Einige Parteien sind längst im Wahlkampfmodus und versuchen auch im Leipziger Stadtrat ihre Themen zu setzen. So wie die CDU, deren Spitzenvertreter schon mehrfach betont haben, dass Migration ihr wichtigstes Wahlkampfthema wäre. Womit freilich eine noch stärkere Abschottung und noch mehr Abschiebungen gemeint sind. Ein Thema, das die Leipziger CDU-Fraktion in einer Stadtratsanfrage sammelte. CDU-Stadtrat Lucas Schopphoven hatte da am 18. Dezember noch ein paar Nachfragen.

Auch wenn schon die Antworten aus dem Ordnungsamt deutlich gemacht hatten, dass man dort nicht alle Zahlen zu dem die CDU so bewegenden Thema hat. Ganz zu schweigen davon, dass die Hauptaufgabe der Leipziger Ausländerbehörde nun gerade nicht darin besteht, fortwährend neue Abschiebungen vorzubereiten, wie sich das konservative Politiker immer so gern vorstellen.

Tatsächlich sind es nur vier von insgesamt 124 Mitarbeiter/-innen der Leipziger Ausländerbehörde, die sich darum kümmern können.

Worum sich die Mitarbeiter der Ausländerbehörde kümmern

„Innerhalb der Ausländerbehörde kümmert sich der Bereich aufenthaltsbeendende Maßnahmen unter anderem um das Thema Abschiebung. Vier Mitarbeitende planen die Rückführungen und erlassen begleitende Anordnungen (Anträge auf Anordnung von Abschiebehaft oder Wohnungsdurchsuchungen, Festhalteanordnungen, Meldeauflagen, u.a.). Ein Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin ist für Widersprüche und Stellungnahmen bei Klage- und Eilverfahren zuständig.

Dabei gilt zu berücksichtigen, dass die o. g. Mitarbeitenden auch für die ausländerrechtliche Gefahrenabwehr der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zuständig sind, insbesondere für Verfahren bei unerlaubter Einreise ohne Asylgesuch, Aufgriffen von Polizei/Zoll, Ausweisungen und Verlustfeststellungen sowie Verdacht einer rechtsmissbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung.

Darüber hinaus beteiligen sie sich an Arbeitsgruppen zur polizeilichen Zusammenarbeit, Mehrfach-/Intensivstraftätern und sicherheitsrelevanten Personen“, beschreibt das Ordnungsamt in seiner ausführlichen Antwort auf die CDU-Anfrage die Arbeit der mit Abschiebungen befassten Mitarbeiter.

Die bald noch weniger Zeit für dieses konservative Festtagsthema haben werden.

Das Ordnungsamt dazu: „Die Einführung von SIS 3.0 (Schengener Informationssystem) sowie die Umsetzung des Gesetzes zur besseren Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen wird absehbar dazu führen, dass der Zeitanteil, der tatsächlich für die Vorbereitung und Durchführung von Abschiebungen zur Verfügung steht, weiter sinkt.“

Die eigentlichen Aufgaben der Ausländerbehörde

Die Hauptaufgabe der Ausländerbehörde ist aber letztlich eine völlig andere. Denn eigentlich ist die Behörde dazu da, den Aufenthalt von Ausländern (nicht nur Geflüchteten) in Leipzig rechtlich zu klären und damit auch die Basis für eine Integration zu schaffen. Und damit hat das Personal alle Hände voll zu tun, wie das Ordnungsamt feststellte: „In der Ausländerbehörde arbeiteten zum 09.12.2024 124 Mitarbeitende. Allerdings kann dieses Personal nicht nach Belieben in den Bereich aufenthaltsbeendende Maßnahmen umgeschichtet werden, da in den übrigen Bereichen der Ausländerbehörde Amtshandlungen von existenzieller Bedeutung für Ausländer, ihren Integrationserfolg und ihren Zugang zu Erwerbstätigkeit bearbeitet werden.“

Und so gibt es dort eben auch keine Stellenvakanzen, wie die CDU-Fraktion vermutete.

Aber die interessierte sich halt nur für ein einziges Thema, mit dem die Partei nun im Bundestagswahlkampf irgendwie wieder Punkte sammeln will. Und so fragte die Fraktion: „Wie häufig und aus welchen Gründen konnten seit dem Jahr 2022 in Leipzig geplante Abschiebungen nicht durchgeführt werden? Bitte aufschlüsseln nach den konkreten Gründen.“

„Seit dem Jahr 2022 wurden vier geplante Abschiebungen aus folgenden Gründen nicht durchgeführt“, so das Ordnungsamt: „2 x nicht angetroffenen, 1 x Weigerung des Heimatstaates, 1 x Weigerung der Fluggesellschaft.“

Auch die Zahl der tatsächlich aus Leipzig vollzogenen Abschiebungen liegt nicht viel höher, wie das Ordnungsamt auflistet:

2022: 5 vollzogen / 0 gescheitert oder abgebrochen / Abschiebungsquote 100 %
2023: 2 vollzogen / 2 gescheitert oder abgebrochen / Abschiebungsquote 50 %
2024: 12 vollzogen / 2 gescheitert oder abgebrochen / Abschiebungsquote 86 %

Dahinter steht auch eine deutlich stärkere Auslastung der Ausländerbehörde ab 2022 durch die Geflüchtete aus der Ukraine: „2022 hatte das Ankommen u. a. ukrainischer Flüchtlinge die personellen Ressourcen gebunden, um die Schutzsuchenden schnellstmöglich zu registrieren und ihnen Aufenthaltsdokumente auszustellen. Im Frühjahr und Sommer 2023 sind mehrere Mitarbeitende aus dem Bereich aufenthaltsbeendende Maßnahmen ausgeschieden. Die offenen Stellen konnten im Oktober/November 2023 nachbesetzt und mit der Einarbeitung begonnen werden. Aufgrund der Komplexität der Materie dauert diese bisher an.“

Warum nicht alle Ausreisepflichtigen abgeschoben werden können

Die niedrigen Zahlen Leipziger Abschiebungen scheinen dann freilich den tatsächlich in Leipzig lebenden „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ zu widersprechen, die ja in der Regel die immer neuen Forderungen aus der Politik nach mehr Abschiebungen begründen.

„Im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde der Stadt Leipzig sind zurzeit 1.956 Personen vollziehbar ausreisepflichtig (Stichtag: 11.12.2024), entweder mit einer Duldung oder einer sogenannten Bescheinigung ohne amtliches Ausweisdokument“, nennt das Ordnungsamt die Leipziger Zahl.

Was in der schriftlichen Antwort des Ordnungsamtes auch erläutert wurde: „Allerdings lässt die Zahl der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen keinen Rückschluss auf die durch die Stadt Leipzig tatsächlich abzuschiebenden Personen zu. Das liegt an der länderspezifischen Zuständigkeitsverteilung im Freistaat Sachsen für Abschiebungen sowie an tatsächlichen und rechtlichen Gründen, die einer Abschiebung entgegenstehen können.

Ein Großteil der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen sind abgelehnte Asylbewerberinnen, Asylbewerber und deren Familienangehörige. Für die Abschiebung ist nach Maßgabe von § 1 Absatz 1 Sächsische Aufenthalts- und Asylzuständigkeitsverordnung die Landesdirektion als Zentrale Ausländerbehörde zuständig. Die novellierte Verordnung trat im August 2024 in Kraft. Die Novellierung schaffte rechtliche Klarheiten zwischen der Zentralen Ausländerbehörde und den Ausländerbehörden, brachte aber auch einen Mehraufwand mit sich. Die Ausländerbehörden sind nun ausnahmslos für die Androhung der Abschiebung zuständig, sofern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keine Androhung erlassen hat bzw. diese sich zwischenzeitlich erledigt hat.“

Und selbst wenn die Menschen als „vollziehbar Ausreisepflichtige“ gelten, kann es trotzdem ganz simple humanitäre Gründe geben, dass sie nicht abgeschoben werden dürfen.

„Bei dem verbliebenen Teil ist die Abschiebung zum Teil aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, sodass nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz eine Duldung auszustellen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn schützenswerte familiäre Bindungen der Abschiebung entgegenstehen, Rechtsschutzverfahren noch andauern, Reisedokumente fehlen oder die Identität der Person nicht geklärt ist“, schreibt das Ordnungsamt.

„In vielen Fällen sind diese Menschen an der Beseitigung der Abschiebungshindernisse gehindert. In anderen Fällen wird in nicht ausreichendem Maß an der Beseitigung der Abschiebehindernisse mitgewirkt. Erlangt die Ausländerbehörde hiervon Kenntnis, wirkt sie im rechtlich möglichen Maß auf eine Mitwirkung der Betroffenen hin. Allerdings fehlen die personellen Ressourcen, um flächendeckend eine intensive Befassung sicherzustellen, sodass sich diese auf Mehrfach-/Intensivstraftäter und sicherheitsrelevante Personen beschränkt.“

Die Duldungen

Aber auch hier wollte die CDU-Fraktion Zahlen zu solchen Duldungen. Das Ordnungsamt: „1.640 Personen besitzen eine Duldung (Stichtag: 11.12.2024).“

Mit der Duldung wird die Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht durch Abschiebung vorübergehend ausgesetzt, betont das Ordnungsamt. „Geduldete Personen dürfen in der Regel mit Erlaubnis der Ausländerbehörde einer Beschäftigung nachgehen, unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne vorherige Erlaubnis der Ausländerbehörde.“

Und dann sind da ja auch noch die „Rückführungen im Rahmen der Dublin-Verordnungen“, bei denen Asylsuchende in die Länder „rückgeführt“ werden, in denen sie erstmals auf europäischem Boden registriert wurden.

„Für Überstellungen nach der Dublin-Verordnung ist im Freistaat Sachsen die Landesdirektion als Zentrale Ausländerbehörde zuständig. Die Zentrale Ausländerbehörde hat nachstehende Personen, die der Stadt Leipzig zugewiesen waren, im Rahmen der Dublin-Verordnung überstellt:
2022: 8 Personen
2023: 13 Personen
2024: 3 Personen.“

Und auch hier wollte die CDU-Fraktion wissen: „Sind der Stadt Leipzig Zahlen bekannt, wie viele Rückführungen im Rahmen der Dublin-Verordnungen wurden ist 2022 versucht und/oder gescheitert sind? Bitte nach Jahren aufgliedern.“

Und das Ordnungsamt antwortete: „Der Stadt Leipzig sind diese Zahlen nicht bekannt, da die zuständige Landesdirektion so wenig Personen bzw. Institutionen wie möglich involviert, um den Verfahrenserfolg nicht zu gefährden.“

Zahlen, die Leipzig nicht hat

Das war dann auch die Stelle, an der Lucas Schopphoven weitere Zahlen fehlten und er bei Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal nachhakte. Aber der bestätigte Schopphoven nur noch einmal, dass Leipzig diese Zahlen nicht hat. Was dann Linke-Stadträtin Juliane Nagel dazu animierte, Schopphoven an seine Parteikollegen im Landtag zu verweisen bei dieser Frage. Die wüssten da wohl mehr.

Dass Leipzig die Zahlen nicht hat, hat auch mit der ganzen Geheimniskrämerei rund um diese Abschiebungen zu tun. Auch das erläuterte das Ordnungsamt recht ausführlich: „Eine Abschiebung ist stets ein mehrstufiger und interdisziplinärer Prozess. Die Ausländerbehörde ist die Herrin des Verfahrens und auf die Amtshilfe der Polizeidirektion, Bereitschaftspolizei und Bundespolizei angewiesen.

Zudem müssen gegebenenfalls die Zentrale Ausländerbehörde, Abschiebehafteinrichtung, Staatsanwaltschaft, Amtsgericht, Verwaltungsgericht und Gesundheitsamt beteiligt bzw. Entscheidungen eingeholt werden. Bei der Komplexität lassen sich Missverständnisse und Irrtümer im Einzelfall nicht gänzlich ausschließen. Strukturelle Probleme bei der behördlichen Zusammenarbeit bestehen nicht.“

Womit eigentlich der ganzen Verschärfungs-Debatte, in der auch CDU-Politiker beteiligt sind, der Boden entzogen ist. Denn alle die aufgezählten Unsicherheiten haben schlichtweg damit zu tun, dass Deutschland bis heute kein modernes Einwanderungsgesetz hat, das Einwanderung positiv gestaltet und auch Migranten aller Art einen klaren gesetzlichen Rahmen dafür gibt, wie man in Deutschland Aufnahme finden kann.

Ein Gesetz, das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Ausländerbehörden deutlich entlasten würde. Denn ein Hauptteil ihrer Arbeit besteht stattdessen in der bürokratischen Abarbeitung einer Asylgesetzgebung, die vor allem Abwehr, Verweigerung und Abschiebung zum Ziel hat.

Die CDU-Fraktion fragte dann noch, wie „Verbesserungen nach Ansicht der Stadt/Ausländerbehörde konkret aussehen“ könnten. Aber hier reagierte das Ordnungsamt mit dem lakonischen Hinweis: „entfällt“. Denn im Rahmen der mit Paragrafen überladenen deutschen Asylgesetzgebung gibt es eigentlich keine Spielräume der Verbesserung – es sei denn, man stellt noch mehr Personal ein.

Eine wirkliche Verbesserung wäre nur ein modernes und vor allem transparentes Einwanderungsgesetz. Aber das wissen konservative Parteien ja nun seit Jahren zu verhindern.

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