Den Abschluss unserer Interview-Reihe mit einigen Bรผrgermeisterinnen und Bรผrgermeistern der Stadt Leipzig bildet heute Vicki Felthaus. Die Grรผnen-Politikerin zeichnet fรผr die Ressorts Jugend, Schule und Demokratie verantwortlich. Im Gesprรคch blickt sie unter anderem zurรผck auf neu gebaute Schulen, die Auswirkungen frei werdender Kita-Plรคtze und die Bedeutung der kostenintensiven Hilfen zur Erziehung.
Thema Schule: Sieben Groรprojekte in einem Jahr abgeschlossen
โWir haben ein Jahr hinter uns, das wiederholt man nicht so schnell wieder โ wenn man zustรคndig ist als Schultrรคgerโ, leitet Vicki Felthaus lรคchelnd ein. Gleich sieben Groรprojekte konnte die Stadt erfolgreich abschlieรen: Vier Schulen wurden neu gebaut, drei Schulen saniert.
Im neuen Glanz erstrahlen daher nun die Heinrich-Mann-Grundschule, das Schulzentrum Grรผnau, die Quartiersschule Ihmelsstraรe, Johanna-Moosdorf-Schule, Marie-Curie-Schule, Schule Hauptbahnhof-Westseite (Lรถwitz Quartier) und die Oberschule Hainbuchenstraรe.
Felthaus freut dabei, dass damit verschiedene Stadtteile, auch an der Peripherie, mit modernen Schulgebรคuden bedacht wurden und es sich nicht nur aufs Zentrum konzentriert. โDas ist natรผrlich ein groรer Erfolg, dass wir sieben groรe Projekte beenden konntenโ, sagt die Bรผrgermeisterin, โwir sind aber leider noch nicht fertigโ.

Rund die Hรคlfte der Schulen noch teil- oder unsaniert
Denn Leipzig hat nach wie vor einen sehr hohen Bestand an sanierungsbedรผrftigen Schulgebรคuden. Wรคhrend der Neubau etwa 10โ11 Prozent des Schulbestandes ausmacht, sind noch rund die Hรคlfte aller Gebรคude teil- oder unsaniert. Deshalb ist im aktuellen Haushaltsentwurf weiterhin ein sehr hohes Budget vor allem fรผr die Sanierung von Leipziger Schulen veranschlagt.
Hรคnderingend auf eine baldige Sanierung hofft man lรคngst auch an der Paul-Robeson-Schule. Vertreter der Oberschule in Wahren/Lindenthal machten erst kรผrzlich im Rahmen der Stadtratssitzung eindringlich auf die schwierige Lage vor Ort aufmerksam. Im Nachgang trafen sich Vicki Felthaus und weitere Kommunalpolitiker mit Vertretern der Schule, des Schรผlerrats und der Elternschaft. In den Gesprรคchen, so die Bรผrgermeisterin, sei die Mรถglichkeit und Realisierbarkeit einer Teilauslagerung wรคhrend der Sanierung diskutiert worden.
Denn das Hauptproblem bei einer grundlegenden Sanierung stellt immer wieder die Frage dar: Wohin mit den hunderten Schรผlerinnen und Schรผlern wรคhrend der Baumaรnahmen? Passende Auslagerungsobjekte sind meist nicht vorhanden. Die Stadt geht daher in diesen Fรคllen hรคufig dazu รผber, mittels Modulbauweise temporรคr entsprechende โรbergangsschulenโ zu errichten. Das Wichtigste sei erstmal, alle Schรผler irgendwie unterzukriegen.
โUnsere Schulen sind sehr vollโ, weiร Vicki Felthaus. โIm Moment sind so viele Schรผlerinnen und Schรผler in Leipzig eingeschult, wie nach der Wende nie wiederโ. Besonders gut gefรผllt sind dabei aktuell die 1. und 2. Klassen. Der sogenannte Geburtenknick, der sich momentan bereits im Kita-Bereich bemerkbar macht, wird an den Schulen erst in ein paar Jahren zu spรผren sein. Doch das sei in der mittelfristigen Schulbaustrategie bereits berรผcksichtigt, versichert die Bรผrgermeisterin.

CDU-Fraktion will bei Schulen kรผrzen
Mit Blick auf den in Kรผrze zu beschlieรenden Doppelhaushalt fรผr die nรคchsten beiden Jahre, will die Leipziger CDU-Fraktion bei den Schulen allerdings die Sรคge ansetzen. Millionen Euro sollen dadurch gespart werden, dass fรผr neue Schulen fortan ein โmittlerer Standardโ angesetzt wรผrde. Zudem solle mรถglichst auf Architekturwettbewerbe verzichtet werden.
Gegen eine Einsparung von Baukosten hat Bรผrgermeisterin Felthaus grundsรคtzlich natรผrlich nichts einzuwenden. Doch sie macht deutlich, dass sich seit dem sรคchsischen Raumprogramm von 1993 die Ansprรผche an moderne Schulgebรคude deutlich verรคndert haben. Das betrifft unter anderem Themen wie Barrierefreiheit, Fassadenbegrรผnung oder Photovoltaik-Anlagen. โDie Zeit hat sich weitergedrehtโ, so Felthaus.
Sie macht zudem auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: โWenn man eine sehr hochwertige Schule baut oder saniert, hat man anschlieรend auch weniger Unterhaltungskostenโ. Getreu dem Motto: Wer billig baut, baut zweimal. Vicki Felthaus plรคdiert dafรผr, fรผr jeden Standort einzeln, nach den jeweiligen Bedingungen vor Ort zu entscheiden โ und vor allem, miteinander im Gesprรคch zu bleiben.
Thema Kita: โGeburteneinbruchโ erรถffnet Mรถglichkeiten
Wรคhrend in den Schulen die Kapazitรคten noch immer voll ausgereizt sind, ist in den Kindertageseinrichtungen (Kitas) bereits etwas Druck aus dem Kessel. Hier machen sich die deutlich gesunkenen Geburtenzahlen bemerkbar. โDie letzten beiden Jahre waren geprรคgt von einem Geburteneinbruchโ, beschreibt Vicki Felthaus. Nur jeweils rund 5.000 neue Erdenbรผrger haben da in Leipzig das Licht der Welt erblickt. โDeutlich weniger, als die Demografen im Land erwartet hรคttenโ. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 hatte die Geburtenzahl in der Stadt mit knapp 7.000 den hรถchsten Stand erreicht. Seitdem ging es stetig abwรคrts.
Die Folge: Leipzig verfรผgt nun รผber mehr Kita-Plรคtze als aktuell benรถtigt. Das, so Felthaus, versetze Eltern jetzt in die Lage, ihr Wunsch- und Wahlrecht auszuรผben. Sie kรถnnen sich leichter eine Kita aussuchen und sich fรผr das am besten passende Konzept entscheiden. Allerdings gebe es dabei durchaus noch regionale Unterschiede in der Angebotsdichte.
โDas ist doch eine gute Situation, die wir gerade haben als Stadtโ, sagt Vicki Felthaus. โWir haben genรผgend Kita-Plรคtze und kรถnnen jetzt erstens die Qualitรคtsentwicklung voranbringen, zweitens mรผssen wir nicht mehr jeden Platz besetzen, und drittens kรถnnen wir die sehr groรen Einrichtungen in der Kapazitรคt reduzieren.โ
Bedeutet: Die Stadt trennt sich von Liegenschaften, die sehr alt beziehungsweise schlecht ausgelastet sind. Um die 1.300 Plรคtze sollen dadurch vorerst heruntergefahren werden. Sollte der Bedarf dann doch wieder steigen, kรถnnten benรถtigte Plรคtze leichter wieder aktiviert werden.

Zahl der Kinder mit Fรถrderbedarf steigt
Der Bรผrgermeisterin war es zudem wichtig, auf eine besondere Entwicklung hinzuweisen: โWir haben mehr Kinder mit einem Fรถrderbedarf โ sowohl in den Schulen als auch in den Kindertageseinrichtungenโ. Denn fรผr Kinder mit heilpรคdagogischem oder integrativem Bedarf ist mehr Platz erforderlich. Heiรt: weniger Kinder pro Gruppe. Diesem Bedarf kann jetzt besser entsprochen werden.
Der aber wohl grรถรte Wunsch, der mit den frei werdenden Kita-Plรคtzen einhergeht, ist die Verbesserung des Personalschlรผssels in den Einrichtungen. Darรผber, dass das sinnvoll wรคre, sind sich Eltern, Fachkrรคfte und Stadtverwaltung weitestgehend einig. Doch Vicki Felthaus weist auf ein grundlegendes Problem hin.
Denn ein besserer Personalschlรผssel kann nur รผber die Landesebene realisiert werden. Die Kosten wรคren fรผr die Kommune alleine schlicht nicht zu stemmen. Deren Finanzierungsanteil betrรคgt inzwischen fast 60 Prozent. Dazu muss man wissen: Der Betrieb aller Kitas samt Personal kostet insgesamt rund 300 Millionen Euro pro Jahr. Das ist viel Holz.
Aus dieser Perspektive erscheint es folgerichtig, dass die Verwaltung fรผr den kommenden Doppelhaushalt eine Erhรถhung der Kita-Beitrรคge vorgeschlagen hat โ kontrรคr zum bisherigen Wunsch des Stadtrates. โWir sind, was unsere Beitrรคge fรผr Kita betrifft, aber auf einem relativ niedrigen Niveau โ sowohl im sรคchsischen Vergleich als auch im bundesweiten Vergleich ohnehinโ, ordnet Bรผrgermeisterin Felthaus ein.

Thema Jugendhilfe: โHilfen zur Erziehungโ teuer aber wichtig
Fast 200 Millionen Euro steckt die Stadt Leipzig in die โHilfen zur Erziehungโ, wie sie im Paragraph 27 des dafรผr zustรคndigen 8. Sozialgesetzbuches (SGB VIII) definiert sind. Dass das eine sehr hohe Summe ist, weiร auch Vicki Felthaus.
Aber die Bรผrgermeisterin macht auch deutlich: โDas ist Geld, das wir in Kinderschutz stecken, in stationรคre Einrichtungen fรผr Kinder und Jugendliche, die nicht mehr bei ihren Eltern leben kรถnnen, in teilstationรคre Angebote und in ambulante Familienhilfen und Eingliederungshilfenโ. Demzufolge gehe es letztlich, so Felthaus, โimmer um Kinder und Jugendliche, die unsere Unterstรผtzung brauchenโ.
Das Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 hat folgerichtig auch in Leipzig die Zahl der zu unterstรผtzenden Fรคlle erheblich gesteigert. โDie Fallzahlen im Bereich Hilfen zu Erziehung sind sehr angestiegen, weil man sich als Deutschland dazu entschieden hat, hinzuschauen, was passiert in den Familien, was passiert mit den Kindernโ, erklรคrt Vicki Felthaus.
Dadurch sind einerseits mehr Kinderschutzkonzepte entstanden, andererseits verzeichnet man in Schule, Kita oder ASD eine hรถhere Aufmerksamkeit fรผr eben diese Thematik. Aber: โMittlerweile steigen die Fallzahlen nur noch moderat an. Und auch unsere Kosten in diesen klassischen Hilfen zur Erziehung steigen nicht mehr an, sinken sogar ein bisschen. Das heiรt: Wir sind jetzt รผber diesen hohen Berg drรผberโ, resรผmiert Bรผrgermeisterin Felthaus.

Bund und Land lassen Leipzig bei HzE im Regen stehen
Dass die Kosten dennoch sehr hoch sind, hat auch damit zu tun, dass 90 Prozent des Budgets auf Personalkosten entfallen. โDas Gesamtbudget ist unglaublich viel Geld, ich weiร. Wir haben es aber geschafft, in den letzten Jahren eine gewisse Konsolidierung zu erreichen, durch mehr Steuerungโ, berichtet Vicki Felthaus.
Heiรt: Mehr Pflegefamilien gewinnen und bei den Trรคgern genauer hinschauen, wie lange eine Hilfe bewilligt wird. Fakt ist aber auch, dass auf der Bundesebene die Hilfen des SGB VIII ausgeweitet wurden. Dadurch erfahren die รผber 18-Jรคhrigen mehr Unterstรผtzung, was jedoch die Fallzahlen und Ausgaben erhรถht. Als weitere Herausforderung kommt ab spรคtestens 2028 auch auf Leipzig zu, dass sรคmtliche Kosten fรผr Kinder mit Behinderungen im Jugendhilfesektor durch die Kommunen getragen werden sollen.
Vermutlich nicht nur aus Sicht von Vicki Felthaus kann das nicht die optimale Verfahrensweise sein: โIch finde das fachlich richtig, zu entscheiden, dass alles aus einer Hand passieren wird. Aber trotzdem gibt es im Bereich der Hilfen zur Erziehung das Konnexitรคtsprinzip praktisch nicht. Was besagt: Wer bestellt, der zahltโ. Doch in Sachen Kinderschutz und HzE halten sich Bund und Land finanziell dezent zurรผck. โDieses Geld kommt fast ausschlieรlich aus dem Haushalt der Stadt Leipzigโ, bemรคngelt Bรผrgermeisterin Felthaus. โDas ist eine Situation, die sich รคndern muss!โ
Immerhin: Nach einer Strukturumstellung gibt es im Allgemeinen Sozialdienst (ASD) jetzt eine deutlich geringere Fallzahlbelastung. Diese ist von 70 Fรคllen pro Sozialarbeiter auf 40 Fรคlle gesunken. Das schafft mehr Zeit, um mit den Familien arbeiten zu kรถnnen.
Um wie viel Prozent die Ausgaben fรผr die Bereitstellung von Schulbegleitern gestiegen sind, warum der reflektierte Umgang mit den Sozialen Medien wichtig ist, um gegen politischen Extremismus besser gewappnet zu sein, welches persรถnliche Fazit Vicki Felthaus zum vergangenen Jahr zieht und noch einiges mehr, erfahren Sie im folgenden ausfรผhrlichen Video zum Interview.
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