Wir haben uns entschlossen, im Wahlkampf zur Stadtratswahl 2024 den Fokus auf Kandidierende, die zum ersten Mal in den Stadtrat wollen, zu legen. Der Sinn der Sache: Wir wollen die Menschen, die hinter einer Kandidatur stehen, vorstellen, mit ihren Biografien, ihren Motivationen und Zielen. Oft sind diese nicht so in Wahlprogrammen verankert.

Zu diesem Zweck wurden acht Erstkandidierende kontaktiert und im persönlichen Gespräch wurden fünf Fragen gestellt, die den Kandidierenden vorher nicht bekannt waren. Zu Beginn der Gespräche wurden die Kandidierenden gefragt, ob sie die „Sie“ oder „Du“ Anrede bevorzugen, entsprechend der Antwort wurden die Fragen gestellt. Also, lernen Sie Menschen hinter den Kandidierenden kennen.

Wer bist Du und was motiviert Dich?

Ich heiße Shehzad Shaikh, bin 31 Jahre alt und lebe im Leipziger Süden. Ursprünglich komme ich aus Pakistan und wohne seit 2012 in Deutschland. In Deutschland habe ich Deutsch gelernt und ein Bachelor- und Masterstudium der Politikwissenschaft abgeschlossen. Seit etwa zwei Jahren bin ich eingebürgerter deutscher Staatsbürger und darf nun zum ersten Mal in meinem Leben wählen – also ja, ich freue mich, sowohl mein aktives als auch mein passives Wahlrecht ausüben zu dürfen. Das ist für mich ein besonderer Moment.

Meine Motivation, in die Politik zu gehen, kommt aus meiner ehrenamtlichen Arbeit und meinen persönlichen Erfahrungen. Ich bin in verschiedenen Vereinen und Organisationen in Leipzig aktiv, bin Stellvertreter der Freibeuter-Fraktion im Migrantenbeirat und arbeite als Referent für die Freibeuter Fraktion. Durch mein Ehrenamt und Tätigkeit in den Beiräten wurde ich mit Themen konfrontiert, die viele Leipzigerinnen und Leipziger betreffen.

Und dann gibt es auch meine eigenen Erfahrungen, zum Beispiel mit der LWB und all diesen Behörden. Diese Erfahrungen haben mich geprägt. Und ähnliche Erlebnisse teilen viele Menschen in unserer Stadt. Mein Ziel ist es, meine Geschichten zu erzählen und Ideen auszutauschen, um Leipzig zu einer gerechteren, freieren und offeneren Gesellschaft zu machen. Ich hoffe, dass ich, falls ich gewählt bin, einen differenzierten Ansatz in die Debatten im Stadtrat einbringen kann.

Was willst Du für Leipzig und Deinen Wahlkreis bewegen?

Ich glaube, für Leipzig und meinen Wahlkreis ist das aktuellste und relevanteste Thema bezahlbares Wohnen. Durch meine Arbeit im Fraktionsbüro und Gespräche mit den Menschen bekommt man sehr schnell mit, wie präsent Wohnungsknappheit in Leipzig ist. Obwohl die Ratsversammlung das Thema häufig diskutiert hat, passiert in der Praxis wenig. Es wird viel geredet, aber zu wenig gebaut. Es ist dringend notwendig, mehr Wohnraum zu schaffen, insbesondere sozialen Wohnraum, um Mietsteigerungen entgegenzuwirken. Hier muss schneller und effizienter gehandelt werden.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 125, VÖ 31.05.2024. Foto: LZ
Cover Leipziger Zeitung Nr. 125, VÖ 31.05.2024. Foto: LZ

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Digitalisierung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie frustrierend es sein kann, stundenlang im Bürgerbüro zu warten, nur um am Ende am Schalter festzustellen, dass ein Dokument fehlt und man den ganzen Prozess von vorne beginnen muss.

Ich bin auch in vielen internationalen Kreisen unterwegs und habe gesehen, wie andere Länder, wie beispielsweise die Ukraine, ihre Verwaltungsprozesse digitalisiert haben. Dort können Bürger ihre Unterlagen einfach per App hochladen und online einreichen. Wenn ein Land im Krieg das kann, sollten wir in Deutschland das auch schaffen. Wir müssen bei der Digitalisierung aufholen.

Andere Themen wären natürlich Bürokratieabbau und Antragsverfahren beschleunigen. Viele Leipzigerinnen und Leipziger müssen monatelang auf Amtsentscheidungen warten. Diese Verzögerungen sind unnötig und belastend. Dafür brauchen wir kreative Ideen, um diese Engpässe in den Behörden zu lösen.

Also ich möchte mich in erster Linie dafür einsetzen, dass Leipzig schneller neuen Wohnraum schafft, die Digitalisierung vorantreibt und bürokratische Prozesse effizienter gestaltet. Ich finde, das würde nicht nur mich, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger entlasten und unsere Stadt insgesamt lebenswerter machen.

Was weißt Du über Stadtratsarbeit?

Ich bin seit über vier Jahren im Rathaus tätig und war in dieser Zeit bei fast jeder Ratsversammlung dabei, oder habe diese zumindest verfolgt. Ich sitze außerdem in verschiedenen Beiräten, folglich habe ich Einblicke in die Abläufe der Stadtratsarbeit gewonnen und weiß ungefähr, was mich im Stadtrat erwartet.

Meine Erfahrungen im Rathaus und „Teilnahme“ an den Ratsversammlungen haben mir ein Verständnis für die Strukturen und Herausforderungen der Kommunalpolitik vermittelt. Ich werde, falls ich im Stadtrat bin, diese Kenntnisse nutzen, um effektiv an der Gestaltung unserer Stadt mitzuwirken.

Was sagen Freunde, Familie und Kollegen zu Deinem Engagement?

Meine Familie und Freunde haben mein Engagement bisher nur positiv aufgenommen und unterstützen mich sehr. Sie finden besonders meinen Slogan „Deine Zukunft zählt, nicht Deine Herkunft“ inspirierend und passend. Es freut mich, dass diese Botschaft gut ankommt.

Allerdings reicht es nicht, die Unterstützung von Familie und Freunden zu haben. Viele von ihnen dürfen nicht mal wählen. Letztlich muss ich auch die breite Bevölkerung im Leipziger Süden überzeugen. Es ist wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler sehen, dass ich für ihre Interessen eintrete und gemeinsam mit ihnen an einer besseren Zukunft für unsere Stadt arbeite.

Welche positiven oder negativen Erfahrungen hast Du bisher im Wahlkampf gemacht?

Also tatsächlich ist es im Süden nicht so leicht, für die FDP anzutreten. Ich habe eine negative Erfahrung gemacht, als ich in der Nähe des Connewitzer Kreuzes Plakate aufhing. Kurz nachdem ich mein Plakat aufgehängt hatte, wurde es abgerissen. Als ich versuchte, es wieder aufzuheben, wurde ich von der Person, die es heruntergerissen hatte, verbal angegriffen und beschimpft.

Ich fragte ihn, was er gegen mich habe und ob er etwas gegen Ausländer habe. Daraufhin wurde er noch aggressiver und beleidigte mich weiter. Ich nahm mein Plakat vom Boden und ging weiter. Zum Glück war ein Freund bei mir, der mir geholfen hat. Diese Erfahrung war sehr unangenehm. Ich glaube nicht, dass die Person aus der rechten Szene stammte.

Auf der anderen Seite habe ich auch viele positive Erfahrungen gemacht. Als ich Plakate in der August-Bebel-Straße aufhing, sprachen mich Menschen an und erkannten mich vom Plakat. Sie fanden mein Plakat und meinen Slogan gut und wünschten mir viel Glück. Auch Bekannte, die nicht wussten, dass ich Spitzenkandidat der FDP bin, waren angenehm überrascht und haben mir viel Erfolg gewünscht.

Shehzad, vielen Dank für das Gespräch und Deine Zeit.

„Fünf Fragen an Erstkandidierende zur Stadtratswahl: Shehzad Shaikh (FDP)“ erschien erstmals im am 31.05.2024 fertiggestellten ePaper LZ 125 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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Es ist gut zu wissen und wunderbar, dass neue Menschen in der Stadtpolitik mitwirken wollen.

Was mich etwas verwundert, das dieser hier beschriebene Mensch einerseits offeriert, “Leipzig zu einer gerechteren, freieren und offeneren Gesellschaft zu machen” und dass es “dringend notwendig” sei, “mehr Wohnraum zu schaffen, insbesondere sozialen Wohnraum, um Mietsteigerungen entgegenzuwirken”.
Andererseits wählte er für sich die Mitgliedschaft in der FDP…

Sozialer Wohnraum ist auf begrenzte Zeit subventionierte Vermietung.
[Man müsste vor allem im Mietrecht korrigieren, um den absurden Anstieg von Wohnungsmieten zu begrenzen.]
Gerade bei sozialen, kulturellen oder klimaförderlichen Subventionen ist die FDP ganz schnell bei Streichlisten, während Subventionen wiederum für die Industrie möglichst hoch ausfallen dürfen.
Und ob für große und hiesige Bevölkerungsteile die Gerechtigkeit mit der FDP einhergeht, würde ich mal in Frage stellen.

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