Das Warten auf den zweiten Teil des Leipziger Landwirtschaftskonzepts zehrt an den Nerven. Gerade weil darin endlich all die Landschaftsschutz-Vorgaben stehen sollten, die nicht nur einige Stadtratsfraktionen immer wieder anmahnen. Ganz zentral: der Erhalt bzw. die Wiederherstellung von Grünstreifen, Baumreihen, Windschutzhecken – all das, was in den vergangenen Jahrzehnten aus der Landschaft verschwunden ist. Am 23. Oktober kämpfte SPD-Stadtrat Andreas Geisler in der Ratsversammlung für das Thema.

Ein Thema, das die Bewohner der Innenstadt kaum wahrnehmen. Wer freilich in den Ortschaften am Stadtrand wohnt, konnte in den vergangenen Jahrzehnten zusehen, wie Grünstreifen verschwanden, Alleen ausdünnten, wie die Felder immer größer wurden und immer dichter an die Straßen heranrückten. Was logischerweise den Lebensraum für alle klassischen Feldbewohner zerstörte.

Schon im April stellte die SPD-Fraktion deshalb einen Antrag mit sieben Punkten, wie die Stadt – zusammen mit den Bauern – die klassischen Feldstrukturen an den Straßen wieder zurückgewinnen könnte. Der Verwaltung ging der Antrag freilich zu weit. Man arbeite doch schon so, hieß es im Verwaltungsstandpunkt: „Im Wesentlichen werden die Anforderungen bereits im Verwaltungshandeln dezernatsübergreifend berücksichtigt, weshalb kein zusätzlicher Maßnahmenplan notwendig ist. Zahlreiche bestehende Konzepte und Programme verweisen bereits auf das Ziel zur Steigerung des Grünanteils und einer Mehrung der Biodiversität.“

Was Andreas Geisler, der für den SPD-Antrag sprach, stark bezweifelte. Immerhin bekam dieser auch aus acht Ortschaftsräten, wo der SPD-Antrag behandelt wurde, deutliche mehrheitliche Zustimmung. Denn dort sieht man ja, wie wenig tatsächlich passiert. Meist punktuell da, wo die Stadt bei Straßenbaumaßnahmen auch endlich die Raingestaltung mit den Anliegern klärt.

Was überhaupt nicht so einfach ist. Denn beackerbaren Boden geben die meisten Bauern ungern für andere Maßnahmen ab.

Bauern als Landschaftspfleger

Obwohl nun schon mehrfach im Stadtrat darüber diskutiert wurde, dass alte Alleen wieder in ihrem Bestand hergerichtet werden und die Bauern dazu gewonnen werden sollten, bis zu acht Meter breite Streifen an den Straßen als Grünland zu bewahren und zu pflegen, dort auch wieder Bäume und Hecken zu pflanzen. Nicht nur gegen Schneeverwehungen im Winter, sondern auch für den Regenwasserrückhalt, für die bessere Bindung des Düngers auf den Feldern und für den Artenschutz.

Dass viele Gräben und Teiche etwa im Leipziger Norden ausgetrocknet sind, liegt eben auch daran, dass es die wasserbindenden Strukturen an den Feldern nicht mehr gibt. Und so lautete der erste Punkt des Antrags: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, einen Maßnahmenplan zu erarbeiten, wie die Randstreifen von Straßen zwischen den Leipziger Ortslagen und die Wirtschaftswege zwischen den Feldern in der Stadt beidseitig begrünt werden können bzw. wie die Begrünung erhalten oder wiederhergestellt werden kann. Dazu wird dem Stadtrat bis zum IV. Quartal 2024 ein Vorschlag vorgelegt.“

Die Verwaltung schrieb dazu eine ausführliche Stellungnahme, die einerseits beschwor, dass man doch schon alles, was der von Geisler verteidigte Antrag verlangte, berücksichtige. Aber bei jedem einzelnen Punkt wurden dann die Schwierigkeiten aufgeführt. Baubürgermeister Thomas Dienberg betonte dann auch, man habe es jedes Mal mit Einzelfällen zu tun und müsse für jeden Fall eine geeignete Lösung finden.

Etwa zu den Banketten am Straßenrand schrieb sein Dezernat: „Ortsverbindungsstraßen und Wirtschaftswege bestehen zumeist aus einem schmalen Wegegrundstück. Die Begrünung von Randstreifen außerhalb des Straßengrundstücks kann daher nur durch die Flächeneigentümer erfolgen oder es ist vielfach Grunderwerb zu tätigen, der im Rahmen von Investitionen bei Verkehrsbaumaßnahmen begründet sein muss.

In der regelmäßigen Praxis werden bei Straßenbauvorhaben die Randstreifen für Grün- bzw. Baumstreifen als Kompensationsflächen erworben. Diese Ausgleichsflächen werden gemäß gestalterischen und naturschutzrechtlichen Anforderungen begrünt. Der Grunderwerb wird bei den meisten Projekten nur durch ein Planfeststellungsverfahren möglich (teilweise mit Besitzeinweisung), da ein normaler freiwilliger Verkauf durch die Eigentümer zumeist nicht erfolgt.“

Was eben nur die Hälfte der Geschichte ist, denn bei vielen Straßen gehören die Randstreifen gar nicht den Bauern, sondern der Stadt, wie Geisler betonte. Hier müssten also die städtischen Ämter sowieso tätig werden, diese Randstreifen zu erhalten und auch wieder zu begrünen. Gern unter Mitwirkung der Bauern, die hier als Landschaftspfleger tätig werden könnten.

Reicht denn nicht der Landschaftsplan?

Und auch Dienbergs Aussage, diese Gespräche mit den Bauern fänden schon statt, wollte Geisler so nicht stehen lassen – auch weil in Gesprächen eben mit dieser Bauern deutlich wurde, dass sie davon oft gar nichts wüssten. Sodass man auch im Leipziger Gebiet davon ausgehen kann, dass etliche Flächen an den Straßen, die eigentlich der Stadt gehören, von den angrenzenden Landwirten mitbeackert werden.

Weshalb die SPD-Fraktion eben auch einen Plan gegen das „Okkupieren weiterer Flächen durch die Bewirtschafter und damit das Verschwinden des typischen prägenden Aspektes der Kulturlandschaft durch Bewirtschaftung der Randstreifen und den damit einhergehenden Verlust an Lebensraum und Korridoren für Tiere (bspw. Wildbienen, Vögel und andere Nützlinge) sowie Pflanzen“ beantragte.

Worauf die Stadt wiederum ausweichend antwortete: „In dieser Beziehung gibt es eine gute Kooperation mit dem Stadt-Umland-Landschaftspflegeverband LeipzigGrün e. V. und dessen Engagement zur nachhaltigen Kulturlandschaftsentwicklung.

In der Stadt existiert ein ständig aktualisierter Landschaftsplan. Dieser bildet die Arbeitsgrundlage für die zielgerichtete und umfassende ökologische Entwicklung des gesamten Stadtgebietes und somit auch der Außenbereiche. In Regelterminen stimmen sich Fachleute der Verwaltung mit Stakeholdern wie den anerkannten Umweltverbänden, den Landwirten sowie politischen Akteuren ab und betreiben einen stetigen Wissenstransfer. Für diesen Punkt relevant ist außerdem das Handlungskonzept und Schlüsselprojekt ‚Strukturanreicherung und Biotopentwicklung‘ des Grünen Ring Leipzig.“

Nur scheint das in der Praxis eben kaum zu fruchten.

Thema noch einmal vertagt

Doch was das Anliegen betrifft, gab Dienberg Geisler vollkommen recht. In der Zielrichtung sei man sich einig. Nur scheint es eben in der Praxis nur im Schneckentempo voranzugehen. Die Frage am 23. Oktober war dann nur: Tauchen all diese Punkte dann tatsächlich im zweiten Teil des Landwirtschaftlichen Konzepts auf? (Den ersten Teil zu den Vergabemodalitäten beschloss der Stadtrat im Oktober 2023.) Soll der Stadtrat darauf wieder warten, ohne zu wissen, wann das Konzept von der Verwaltung endlich vorgelegt wird?

Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Kristina Weyh ließ durchblicken, dass sie mit der Arbeit der Verwaltung bei diesem Thema keineswegs glücklich ist. Was also tun?

Andreas Geisler wollte es am 23. Oktober jedenfalls nicht darauf ankommen lassen, dass das Anliegen einfach weggestimmt worden wäre, sondern schlug vor, die Behandlung des Antrags noch einmal zu verschieben – vielleicht auf die Novemberratsversammlung, sodass das Baudezernat (dem ja auch die ganzen Landstraßen unterstehen) noch einmal Gelegenheit hat, in den Ausschüssen zu informieren, wo die Stadt bei der Rettung der Feldraine eigentlich steht.

Dafür gab es dann in der Ratsversammlung eine einhellige Zustimmung. Was zwar irgendwie wie ein „Gewonnen“ aussah, aber eigentlich nur bedeutet: Auch beim Thema begrünte Randstreifen an den Feldern der Stadt kleckert die Verwaltung den drängenden Problemen der Gegenwart hinterher. Denn gerade die zunehmenden Klimaextreme machen auch deutlich, dass die Leipziger Feldfluren so gut wie keinen Schutz gegen Dürren, Wind und Starkregen haben.

Und das Artensterben geht auch in Leipzig unvermindert weiter – gerade bei den Tieren und Insekten der Feldflur, die von der intensivierten Landwirtschaft immer weiter verdrängt werden. Also gibt es im November dann möglicherweise die nächste Diskussion über die verlorenen Feldraine in der Leipziger Landwirtschaft.

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