Tisch ist offen für alle. Jede Frage darf gestellt werden, jede Sorge, jede Angst geäußert werden. Der Pfarrer moderiert das Gespräch in einer sehr angenehmen Art, ohne dass man für seine Meinungsäußerung in diese oder jene politische Schublade gesteckt wird. Die ersten rund 20 Asylbewerber sind auch ohne Probleme aufgenommen worden.
Sehen Sie die Kommunen durch die aktuelle Politik alleine gelassen?
Die Kommunikation funktioniert immer noch nicht. So soll ein Wohnhaus mit acht Wohnungen komplett nur mit Männern belegt werden. Das ist höchst problematisch, widerspricht dem Prinzip der Integration und ist faktisch eine zentrale Unterbringung. Obwohl ich darauf hingewiesen habe, hält der Landkreis daran fest. Sie wissen offenbar nicht mehr wohin mit den Menschen. Der Freistaat Sachsen hält sich da vollkommen raus und lässt uns in den Kommunen mit den Problemen allein. Das ist keine Flüchtlingskatastrophe, sondern eine Verwaltungs- und Politikkatastrophe, ein Versagen der Politik auf höchster Ebene. Man hat die Entwicklung sehen können, sie aber schlichtweg ignoriert. Wir auf kommunaler Ebene müssen nun damit klarkommen.
Es gibt 2 Kommentare
>Man hat die Entwicklung sehen können, sie aber schlichtweg ignoriert.
Korrekt. Ich habe mich mal belesen: Die Flüchtlingszahlen sind schon seit Jahren gestiegen, nicht erst seit “Lampedusa”. Nur irgendwann wird psychologisch ein scheinbarer “Knick” erreicht, und auf einmal wirds “ganz viel”. Ein sehr typisches Zeichen, dass der Mensch und ganz inbesondere die Politiker mit exponentiellem Verhalten nicht zurechtkommen. Das Phänomen ist aber bekannt, und Warner gab’s auch genug.
Die (Landes)Regierungen versagen völlig beim Regieren, und die Zivilgesellschaft muss das ausbaden. Aus dieser Zivilgesellschaft kommen die Hilfsorganisationen, die mit vielen Ehrenamtlichen arbeiten, welche ja von ihrer Ethik her nicht “Nein” sagen wollen.
Auf diese Weise sparen die ohnehin blamierten Landesregierungen noch einmal richtig Geld. Flüchtlingsbetreuung ist eigentlich eine Aufgabe für Profis und nicht für angelernte Gutwillige.
Aber wozu den Chirurgen operieren lassen, wenn es eine Krankenschwester auch “kann” und es noch billiger macht?
Wird Zeit, dass Landespolitiker zurücktreten. Ulbig kann gerne der erste sein.
Ein gutes Interview.
Prima