Mit Unverständnis und Sorge hat der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) die Ausführungen des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich im Medienservice Sachsen vom 06.06.2013 mit der Überschrift "Ministerpräsident Tillich: Hochwasserschutz ist Verantwortung aller" aufgenommen. Dabei lässt der Ministerpräsident eine Menge seriöser und fachlich-sachlicher Ursachenfindung bei der Entstehung und dem Umgang mit Hochwasser sowie an einem ernsthaft ausgeprägtem Demokratieverständnis vermissen.
Stattdessen nutzt Herr Tillich die massiven, aber deutlich menschenverursachten Hochwasserereignisse, um die Gesellschaft noch weiter zu spalten und ausgerechnet den Umwelt- und Naturschützern die Verantwortung für die Missstände in Sachen Hochwasserschutz zuzuschieben. Gerade diese haben immer wieder und eindringlich nachhaltige Hochwasserschutzmaßnahmen angemahnt und dabei klar und deutlich die Ursachen und deren Wirkung sowie Lösungsvorschläge aufgezeigt. Die sächsische Staatsregierung unter Leitung von Herrn Tillich zeigte in den wenigsten Fällen großes Interesse und Bedürfnis, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen.
Daher weist der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) noch einmal auf folgende Dinge hin:
Erfahrungsgemäß gilt es immer Ereignisse da zu verhindern, wo sie entstehen. Beim Hochwasser sind es insbesondere die Oberläufe sowie die Zuläufe, welche größere Gebiete entwässern. Hier muss der Grundsatz lauten, dass das Wasser dort bleibt, wo es als Niederschlag niedergeht oder als Schmelzwasser in Bewegung kommt. Dazu ist es erforderlich, dass bereits in den Gebirgsregionen Waldflächen erhalten bleiben, keine Kahlschläge entstehen und schon gar nicht Böden ihre natürliche Aufnahme- und Pufferfunktion durch weitere flächendeckende Versiegelungen für Verkehrs- und Siedlungsbau verlieren. Gegenwärtig schreitet laut Umweltbundesamt und Statistischem Bundesamt in Deutschland täglich die Neuversiegelung von Böden in einem Umfang von 81 ha voran. Das entspricht im Jahr in etwa der Fläche der Stadt München. Von dem gesteckten Ziel bis 2020 die Flächenversiegelung auf immerhin immer noch hohe 30 ha pro Tag zu senken ist man offenbar noch weit entfernt. Insbesondere Siedlungs- und Verkehrsbau sind hier die treibenden Kräfte.
Nun was hat denn da der Ministerpräsident Stanislaw Tillich und seine Staatsregierung bisher unternommen? Hat die Staatsregierung dafür Sorge getragen, dagegen etwas zu unternehmen? Laut Landesamt Umwelt, Landwirtschaft und Geologie des Freistaates Sachsen ist seit den 90-er Jahren die tägliche Neuversiegelung um 8 ha angewachsen. Allein zwischen den Jahren 2010 und 2011 stieg laut Statistische Ämter der Länder in Sachsen die versiegelte Fläche von 1.019 km² um 6 km² auf 1.025 km². Somit kamen in einem Jahr umgerechnet 600 ha neu versiegelte Fläche hinzu.Hinzu kommt die verheerende Situation in der Landwirtschaft, wovon einst in der DDR angebauten 25 Agrarkulturen heute nur etwa 5 bis 6 Agrarkulturen auf der Fläche zu finden sind. Dabei handelt es sich fast ausnahmslos um Humuszehrer wie Mais und Raps. Die fast vollständige Verbannung von Kulturen wie Luzerne, welche als Humusmehrer und Tiefwurzler für Auflockerung des Bodens wirkt, haben zusammen mit dem zunehmenden Einsatz immer schwererer Technik zu Bodenverfestigungen geführt. Das Niederschlags- und Schmelzwasser kann nicht mehr im Boden versickern, fließt oberflächlich ab, nimmt häufig nährstoff- und pestizidangereichertes Erdreich mit sich. Der so abgetragene Boden verstopft Gräben und Kleingewässer sowie landet letztendlich in den größeren und großen Fließgewässern.
Dann kommen noch die häufig wasserbaulich stark eingeengten Fließgewässerräume hinzu. Anstatt hier die Wiederherstellung der ökologischen und hydrologischen Verbindungen zwischen Fließgewässer und ihrer Aue anzugehen, reduzieren sich leider die Maßnahmen im Zusammenhang auf das Hochwasser in der Errichtung noch größerer und höherer Deiche entlang der Flüsse.
Von der Form des Hochwasserschutzes profitieren somit Mensch und Aue. Letztere zieht aus der Überflutung ihren Arten- und Strukturreichtum, reinigt aufgrund der Reduzierung der Fließgeschwindigkeit das Wasser von Schwebstoffen und Transportgut und entzieht die Fließkraft sowie die damit verbundene Wucht.
Der AHA teilt durchaus die Ansicht des sächsischen Ministerpräsidenten, dass beim Hochwasserschutz Gemeinschaftsrecht vor Individualrecht steht. Nur die Schlussfolgerungen daraus kann der AHA nicht teilen. Anstatt den Grundsatz dahingehend zu verwenden, keine Neubaugebiete in Überflutungsräume zuzulassen, die Flächenversiegelung insgesamt nicht nur zu stoppen, sondern sogar Flächenentsiegelungen vorzunehmen, umfassende Deichrückverlegungen umzusetzen, sollen Bürgerrechte im Interesse eines allein wasserbaulichen Hochwasserschutzes Beschränkung und Aushebelung erfahren. Im selben Atemzug den Umwelt- und Naturschützern die Schuld für ein weitgehend gescheitertes nachhaltiges Vorgehen des Freistaates Sachsen in Sachen Hochwasser zuzuschieben zeugt von einem absoluten fachlich-inhaltlichen Realitätsverlust.
Daher fordert der AHA den Ministerpräsidenten Tillich dringend auf, aus den Hochwasserereignissen der Jahre 2002, 2010/2011 und 2013 die richtigen Lehren zu ziehen und daher nicht Demokratie abzubauen sowie die Konfrontation mit den Umwelt- und Naturschutzorganisationen zu suchen, sondern eher ernsthaft gemeinsam mit allen verantwortlichen und interessierten Kräften wissenschaftlich-fachlich fundierte, nachhaltige Lösungen zu suchen.
Einen geharnischten Beitrag von Jakob Augstein zur politischen Wirklichkeitsverweigerung gab es am Montag auch auf “Spiegel Online”: www.spiegel.de/politik/deutschland/augstein-kolumne-wir-sind-schuld-an-der-flut-a-904744.html
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