Vielleicht ist das in anderen Kommunalparlamenten schon länger üblich – im Leipziger Stadtrat jedenfalls war das bis zu dieser Legislaturperiode nicht die übliche Praxis: mit Anträgen völlig ohne Rücksicht auf die Umstände wichtige Vorlagen der Stadt einfach zu torpedieren. Die CDU-Fraktion in der Leipziger Ratsversammlung hat das am 21. Oktober gleich mehrmals versucht. Mit dem Antrag, das Naturkundemuseum im ehemaligen Bowlingtreff zu torpedieren, ist sie gescheitert. Ein weiterer Antrag brachte ihr dann den Vorwurf der Inkompetenz ein.

Und den der Kinderfeindlichkeit indirekt ebenso. Denn um nichts anderes ging es in der am späten Abend behandelten Vorlage „Weitere Überplanmäßige Aufwendungen nach § 79 (1) SächsGemO im Budget „Amt 51 Gebäude Inobhutnahme umA“ (51_364_1ZW) im Jahr 2024“ aus dem Amt für Jugend und Familie.

Der Grund für die Vorlage: Leipzig hat auch 2024 wieder deutlich mehr unbegleitete minderjährige Ausländer (umA) aufgenommen. Nachdem sich diese Zahl ab 2017 bei 90 bis 100 Kindern und Jugendlichen stabilisiert hatte, stieg die Zahl schon 2023 wieder deutlich an auf 130. 2024 waren es bis jetzt schon 188, berichtete Jugendbürgermeisterin Vicki Felthaus am 21. November in der Ratsversammlung.

In der Vorlage las sich das noch nicht so dramatisch: „Seit 2022 war ein verstärkter Zustrom an umA zu verzeichnen, der sich seit Mitte des Jahres 2023 nochmals erheblich verstärkt hat, sodass eine dauerhafte Überbelegung der 48 Plätze und somit ein erhöhter Personalbedarf zu verzeichnen war. Aufgrund der erheblichen Überbelegung der Inobhutnahmeeinrichtung im September 2023 mit 107 umA auf 48 Plätzen und der nicht mehr gegebenen Handlungsfähigkeit, wurde am 15.09.2023 die interimistische Wohngruppe für umA ab dem 14. Lebensjahr in der Friesenstraße mit zwischenzeitlich 36 Plätzen nach § 34 SGB VIII eröffnet. Auch hier ist das erforderliche Personal mit Fremdpersonal zur Sicherstellung der Betreuung aufzufüllen.

Neben dem Personalbedarf für beide Einrichtungen im Drei-Schicht-System erhöht sich nochmals auch der Mittelbedarf für Dolmetscherkosten für die beiden Einrichtungen.“

Mehr betreute Kinder, mehr Personalbedarf

Die Stadt steht übrigens in der Pflicht, diese Minderjährigen, die ihr vom Freistaat zugewiesen werden, aufzunehmen und zu betreuen. Sie kann nicht einfach sagen: „Nee, machen wir nicht.“

Und sie muss die Betreuung der Kinder auch erst einmal bezahlen. Das ist im Haushalt auch so ausgewiesen – nur dass der Stadtrat im Doppelhaushalt 2023 / 2024 eher von 100 zu betreuenden Minderjährigen ausging.

Ergebnis der unerwarteten Zunahme: „Insgesamt ergibt sich ein weiterer Mehrbedarf i. H. v. 2.218.100 Euro bei der Annahme und einer Berechnung im Mühlholz mit 48 Plätzen nach § 42 SGB VIII und der Weiterführung der 36 Plätze in der Friesenstraße. Es wurden die aktuellen Bedarfe für die Berechnung zugrunde gelegt.“

In ihrer einführenden Rede erklärte Vicki Felthaus dann auch noch einmal, dass die Betreuung der minderjährigen Schützlinge letztlich komplett vom Freistaat bezahlt wird. Aber mit einer Begleichung der Mehrkosten ist erst im nächsten Jahr zu rechnen. Die Betreuer, die man aber bei Freien Trägern zusätzlich gebunden hat, haben ein Recht darauf, jetzt für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Das Geld muss also kurzfristig im Leipziger Haushalt abgedeckt werden.

Das Problem aber ist: Weder im Amt für Jugend und Familie noch im Sozialdezernat gibt es noch frei verfügbare Gelder, die dafür umgelenkt werden könnten. Das Geld muss also aus dem allgemeine Haushalt genommen werden, bevor es 2025 durch den Freistaat wieder ausgeglichen wird.

So weit, so einfach.

Ein kleines Problem mit der Unterbringung von Asylbewerbern

Aber schon der Änderungsantrag der CDU-Fraktion machte deutlich, dass man diesen Vorgang nicht verstanden hatte. Der lautete: „Die Deckung erfolgt aus Mehrerträgen im Bereich der Gewerbesteuer aus dem PSP-Element ‚Steuern, allg. Zuweisungen, allg. Umlagen (1.100.61.1.0.01.01).‘ wird gestrichen und ersetzt durch: ‚Die Deckung erfolgt innerhalb des Budgets des Dezernates Jugend, Schule und Demokratie‘.“

Dass das gar nicht aus Sorge um die Leipziger Haushaltslage so formuliert war, machte dann CDU-Stadtrat Lucas Schopphoven deutlich, als er zur Begründung des Änderungsantrages tatsächlich meinte, seine Fraktion empfinde es „politisch als falsches Signal, steigende Steuereinnahmen in die Unterbringung von Asylbewerbern umzuleiten. Da machen wir nicht mit.“

Dafür gab es dann schon hörbare Empörung in der Ratsversammlung. Und hernach sehr deutliche Worte. Linke-Stadträtin Juliane Nagel bezeichnete Schopphovens Äußerung als disqualifizierend. Am Thema ging der Antrag sowieso vorbei und sie fragte wohl zu recht danach, was der CDU-Vertreter im Jugendhilfesausschuss, wo die Vorlage behandelt wurde, eigentlich mitgenommen hat. Das ist übrigens nicht Schopphoven, sondern Karsten Albrecht. „Und wir werden dort immer sehr gut informiert“, sagte Nagel.

Der finanzpolitische Sachverstand der CDU

Aber noch deutlichere Kritik musste sich die CDU-Fraktion von FDP-Stadtrat Sven Morlok anhören: „Ein bisschen wundere ich mich schon über den finanzpolitische Sachverstand der CDU.“ Der Änderungsantrag der CDU-Fraktion wäre ja geradezu ein Misstrauensbeweis gegenüber CDU-Finanzbürgermeister Torsten Bonew. Der solche Vorlagen ja im Vorfeld prüfe – gerade wenn es darum geht, mögliche Deckungsquellen für fehlende Gelder zu finden.

Mehreinnahmen aus der Gewerbesteuer gehörten in die Wirtschaftsförderung, wiederholte Schopphoven auch noch ein altes CDU-Mantra, das immer wieder das seltsame Bild erzeugt, dass Leipziger Unternehmen eigentlich nur Steuern zahlen, damit wieder Wirtschaft gefördert werden kann und nicht das gesamte Gemeinwohl der Stadt.

Aber das Frappierende war eben die vollkommene Verkennung des ganzen Vorgangs und der Versuch, Geld im Jugenddezernat zu vermuten, das es dort gar nicht gibt.

Ergebnis für den CDU-Antrag: eine deutliche Ablehnung mit 11:36 Stimmen bei 14 Enthaltungen.

Die Vorlage des Jugenddezernats, die jetzt einfach die Finanzlücke zum Jahresende in der Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Ausländer schließt, bekam dafür die notwendige Mehrheit von 38:19 Stimmen bei vier Enthalten.

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