In der aktuellen Haushaltsdiskussion präsentiert sich die CDU-Fraktion als Einspar-Weltmeister und hat eine regelrechte Streichliste im Umfang von 200 Millionen Euro vorgelegt. Aber gleichzeitig treibt die Fraktion ein Projekt voran, das richtig teuer werden würde und von dem völlig unklar ist, welche Effekte es überhaupt bringen wird: den sogenannten zweiten City-Tunnel. Den ersten bekam Leipzig ja Ende 2013 für eine durchaus überschaubare Summe von 935 Millionen Euro. Der zweite würde um Dimensionen teurer.

Wenn er denn je gebaut wird. Denn welche Rolle so ein zweiter Tunnel unter der Stadt für den S-Bahn-Betrieb spielen könnte, prüft der Zweckverband für den Nahverkehr Leipzig (ZVNL) erst. Dafür hat er den Auftrag. An eine Planung des Tunnels aber ist noch gar nicht zu denken. Doch genau das beantragte die CDU-Fraktion für den Doppelhaushalt 2025/2026: die Gründung der Planungsgesellschaft für einen zweiten City-Tunnel „Ost-West“. 25.000 Euro sollten dafür schon mal locker gemacht werden. Was die Verwaltung natürlich ablehnt. Denn nichts an dem Projekt ist spruchreif.

Ganz abgesehen davon, dass die Leipziger Ratsversammlung – und auch die CDU-Faktion – 2018 genau das Mobilitätsszenario nicht beschlossen hat, in dem der zweite City-Tunnel steckte.

Irgendwer verlangt nach einem zweiten City-Tunnel

Dass der City-Tunnel selbst alle Erwartungen erfüllt hat, ist für die CDU-Fraktion Grund genug, jetzt einen zweiten Tunnel in Ost-West-Richtung zu wünschen.

„Der Nord-Süd-City-Tunnel ist, trotz massiver Kritik im Vorfeld und während seines Baus, heute für Leipzig und das angeschlossene Umland nicht mehr wegzudenken. Jedoch zeigt die Entwicklung unserer Stadt, dass es weiter große Probleme gibt, den ÖPNV zukunftssicher aufzustellen“, begründete die CDU-Fraktion ihren Haushaltsantrag.

„Große Teile des Umlandes sind noch immer nicht angebunden. In Leipzig selbst stößt die LVB an ihre Grenzen – räumlich, in puncto Kapazität und finanziell. Vermehrt wird nach einem zweiten City-Tunnel in Ost-West-Richtung verlangt, der viele Verkehrsprobleme in der Stadt lösen kann. Die Erfahrungen aus dem ersten Projekt zeigen, dass dies kein Bau wird, der in fünf Jahren realisiert ist. Es ist ein Langfristvorhaben, welches gerade deshalb zügig begonnen werden muss.

Für den Bau des ersten Tunnels gründeten der Freistaat, die Stadt Leipzig und die Deutsche Bahn 1996 die S-Bahn Tunnel Leipzig GmbH als Planungsgesellschaft zur Entwicklung und Planung des City-Tunnels. 1997 wurde die Vorplanung für den Tunnel beauftragt. Die Entwurfsplanung schloss mit dem Stand 05/2002 ab. Sie wurde Grundlage des Vertragswerkes zum City-Tunnel Leipzig. Allein diese Zeitschiene zeigt, dass die Vorplanungen zügig begonnen werden müssen.

Deshalb sollen die nötigen Mittel dafür durch die Stadt Leipzig jetzt bereitgestellt werden. Außerdem stehen über den sogenannten ‚Braunkohle-Topf‘ Mittel für solche Infrastrukturprojekte bereit, die das Umland an Leipzig anbinden können.“

Wer da „vermehrt … nach einem zweiten City-Tunnel in Ost-West-Richtung verlangt“, wird nicht erklärt.
Und es wird unterschlagen, dass der Stadtrat längst einen Prüfauftrag erteilt hat, der klären soll, ob so ein Tunnel überhaupt wirtschaftlich Sinn ergibt. Noch 2025 sollten diese Prüfergebnisse ja vorliegen. Das weiß auch die CDU-Fraktion, denn genau das hatte sie 2024 angefragt.

Prüfergebnis frühestens 2026

Und so weist auch das Mobilitäts- und Tiefbauamt darauf hin, dass hier erst einmal die eigentliche Prüfinstanz – der ZVNL – eine Analyse vorlegen muss.

„Grundsätzlich plant, organisiert und finanziert der Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) auch im Stadtgebiet Leipzig den regionalen Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Neben der Entwicklung eigener Ideen und Konzepte für den Ausbau des SPNV greift der ZVNL insbesondere auch Ideen von Verkehrsunternehmen, Kommunen und Infrastrukturunternehmen auf. Die Vorschläge werden hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Finanzierbarkeit geprüft und in den Nahverkehrsplan integriert“, erklärt das Mobilitäts- und Tiefbauamt den Verfahrensweg.

„Die Prüfung eines neuen Tunnels im spurgeführten Verkehr in Ost-West-Richtung in Leipzig ist bereits ein Prüfauftrag aus dem aktuellen Nahverkehrsplan des ZVNL.“

Der Prüfauftrag ist so formuliert: „Sollte in den nächsten Jahren eine Einwohnerentwicklung in Leipzig und dem Umland entsprechend der hohen Prognose zu verzeichnen sein, sollte geprüft werden, ob und wie ein solcher Tunnel in das bestehende Eisenbahnnetz eingebunden werden kann. Dabei ist zu untersuchen, welche SPNV-Kapazitäten zur wirtschaftlichen Ausgestaltung dieser Infrastrukturanlage zu planen und zu bestellen wären und wie dann das bestehende SPNV-System unter Beachtung der effizienten Steigerung der SPNV-Nutzung zu ergänzen wäre.“

Freilich steht jetzt auch fest, dass der Prüfauftrag noch gar nicht erteilt ist, wie das Mobilitäts- und Tiefbauamt mitteilt: „Aufgrund des außerordentlich hohen Arbeitsaufwands für die Prüfung eines neuen Tunnels, insbesondere auch vor dem Hintergrund einer notwendigen Einbeziehung der verschiedenen Akteure wie der DB AG, soll die Bearbeitung unter der Beteiligung eines fachlich versierten Planungsbüros erfolgen. Eine Bearbeitung beim ZVNL könnte hier in Abhängigkeit der finanziellen und personellen Ressourcen in 2025 beginnen, wobei dies voraussichtlich ein Jahr in Anspruch nehmen wird.

Die Stadt wird dabei vom ZVNL nicht zuletzt über die verschiedensten Gremien in die Erstellung der Ausschreibungsunterlagen und der nachfolgenden Bearbeitung der Studie eng mit einbezogen. So wird sichergestellt, dass die städtischen Ziele Berücksichtigung finden. Aufgrund der Komplexität dieses Vorhabens muss es dabei zwingend im mitteldeutschen Kontext unter Einbeziehung aller relevanten Akteure betrachtet werden.“

Das hat der Stadtrat gar nicht beschlossen

Und erst dann ergäben irgendwelche weiteren Schritte Sinn, wenn überhaupt. Das Mobilitäts- und Tiefbauamt dazu: „In Abhängigkeit der Studienergebnisse ist eine erste sachlich fundierte Einschätzung für den weiteren Umgang mit dem Projekt abzuleiten. Erst die Erkenntnisse aus dieser ersten Studie und gegebenenfalls nachfolgende weiterführende vertiefende Untersuchungen ermöglichen eine umfassende Nutzen-Kosten-Untersuchung (NKU). Diese Untersuchung bildet die wesentliche Grundlage zur Feststellung der Förderwürdigkeit und somit der Realisierbarkeit des Gesamtvorhabens.“

Und dann müssen sich ganz andere Projektpartner finden, die das Milliarden-Projekt dann möglicherweise umsetzen: „In Abhängigkeit dieser Ergebnisse bedarf es im Anschluss einer gemeinsamen Entscheidung zum weiteren Vorgehen zwischen Staatsregierung, Bundesregierung, DB InfraGO AG, ZVNL und Stadt Leipzig. Im Regierungsprogramm der Sächsischen Union 2024–2029 ist die Maßnahme auch bereits enthalten – inwiefern diese auch Teil des neuen Koalitionsvertrages geworden ist, ist aktuell nicht bekannt.

Aufgrund der Komplexität dieses Vorhabens und des Planungsaufwandes könnte sich die Gründung einer Planungsgesellschaft für einen zweiten City-Tunnel ‚Ost-West‘ ggf. als sinnvoll erweisen. Die dafür notwendigen Mittel würden dann jedoch auch eine ganz andere Größenordnung als die beantragten 25.000 € erreichen (Kosten für die Gründung einer Gesellschaft selbst, sowie u.a. Kosten für Gehälter, Miete und die Durchführung notwendiger Fachplanungen).“

Die Baukosten für einen zweiten City-Tunnel liegen übrigens in einer völlig anderen Dimension als die für den (ersten) City-Tunnel. Das konnte, wer wollte, 2018 dem „Gemeinschafts-Szenario“ entnehmen, mit dem die Stadtverwaltung der Ratsversammlung damals ein „hochattraktives ÖPNV-Angebot“ vorschlug. Dieses Szenario aber hat die Ratsversammlung damals nicht beschlossen, sondern das „Nachhaltigkeits-Szenario“, das unter anderem 800 bis 900 Millionen Euro zusätzliche Investitionen in den ÖPNV vorsieht.

Die damals hochgerechneten Kosten für einen Ost-West-Tunnel bezifferte die Vorlage für den Stadtrat mit 2,6 Milliarden Euro. Eine Zahl, die im Jahr 2025 längst utopisch ist. Bei den gestiegene Baupreisen wird man da wohl eher von 4 bis 5 Milliarden Euro ausgehen können. Und genau da greift die Kosten-Nutzen-Analyse, die noch nicht vorliegt.

Hat so eine Investition überhaupt den gewünschten Effekt oder wäre das Geld an anderer Stelle – für neues Zugmaterial, neue S-Bahn-Verbindungen (bspw. Richtung Merseburg) und mehr Haltestellen im S-Bahn-Netz (Stichwort Güterverkehrszentrum) nicht viel wirksamer eingesetzt? Und: Wer soll das bezahlen? Alles offene Fragen, die erst eine grundsätzliche Untersuchung zur Sinnhaftigkeit des zweiten City-Tunnels klären kann.

Aus guten Gründen hat die Verwaltung deshalb eine Ablehnung des CDU-Haushaltsantrags empfohlen.

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Es gibt 6 Kommentare

@fra
Die S-Bahn ist eine Stadt- und Vorortbahn. Als solche ist sie vor 100 Jahren in Berlin gegründet worden.
Die Leipziger S-Bahn ist allerdings eine klassische Regionalbahn – so wie in Nürnberg auch. Es verkauft sich allerdings nicht so gut.
In die standardisierte Bewertung fließen selbstverständlich auch die eingesparten PKW-Kilometer mit ein. Da sollte man sich aber auch nicht so viel vormachen. Markkleeberg hat 6 Fahrten/Stunde und Richtung – also ungefähr einen 10er Takt. Die Nutzung der S-Bahn in Markkleeberg ist dennoch unterirdisch gering. Es ist trotz Citytunnel und der damit deutlichen Verringerung der Fahrtzeiten im Südraum nicht gelungen nennenswert Fahrgäste hinzuzugewinnen. Lediglich in Richtung Torgau, Delitzsch und Halle hat man heute deutlich mehr Fahrgäste. Aber: Die Fahrgastzahlen sind nur zwischen Leipzig Hauptbahnhof und Torgau/Delitzsch/Halle deutlich höher. Heißt: Eigentlich hat der Tunnel hier nicht viel bewirkt wie man sich das damals dachte. 2019 fuhren durch den Tunnel täglich 20.000 Fahrgäste. Geplant waren 81.000/Tag. Mit den neuen Fahrzeugen werden es sicherlich ein paar mehr als noch 2019, weil dann auch die Gefäße größer sind, aber von den 81.000/Tag wird man auch im Jahr 2030 noch sehr weit weg sein.
Statt eines neuen Tunnels könnte man übrigens auch die Taktung im Tunnel erhöhen. Ein 4-Minuten-Takt ermöglicht 15 Fahrten/Stunde durch den Tunnel – also einen echten S-Bahntakt für 5 Linien. Mit Umstellung auf ETCS könnte man auch einen 3-Minuten-Takt im Tunnel fahren, sodass sogar 20 Fahrten/Stunde möglich wären. In München gilt regulär ein 2-Minuten-Takt im S-Bahntunnel. Statt eines neuen Tunnels würde man sicherlich eher die Taktung erhöhen. Aber schon dafür fehlt das Geld.

@TLpz:
“Da würde es erstmal reichen, entsprechende S-Bahn-taugliche Gefäßgrößen anzubieten.”
Da gebe ich Ihnen Recht, das würde als Workaround wohl helfen.
Denn bei den als S-Bahn bezeichneten Zügen, dürfte es sich wohl mehr um Vorortzüge handeln. Da ihre Verweildauer in den Stationen für einen verdichten Takt viel zu lang ist.

@fra
Da würde es erstmal reichen, entsprechende S-Bahn-taugliche Gefäßgrößen anzubieten. Gerade auf der Relation Halle – Leipzig. Und der Weg von Merseburg über Gohlis ist nicht viel länger als über Plagwitz in einem angedachten Tunnel. Und außer Merseburg gibt es im Westen nicht wirklich viele nennenswerte Ziele…

@Thomas_2
Ähm, natürlich hat man die 5 Milliarden nicht. Also nicht auf dem Konto. Aber wenn man ein solches Projekt durchführen würde, müsste man diese von den Einnahmen abzwacken. Das sollte bekannt sein, oder?
Eine grobe Kostenabschätzung kann man schon machen, hergeleitet aus dem ersten Tunnel, den groben Ideen für den 2. Tunnel und den gestiegenen Baukosten. Und da braucht man eigentlich keine tiefergehende Prüfung um festzustellen, das ein solcher Tunnel (aktuell) nicht sinnvoll ist.

Um die Anzahl der PKW-Pendler signifikant zu senken ist eine Stärkung des S-Bahnverkehr schon sinnvoll. Vielleicht sollte man die Senkung des PKW-Verkehr mit in die Kosten-Nutzen-Analyse einbeziehen. Was die neue S-Bahn-Verbindungen von Merseburg an geht von Ost erst nach Nord um dann den City-Tunnel zu nutzen (sehr effizient). Jedenfalls sind die jetzigen S-Bahnen in den Stoßzeiten schon überfüllt. Letztens erst eine S5X nach Halle gesehen, wo explizit die Mitnahme von Fahrrädern unterbunden wurde. War zu voll.

Also wie jetzt, man hat noch keine Kostenschätzung, aber die Kostenschätzung liegt schon einmal bei 5 Milliarden?
Man kennt die vermutlichen Auswirkungen des Baus nicht (logisch), will die aber auch nicht eruieren?
Die kolportieren 5 Milliarden wären also besser angelegt. Aha, ich dachte, wir haben die gar nicht?
Komischer Artikel.

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