Den Abschluss unserer Interview-Reihe mit einigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der Stadt Leipzig bildet heute Vicki Felthaus. Die Grünen-Politikerin zeichnet für die Ressorts Jugend, Schule und Demokratie verantwortlich. Im Gespräch blickt sie unter anderem zurück auf neu gebaute Schulen, die Auswirkungen frei werdender Kita-Plätze und die Bedeutung der kostenintensiven Hilfen zur Erziehung.

Thema Schule: Sieben Großprojekte in einem Jahr abgeschlossen

„Wir haben ein Jahr hinter uns, das wiederholt man nicht so schnell wieder – wenn man zuständig ist als Schulträger“, leitet Vicki Felthaus lächelnd ein. Gleich sieben Großprojekte konnte die Stadt erfolgreich abschließen: Vier Schulen wurden neu gebaut, drei Schulen saniert.

Im neuen Glanz erstrahlen daher nun die Heinrich-Mann-Grundschule, das Schulzentrum Grünau, die Quartiersschule Ihmelsstraße, Johanna-Moosdorf-Schule, Marie-Curie-Schule, Schule Hauptbahnhof-Westseite (Löwitz Quartier) und die Oberschule Hainbuchenstraße.

Felthaus freut dabei, dass damit verschiedene Stadtteile, auch an der Peripherie, mit modernen Schulgebäuden bedacht wurden und es sich nicht nur aufs Zentrum konzentriert. „Das ist natürlich ein großer Erfolg, dass wir sieben große Projekte beenden konnten“, sagt die Bürgermeisterin, „wir sind aber leider noch nicht fertig“.

Personengruppe.
Symbolische Schlüsselübergabe mit Burkhard Jung (Oberbürgermeister der Stadt Leipzig). Eröffnung der Schule Hauptbahnhof Westseite (Gymnasium) im neu entstehenden Löwitz-Quartier am 23.08.2024. Foto: Jan Kaefer

Rund die Hälfte der Schulen noch teil- oder unsaniert

Denn Leipzig hat nach wie vor einen sehr hohen Bestand an sanierungsbedürftigen Schulgebäuden. Während der Neubau etwa 10–11 Prozent des Schulbestandes ausmacht, sind noch rund die Hälfte aller Gebäude teil- oder unsaniert. Deshalb ist im aktuellen Haushaltsentwurf weiterhin ein sehr hohes Budget vor allem für die Sanierung von Leipziger Schulen veranschlagt.

Händeringend auf eine baldige Sanierung hofft man längst auch an der Paul-Robeson-Schule. Vertreter der Oberschule in Wahren/Lindenthal machten erst kürzlich im Rahmen der Stadtratssitzung eindringlich auf die schwierige Lage vor Ort aufmerksam. Im Nachgang trafen sich Vicki Felthaus und weitere Kommunalpolitiker mit Vertretern der Schule, des Schülerrats und der Elternschaft. In den Gesprächen, so die Bürgermeisterin, sei die Möglichkeit und Realisierbarkeit einer Teilauslagerung während der Sanierung diskutiert worden.

Denn das Hauptproblem bei einer grundlegenden Sanierung stellt immer wieder die Frage dar: Wohin mit den hunderten Schülerinnen und Schülern während der Baumaßnahmen? Passende Auslagerungsobjekte sind meist nicht vorhanden. Die Stadt geht daher in diesen Fällen häufig dazu über, mittels Modulbauweise temporär entsprechende „Übergangsschulen“ zu errichten. Das Wichtigste sei erstmal, alle Schüler irgendwie unterzukriegen.

„Unsere Schulen sind sehr voll“, weiß Vicki Felthaus. „Im Moment sind so viele Schülerinnen und Schüler in Leipzig eingeschult, wie nach der Wende nie wieder“. Besonders gut gefüllt sind dabei aktuell die 1. und 2. Klassen. Der sogenannte Geburtenknick, der sich momentan bereits im Kita-Bereich bemerkbar macht, wird an den Schulen erst in ein paar Jahren zu spüren sein. Doch das sei in der mittelfristigen Schulbaustrategie bereits berücksichtigt, versichert die Bürgermeisterin.

Vicki Felthaus (Bürgermeisterin für Jugend, Schule und Demokratie). Eröffnung der Johanna-Moosdorf-Schule (Gymnasium) in der Philipp-Rosenthal-Straße am 22.08.2024. Foto: Jan Kaefer
Vicki Felthaus (Bürgermeisterin für Jugend, Schule und Demokratie). Eröffnung der Johanna-Moosdorf-Schule (Gymnasium) in der Philipp-Rosenthal-Straße am 22.08.2024. Foto: Jan Kaefer

CDU-Fraktion will bei Schulen kürzen

Mit Blick auf den in Kürze zu beschließenden Doppelhaushalt für die nächsten beiden Jahre, will die Leipziger CDU-Fraktion bei den Schulen allerdings die Säge ansetzen. Millionen Euro sollen dadurch gespart werden, dass für neue Schulen fortan ein „mittlerer Standard“ angesetzt würde. Zudem solle möglichst auf Architekturwettbewerbe verzichtet werden.

Gegen eine Einsparung von Baukosten hat Bürgermeisterin Felthaus grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden. Doch sie macht deutlich, dass sich seit dem sächsischen Raumprogramm von 1993 die Ansprüche an moderne Schulgebäude deutlich verändert haben. Das betrifft unter anderem Themen wie Barrierefreiheit, Fassadenbegrünung oder Photovoltaik-Anlagen. „Die Zeit hat sich weitergedreht“, so Felthaus.

Sie macht zudem auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: „Wenn man eine sehr hochwertige Schule baut oder saniert, hat man anschließend auch weniger Unterhaltungskosten“. Getreu dem Motto: Wer billig baut, baut zweimal. Vicki Felthaus plädiert dafür, für jeden Standort einzeln, nach den jeweiligen Bedingungen vor Ort zu entscheiden – und vor allem, miteinander im Gespräch zu bleiben.

Thema Kita: „Geburteneinbruch“ eröffnet Möglichkeiten

Während in den Schulen die Kapazitäten noch immer voll ausgereizt sind, ist in den Kindertageseinrichtungen (Kitas) bereits etwas Druck aus dem Kessel. Hier machen sich die deutlich gesunkenen Geburtenzahlen bemerkbar. „Die letzten beiden Jahre waren geprägt von einem Geburteneinbruch“, beschreibt Vicki Felthaus. Nur jeweils rund 5.000 neue Erdenbürger haben da in Leipzig das Licht der Welt erblickt. „Deutlich weniger, als die Demografen im Land erwartet hätten“. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 hatte die Geburtenzahl in der Stadt mit knapp 7.000 den höchsten Stand erreicht. Seitdem ging es stetig abwärts.

Die Folge: Leipzig verfügt nun über mehr Kita-Plätze als aktuell benötigt. Das, so Felthaus, versetze Eltern jetzt in die Lage, ihr Wunsch- und Wahlrecht auszuüben. Sie können sich leichter eine Kita aussuchen und sich für das am besten passende Konzept entscheiden. Allerdings gebe es dabei durchaus noch regionale Unterschiede in der Angebotsdichte.

„Das ist doch eine gute Situation, die wir gerade haben als Stadt“, sagt Vicki Felthaus. „Wir haben genügend Kita-Plätze und können jetzt erstens die Qualitätsentwicklung voranbringen, zweitens müssen wir nicht mehr jeden Platz besetzen, und drittens können wir die sehr großen Einrichtungen in der Kapazität reduzieren.“

Bedeutet: Die Stadt trennt sich von Liegenschaften, die sehr alt beziehungsweise schlecht ausgelastet sind. Um die 1.300 Plätze sollen dadurch vorerst heruntergefahren werden. Sollte der Bedarf dann doch wieder steigen, könnten benötigte Plätze leichter wieder aktiviert werden.

Unterschriftenübergabe der Kita „Villa Kunterbunt“ vor dem Leipziger Stadtrat am 22.05.24. Foto: Jan Kaefer
Unterschriftenübergabe der Kita „Villa Kunterbunt“ vor dem Leipziger Stadtrat am 22.05.24. Foto: Jan Kaefer

Zahl der Kinder mit Förderbedarf steigt

Der Bürgermeisterin war es zudem wichtig, auf eine besondere Entwicklung hinzuweisen: „Wir haben mehr Kinder mit einem Förderbedarf – sowohl in den Schulen als auch in den Kindertageseinrichtungen“. Denn für Kinder mit heilpädagogischem oder integrativem Bedarf ist mehr Platz erforderlich. Heißt: weniger Kinder pro Gruppe. Diesem Bedarf kann jetzt besser entsprochen werden.

Der aber wohl größte Wunsch, der mit den frei werdenden Kita-Plätzen einhergeht, ist die Verbesserung des Personalschlüssels in den Einrichtungen. Darüber, dass das sinnvoll wäre, sind sich Eltern, Fachkräfte und Stadtverwaltung weitestgehend einig. Doch Vicki Felthaus weist auf ein grundlegendes Problem hin.

Denn ein besserer Personalschlüssel kann nur über die Landesebene realisiert werden. Die Kosten wären für die Kommune alleine schlicht nicht zu stemmen. Deren Finanzierungsanteil beträgt inzwischen fast 60 Prozent. Dazu muss man wissen: Der Betrieb aller Kitas samt Personal kostet insgesamt rund 300 Millionen Euro pro Jahr. Das ist viel Holz.

Aus dieser Perspektive erscheint es folgerichtig, dass die Verwaltung für den kommenden Doppelhaushalt eine Erhöhung der Kita-Beiträge vorgeschlagen hat – konträr zum bisherigen Wunsch des Stadtrates. „Wir sind, was unsere Beiträge für Kita betrifft, aber auf einem relativ niedrigen Niveau – sowohl im sächsischen Vergleich als auch im bundesweiten Vergleich ohnehin“, ordnet Bürgermeisterin Felthaus ein.

Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Christian Piwarz (Sächsischer Staatsminister für Kultus) beim Besuch des Froebel-Integrationskindergartens Elsterbecken, 25.07.2024. Foto: Jan Kaefer
Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Christian Piwarz (damaliger Sächsischer Staatsminister für Kultus) beim Besuch des Froebel-Integrationskindergartens Elsterbecken, 25.07.2024. Foto: Jan Kaefer

Thema Jugendhilfe: „Hilfen zur Erziehung“ teuer aber wichtig

Fast 200 Millionen Euro steckt die Stadt Leipzig in die „Hilfen zur Erziehung“, wie sie im Paragraph 27 des dafür zuständigen 8. Sozialgesetzbuches (SGB VIII) definiert sind. Dass das eine sehr hohe Summe ist, weiß auch Vicki Felthaus.

Aber die Bürgermeisterin macht auch deutlich: „Das ist Geld, das wir in Kinderschutz stecken, in stationäre Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern leben können, in teilstationäre Angebote und in ambulante Familienhilfen und Eingliederungshilfen“. Demzufolge gehe es letztlich, so Felthaus, „immer um Kinder und Jugendliche, die unsere Unterstützung brauchen“.

Das Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 hat folgerichtig auch in Leipzig die Zahl der zu unterstützenden Fälle erheblich gesteigert. „Die Fallzahlen im Bereich Hilfen zu Erziehung sind sehr angestiegen, weil man sich als Deutschland dazu entschieden hat, hinzuschauen, was passiert in den Familien, was passiert mit den Kindern“, erklärt Vicki Felthaus.

Dadurch sind einerseits mehr Kinderschutzkonzepte entstanden, andererseits verzeichnet man in Schule, Kita oder ASD eine höhere Aufmerksamkeit für eben diese Thematik. Aber: „Mittlerweile steigen die Fallzahlen nur noch moderat an. Und auch unsere Kosten in diesen klassischen Hilfen zur Erziehung steigen nicht mehr an, sinken sogar ein bisschen. Das heißt: Wir sind jetzt über diesen hohen Berg drüber“, resümiert Bürgermeisterin Felthaus.

ALARMSTUFE ROT! Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen (GEW) hat für den 20.09.2024 zum Kita-Aktionstag in Leipzig aufgerufen. Foto: Jan Kaefer
ALARMSTUFE ROT! Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen (GEW) hat für den 20.09.2024 zum Kita-Aktionstag in Leipzig aufgerufen. Foto: Jan Kaefer

Bund und Land lassen Leipzig bei HzE im Regen stehen

Dass die Kosten dennoch sehr hoch sind, hat auch damit zu tun, dass 90 Prozent des Budgets auf Personalkosten entfallen. „Das Gesamtbudget ist unglaublich viel Geld, ich weiß. Wir haben es aber geschafft, in den letzten Jahren eine gewisse Konsolidierung zu erreichen, durch mehr Steuerung“, berichtet Vicki Felthaus.

Heißt: Mehr Pflegefamilien gewinnen und bei den Trägern genauer hinschauen, wie lange eine Hilfe bewilligt wird. Fakt ist aber auch, dass auf der Bundesebene die Hilfen des SGB VIII ausgeweitet wurden. Dadurch erfahren die über 18-Jährigen mehr Unterstützung, was jedoch die Fallzahlen und Ausgaben erhöht. Als weitere Herausforderung kommt ab spätestens 2028 auch auf Leipzig zu, dass sämtliche Kosten für Kinder mit Behinderungen im Jugendhilfesektor durch die Kommunen getragen werden sollen.

Vermutlich nicht nur aus Sicht von Vicki Felthaus kann das nicht die optimale Verfahrensweise sein: „Ich finde das fachlich richtig, zu entscheiden, dass alles aus einer Hand passieren wird. Aber trotzdem gibt es im Bereich der Hilfen zur Erziehung das Konnexitätsprinzip praktisch nicht. Was besagt: Wer bestellt, der zahlt“. Doch in Sachen Kinderschutz und HzE halten sich Bund und Land finanziell dezent zurück. „Dieses Geld kommt fast ausschließlich aus dem Haushalt der Stadt Leipzig“, bemängelt Bürgermeisterin Felthaus. „Das ist eine Situation, die sich ändern muss!“

Immerhin: Nach einer Strukturumstellung gibt es im Allgemeinen Sozialdienst (ASD) jetzt eine deutlich geringere Fallzahlbelastung. Diese ist von 70 Fällen pro Sozialarbeiter auf 40 Fälle gesunken. Das schafft mehr Zeit, um mit den Familien arbeiten zu können.

Um wie viel Prozent die Ausgaben für die Bereitstellung von Schulbegleitern gestiegen sind, warum der reflektierte Umgang mit den Sozialen Medien wichtig ist, um gegen politischen Extremismus besser gewappnet zu sein, welches persönliche Fazit Vicki Felthaus zum vergangenen Jahr zieht und noch einiges mehr, erfahren Sie im folgenden ausführlichen Video zum Interview.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Jan Kaefer über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar